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Von woher droht Totalitarismus wirklich?
Viel Hoffnung, daß die ökologische Zeitenwende noch gelingt,
besteht nicht
Marko Ferst
Ein Gespenst geht um, das Gespenst des Ökofaschismus. Oder ist es
nur ein Hirnge-spinst? Wer brachte aber dann diesen Spuk ins Rollen? Drei
Personen fallen beson-ders ins Gewicht - Peter Kratz, Jutta Ditfurth und
Oliver Geden. Alle drei sind auf der Jagd nach Ökofaschisten. Dabei
schwärzen sie jeden an, der sich nicht in ihr Raster von Ökologieverständnis
fügen läßt. Dazu ist es allerdings notwendig, fragwürdige
Kontexte zu konstruieren und Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen.
Es ist geradezu schizophren, wenn Jens Reich, Franz Alt, Rudolf Bahro,
Hubert Weinzierl, Herbert Gruhl u.v.a. mit dieser Anmache traktiert werden.
Ebenso stehen Teile des BUND, der Bündnisgrünen und des Neuen
Forums in der Anklage, ökofaschistisches Gedankengut zu propagieren.
Man mag an die Benannten manche berechtigte Kritik richten, den erhobenen
Vorwurf rechtfertigt das noch lange nicht.
Allerdings hat es Tradition, daß eine "Hauptabteilung ewige
Wahrheiten" Faschisten kürt. Unzählige Wissenschaftler,
Künstler, Bürger/innen wurden in der stalinschen Sowjetunion
völlig unschuldig als faschistische Agenten etc. denunziert und verschwanden
auf Nimmerwiedersehen in den Knochenmühlen des Archipel GULAG. Man
sollte es nicht vergessen. Sosehr ich eine ähnliche Sicht wie Jutta
Ditfurth etwa zur Ungerechtigkeit der kapitalistischen Weltwirtchaft u.a.
vertrete, so dürfen ihre Ausfälle gegenüber anderen nicht
bagatellisiert werden.
Der frei erfundene ökofaschistische Popanz verhindert aber hochwirksam,
daß ernsthaft erörtert werden kann, wo tatsächlich ökofaschistische
Tendenzen auftreten. Immerhin gibt es in Deutschland eine rechtsextreme
Wochenzeitung mit über 100.000 Exemplaren Auflage und ein umfangreiches
rechtsextremes Netzwerk, und Grenzübertritte zur ökologischen
Bewegung wären vereinzelt nicht verwunderlich, zumal der Heimat-
und Naturschutz schon im Nazi-Deutschland ideologisch mißbraucht
wurde.
Eher unsichtbar zeichnet sich aber längst ein völlig neuartiger
Totalitarismus in den Gang der Weltgeschichte. Bereits heute kann man
mit Gewißheit sagen, wenn sich jeweils die ungünstigsten Prognosen
im Zusammenstoß von industrieller Zivilisation und Ökosystemen
erhärten, gibt es für eine Rettung aus dem Sog der Todesspirale
nicht die geringste Chance. Geraten die natürlichen Gleichgewichte
entgültig aus den Fugen, werden künftige Generationen über
Jahrhunderte in unermeßlichem Siech-tum und Elend dahinvegetieren.
Gerade in armen Ländern, in denen die Menschen-rechte mit Füßen
getreten werden, sind schlimmste Exzesse zu befürchten. Die Staa-tengemeinschaft
auf der Erde gerät immer tiefer in einen Strudel politischer Dynamik,
der in totalitäre Ökodiktaturen mündet und bis in tyrannische
Despotien auswachsen kann. Vielgestaltiger Weltbürgerkrieg erwartet
uns, mit beinahe unlösbaren Verstrickungen um lebensnotwendige Ressourcen.
Die historische Herausforderung, die heute vor uns steht, ist um ganze
Dimensionen schwieriger, als es einst die Verhinderung des deutschen Hitlerfaschismus
gewesen wäre.
In Deutschland üben sich die staatstragenden Parteien, fast die gesamte
gesellschaftliche Mitte darin, sich am Konfliktpotential vorbeizumogeln
und den Status quo zu erhalten. Dies ebnet geradezu den Weg in eine totalitäre
Ökodiktatur, macht sie mit fortschreitender Zeit immer zwangsläufiger.
Das geschieht eher nicht von heute auf morgen, sondern in allmählichen
Wandlungen und Schritten. Selbst energische Reformversuche für einen
Ausweg können im Notstand enden. Bricht die ökoglobale Krise
als wahrnehmbare Wirklichkeit in das alltägliche Leben der Menschen,
gerät der Parlamentarismus in die schwerste Krise seit dem Neubeginn
nach der faschistischen Ära. Die soziale Schieflage der bun-desdeutschen
Republik kippt in völlig unbekannte Extreme. Der Sozialstaat von
heu-te wird dann als erstklassiges Luxusmodell gelten, wenngleich er ohnehin
nur das Pri-vilegium der reicheren Stände dieser Welt war.
Die Bündnisgrünen und die PDS lassen bisher nicht erkennen,
daß es ihnen um mehr ginge als um Korrekturen in der bestehenden
Unordnung. Wagen sie nicht zur rechten Zeit Dissidenz, gehen sie politisch
in Konkurs, auch wenn der Torso bleibt. Zweifellos ist es wichtig, den
Havelausbau zu verhindern, der Atomlobby den Hahn zuzudrehen, die solare
Energiewende wie den ökologischen Steuerumbau anzuschie-ben. Dies
alles sind notwendige Schritte, wenn man nicht vergißt: Wir brauchen
eine ökosoziale Begrenzungsordnung, die den Wachstumswahn der kapitalgetriebenen
Industriegesellschaft stoppt. Wir produzieren und verbrauchen mindestens
zehn mal zuviel und eine Effizienzrevolution kann uns sehr nützen,
aber nicht vor dieser Einsicht retten.
Die Trägheitskräfte lasten historisch beispiellos. Viel Aussicht
besteht nicht, daß wir nur mit ein paar Schrammen davonkommen. Sind
wir aber erst mal auf der Pflasterstraße durch die Hölle, könnte
uns spätestens dann auffallen: Ob wir da vorn, hinten, links oder
rechts gehen, die Ketten werden wir nicht mehr los.
16.9.1996 ND Org.
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