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Von Mauerläufern und Umweltaktivisten
Notizen von Marko Ferst
Wenn ich mich auf meine kurze Leseprobe verlassen hätte, würde
der Band sicher keine Chance gehabt haben auf meinen Leseplan zu gelangen.
Ausschlaggebend war wohl die gute Empfehlung von jemander, die das Buch
gelesen hatte. Dann hatte ich Gelegenheit die Autorin selbst in einer
Lesung zu erleben, was meine Skepsis erheblich zurückgedrängt
hat. Mir ging beim Lesen später auch auf, das die Ausschnitte, die
sie vortrug, eingebettet ins Ganze sich viel logischer und verständlicher
fügen. Zuvor hatte ich schon gesehen, wie der Band in Rezensionen
etc. gelobt und gestraft wurde, sehr unterschiedliche Bewertungen entfachte,
z.B. auch im literarischen Quartett des ZDF.
Dann war da natürlich auch die Neugier, wie es jemand schafft, urplötzlich
so interessant als Autorin zu werden. Da ich mich selbst intensiv mit ökologischen
Themen beschäftige, bewährte sich die Lektüre unter diesem
Gesichtspunkt durchaus, haben mich die Blickwinkel der Autorin bereichert.
Es werden viele Aspekte ökologischer Aktivität mit kritischem,
manchmal auch leicht satirischem Blick bedacht. Vielleicht sind mir nicht
alle Anspielungen aufgegangen, zumal die Vogelkunde nicht mein Gebiet
ist. Möglicherweise hätte engagiertes Scharfstellen, des ein
oder anderen ökologischen Sachverhalts nicht unbedingt geschadet. Über
die Vogelwilderei weiß ich nicht so gut Bescheid, außer das
es sie gibt. So ist es vielleicht nützlich, wenn man dem Leser intelligente
Bildungsbrücken bietet, so als ob sie gar nicht vorhanden wären.
Diese Technik gibt es vereinzelt im Text durchaus, etwa wenn der Sinn
des heimlichen Deichdurchbruchs an der Elbe nachgetragen wird.
Wenn ich den Band in Gänze betrachte, muß ich einräumen,
ich blieb immer an die Webstruktur des Textes gefesselt. Wenn man im
Strom ist, zieht einen der Text meist. Mit überraschenden Wendungen
oder neuen Aspekte muß man immer rechnen. Zweifellos ist die Handlung
des Romans eine brüchige Sache, die aus dem virtuosen Schreibstil
sich entfaltet, man wird mit einer Vielzahl von Anrissen versorgt, die
man sich in gewisser Weise selbst ordnen muß. Aber wenn ich mich
nur an „Sommerstück“ von Christa Wolf erinnere, da wird
man auf ähnliche Muster treffen, auch wenn es gravierende Unterschiede
in der Atmosphäre und Sprachtechnik zwischen beiden gibt.
Zinks Schreibstil ist extravagant, ungewöhnlich, gewagt - ich mußte
mich erst daran gewöhnen und will hier nicht auf den vereinzelt
verunglückten Sätzen rumreiten. Warum nicht, es muß unterschiedliche
Stile geben. Irritiert hat mich der Erfahrungsraum der Partnerschaft,
die melancholische Leere. Das wird alles seinen Sinn haben, aber es geht
eine ungeheure Kühle davon aus. Mich daran zu gewöhnen, fiel
mir sehr schwer. Die etwas störrischen Erzählperspektiven überdecken
Möglichkeiten, die einem die Figuren näher bringen könnten,
Empathie ins Spiel fließen lassen. Neue Kontakte bleiben häufig
etwas starr. Ehebruch und erotische Passagen ergeben manche pikante Wendung.
Vielleicht würde ich den Band bei einem zweiten Mal anders lesen
und wahrnehmen. Über das Sprachpotential verfügt der Roman
dafür.
Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, wuchs im ländlichen Virginia
auf. Sie studierte am College of William and Mary Philosophie und wurde,
später im Leben, in Medienwissenschaft an der Universität Tübingen
promoviert. Sie lebt in Bad Belzig, südlich von Berlin. „Der
Mauerläufer“ ist ihr Debüt. In englischer Sprache publizierte
sie bereits weitere Romane.
Nell Zink, Der Mauerläufer, Roman, 192 Seiten, Rowohlt, 2016
erschienen in Tarantel Nr. 75, 2016
www.umweltdebatte.de
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