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Vordenken für
eine ökologische Ära
Marko Ferst
Ungewöhnlich starke Regenfälle prasseln in Deutschland heute
doppelt so häufig nieder wie vor 100 Jahren. Waren die braunen Elbfluten
im Sommer 2002, die viele Dörfer und Städte verwüsteten
nur ein kleines Vorspiel? Die Umweltkonferenz in Johannesburg konnte keinen
rettenden Pfad abstecken. Immerhin rechnen 90% aller Menschen mit einer
Erwärmung des Klimas. Gnadenlos überrennen wir die ökologischen
Demarkationslinien für die Freiheit einer Geldvermehrung ins schlicht
Unendliche und einem Anspruchsdenken das global nicht verallgemeinerbar
ist. Jeder Deutsche entläßt mehr als 10 Tonnen CO2 pro Jahr.
Die heutige Industriegesellschaft ist unauflösbar gekoppelt an den
Ausstoß von Treibhausgasen. Fast unsere ganze Infrastruktur könnte
ohne diese Emissionen nicht mehr produziert werden. Bei der Herstellung
von Metallengütern, von Glas, Beton oder auch Plaste bzw. anderen
Folgeprodukten aus Erdöl wird bei den energetischen Umwandlungen
CO2 unvermeidbar entstehen. Auch in einer ökologisch umgestellten
Landwirtschaft stoßen Kühe zwangsläufig weiterhin das
Treibhausgas Methan aus.
Mit täglich mehr als 100 Mill. Tonnen Kohlendioxid, die wir in die
Atmosphäre schicken, revolutionieren wir das Klima. Ungefähr
die Hälfte davon nehmen derzeit die Ozeane auf. Steigt die Erdtemperatur
in Folge der Klimaerwärmung, sinkt ihre Aufnahmefähigkeit. Möglicher
Weise fangen die Ozean dann an CO2 abzugeben. Nicht weniger brisant ist
die Freisetzung von Methaneis, wie es sich u.a. an den Festlandsockeln
der Antarktis in gigantischen Mengen findet. So befürchtet man für
in der Barentssee gefrorene Hydrate eine Instabilität bereits bei
einer Erhöhung der gemittelten Wassertemperatur von einem Grad. Wird
Methan in immer größerem Umfang freigesetzt, kommt es zu einem
"Supertreibhauseffekt". Endstation ist ein Wüstenplanet.
Erwartet wird für dieses Jahrhundert nicht nur ein Anstieg der Durchschnittstemperatur
von bis zu sechs Grad, wobei nichtlineare Entwicklungen wie eben benannt,
hinzuzuaddieren sein dürften. Möglich ist ab 2050 auch eine
drastische Abkühlung des nordatlantischen Raums um 5-10 Grad, also
eiszeitliches Niveau, weil der warme Golfstrom im Atlantik durch Veränderungen
im Klimasystem versiegen könnte. Befürchtet wird auch das Auftreten
extrem starker und häufigerer El Ninos. Sie richten an der südamerikanischen
Küste große Schäden durch massiven Regen an und führen
in Australien zu extrem trockenem Wetter, Auswirkungen sind bis Indien
und Ostafrika zu registrieren und fordern viele Opfer. Wir sind dabei,
daß in den letzten 10.000 Jahren ungewöhnlich stabile Wettergeschehen
auf der Erde aus den Angeln zu reißen. Es könnte ein neues
Klimasystem einrasten, bei dem häufige extreme Veränderungen
die Norm sind.
Degradation findet zudem statt durch das exponentielle Wachstum der Erdbevölkerung.
Das bedeutet eine dramatische Übernutzung unserer Lebensräume,
gleichwohl in erster Linie ein "Geburtenrückgang" an Autos
notwendig ist. Täglich sterben ca. 370 Tier- und Pflanzenarten aus,
86 Mill. Tonnen fruchtbarer Boden erodiert, täglich entstehen 30.000
Hektar neue Wüste. Ein zentraler Rohstoff der Industriegesellschaft
wie Erdöl reicht nur noch ca. 40 Jahre, Erdgas nur wenig länger.
Der Klimaforscher Mojib Latif geht davon aus, in diesem Jahrhundert müssen
die Treibhaus-gasemissionen um 100% reduziert werden. Die Studie "Zukunftsfähiges
Deutschland" hielt noch 40 - 50% bis 2050 global für ausreichend.
Wegen der Verweilzeiten des CO2 von etwa 100 Jahren in der Stratosphäre
ist dies nicht verantwortbar. Wir würden jeden Tag erneut 40 bis
50 Mill. Tonnen CO2 freisetzen. Dieses beständige zusätzliche
Aufhäufen stößt uns zwangsläufig über die Kliffkante.
Geht es in dem jetzigen Schneckentempo für ökologische Politik
weiter, wird es einen Absturz in ein dunkles Jahrtausend geben. Wir werden
uns autoritäre oder gar tyrannische gesellschaftliche Systeme einhandeln,
mit dramatischen Verteilungskonflikten und vielerorts aufflammenden Bürgerkriegen.
Dies wird weit mehr Menschenleben fordern als die Weltkriege des 20. Jahrhunderts.
Heute müssen die Fundamente dafür gelegt werden, damit wir keine
barbarische Notstandspolitik, sondern kulturell eine rettende Politik
möglich wird.
Die eigentliche Chance für eine ökologische Umkehr erwächst
aus dem geistigen Lebensniveau der Gesellschaften. Jede Erneuerung beginnt
im Menschen, dort wird der Boden bereitet für eine Alternative, für
einen neuen Kulturentwurf. Der Übergang vom fortschrittssüchtigen
Wohlstandsstaat zur in sich ruhenden Wohl-Seins-Gesellschaft ist geboten.
Wir brauchen ein ökologisches Kultursystem, das auf Herz und Geist
gebaut ist. Die Werte des Mensch-Werdens sollten über denen der Habgier
angesiedelt sein.
Ständige Wachstumsraten wie sie heute in der Politik herbeigewünscht
werden, sind nicht im entferntesten zukunftsfähig. Das ist der Versuch
mit Marktgesetzen Naturgesetze auszuhebeln. Eine globalisierte Wettbewerbsökonomie,
die einen Pol auf Kosten des anderen entwikkelt, wird die Todesspirale
nicht aufhalten. Nötig ist eine vollständige solare Energiewende
und eine ernorm gesteigerte Material- und Energieeffizienz. Gewiß
müssen die Probleme im Naturschutz und bei der Standortwahl etc.
beim Betrieb von Windrädern ernst genommen werden. Aber die Allianz
von Energiekonzernen und Clementministerium gegen den Ausbau von ausgereiften
Offshore-Anlagen etc. gehört an den Pranger gestellt. Dort will man
offenbar in die klimapolitische Steinzeit zurück.
Die Wirtschaft der Industrieländer wird radikal schrumpfen müssen.
Die meisten Produkte können mit einem viel kleineren ökologischen
Fußabdruck hergestellt werden. Dazu sollte unser Steuersystem schrittweise
fast vollständig auf ökologische Steuern umgestellt werden.
Umweltgerechtes Verhalten würde sich finanziell lohnen. Lohn- und
Mehrwertsteuern und viele andere Steuerbestände könnten durch
Steuern auf Energie- und Rohstoffverbrauch abgelöst werden.
Dringend erforderlich wäre eine umfassende ökologische Zukunftsforschung,
die etwa an die Erfahrungen von Robert Havemann in Ostdeutschland und
Ernest Callenbach in den USA anknüpft, jedoch ihre Schwächen
abbaut und neue Ideen in die Debatte bringt wie eine sozial gerechte Ordnung
mit minimalem Naturverbrauch möglich sein könnte. Die jetzige
Berliner Republik ist dafür mit Sicherheit kein Modell.
vom Autor erschienen: Franz, Alt, Rudolf Bahro, Marko Ferst; Wege zur
ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für
ein zukunftsfähiges Kultursystem, Edition Zeitsprung, 340S.
zur
Hauptseite www.umweltdebatte.de
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