Vom Weg in die solare Zukunft zu
Hermann Scheers Buch "Solare Weltwirtschaft"
Marko
Ferst
Die
Prognosen sagen der globale Energiehunger steigt zwischen 1990 und 2010
auf 50%. Innerhalb solcher Rahmenbedingungen ist es völlig illusorisch
an so etwas wie Klimaschutz auch nur zu denken. Der statistisch erfaßte
Weltenergieverbrauch basiert zu 32 %
auf Erdöl, zu 25% auf Kohle, zu 17% auf Erdgas, zu 5% auf Atombrennstoff
und zu 14 % auf Biomasse.
Das sei ein Spiel mit dem Feuer, meint Hermann Scheer in seinem
neuen Buch "Solare Weltwirtschaft". Es ginge darum in den nächsten
Jahrzehnten die fossilen Energieträger vollständig abzulösen. Die Energie
müsse aus Sonnenkollektoren, Wasserkraft, Biomasse und Windkraft gewonnen
werden. Auf einen sinnvollen Mix komme es an. Der
Basisstoff Erdöl z.B. ist
in dreißig bis vierzig Jahren alle. Das Rohstoffproblem dürfte weltkriegsfähig
sein, legt Scheer prägnant dar. Der 91er Golfkrieg und der Tschetschenienkrieg
haben auch sehr viel mit der Frage Öl-Reserven zu tun. Wir sollten sie
als Warnzeichen auffassen. Die Erdölleitungen und anderen Transportwege
für die Rohstoffzulieferung sind die offenen Nervenbahnen unserer heutigen
Weltgesellschaft. Scheer
gelangt zu dem Schluß, die Nutzungsketten erneuerbarer Energien sind kürzer als im fossil-atomaren Bereich. Damit meint er, die materiell-technischen
Aufwendungen in der Gesamtbilanz für die Energiebereitstellung sind bei
den solaren Energien geringer. Der Weg von der Kohleförderung bis zum
Strom aus der Steckdose und allen dabei vorausgesetzten industriellen
Zulieferungen ist sehr viel länger und unökologischer als der Weg von
der Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach bis zur Glühlampe im darunterliegenden
Zimmer. Es ist also gegenüber der fossilen Energieproduktion nicht nur
der unmittelbar wegfallende Kohlendioxidausstoß von Vorteil. Erneuerbare
Energien haben zudem den Vorzug auf eine dezentrale Weise zum Einsatz
zu kommen. Sie sind nicht an die Existenz monopolisierter Energiekonzerne
gebunden, die ihre Investitionen amortisiert sehen wollen und gar kein
Interesse daran haben können, der solaren Energiewende zum Durchbruch
zu verhelfen. Im heutigen Fusionsfiber bestehe sogar die Gefahr, daß noch
größere Teile der heutigen Volkswirtschaften unter die Verfügungsgewalt
der Energiekonzerne gelangen könnten, zumal die Politik nicht dagegen
steuert. Als
Problem fixiert Scheer, daß viele Menschen den solaren Technologien noch
ungläubig gegenüberstehen. Man fürchtet sich davor, als unwissenschaftlich
abgetan zu werden, wenn man oder frau eine vollständige Umstellung auf
solare Energiesysteme fordert. Obgleich wir in einer hochtechnologisierten
Gesellschaft leben, herrscht in Bezug auf die solaren Technologien geradezu
eine Technikfeindlichkeit vor. Auch
andere Umweltakteure setzen auf die solare Perspektive und bestätigen
damit Scheers Herangehen. Die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland"
geht davon aus, bis zum Jahr 2050 müßte weltweit alle Energie solar gewonnen
werden, und wenn wir eine
Vorreiterrolle der Industriestaaten
annehmen, dann
müßte der Umbau der
nationalen Energiewirtschaft
in etwa drei Dekaden erfolgen.
Möglicherweise ist aber auch dieser Zeitplan für
den Übergang noch zu langsam,
immerhin kann man dies nicht ausschließen.
Weltweit wird es genügend Nachzügler geben,
die wirtschaftlich nicht umsteuern können bzw.
dies nicht wollen. Hermann
Scheer spricht davon, die solaren Energiesysteme seien in aller Regel
wirtschaftlicher als die herkömmlichen, insbesondere wenn solare und fossile
Energieketten nicht mehr in Konkurrenz zueinander stünden. Das ist sehr
gut möglich, insbesondere wenn man einbezieht, daß die konventionellen
Energiesysteme mit weltweit jährlich
300 Mrd. Dollar subventioniert werden. Dabei berücksichtigt diese Zahl
der Entwicklungshilfeorganisation der UN viele versteckte Subventionen
nicht einmal. Dennoch muß man auch nach dem derzeitigen Stand der Dinge fragen. Während sich die Solarthermie bei der Aufbereitung von Warmwasser bereits rechnet, ist man bei der Stromerzeugung mit Solarzellen noch nicht soweit. Mit Preisen ab 1,60 DM pro kWh ist die Photovoltaik unter den gegenwärtigen Wirtschaftsbedingungen nicht konkurrenzfähig. Um das zu ändern, müssen die hohen Produktionskosten abgebaut werden. Dies kann durch die Großserienfertigung, staatliche Subventionen und Forschungsgelder geschehen. Eine wirksame ökologische Steuerreform würde die veralteten Methoden zur Energieerzeugung deutlich verteuern und damit erneuerbare Energien verbilligen. Allein durch die Massenfertigung der Solarmodule könnte binnen weniger Jahre der Preis auf bis zu 0,23 DM pro kWh auch unter den deutschen Klimabedingungen gesenkt werden. Franz Alt geht davon aus, der Preis wäre noch weiter zu drücken auf bis zu 10 Pfennig pro kWh. Das 100000-Solardächerprogramm der rot-grünen Regierung mit einem Volumen von einer Milliarde DM verteilt auf sechs Jahre, wird den solaren Aufschwung zumindest befördern. Hermann Scheer setzte es maßgeblich mit in Gang zum Teil gegen massive Widerstände in der eigenen Partei, der SPD, wie er bei seiner Buchvorstellung in der Berliner Akademie der Künste ausführte. Wenn
man von einer vollständigen Umstellung der Energieproduktion auf solare Alternativen spricht, sollte man allerdings immer mitbedenken:
Jede neue technische
Generation, die eingeführt
wird, treibt in der Bilanz die stoffliche Verbrauchsspirale des Industriesystems
noch mal auf Hochtouren, also
der weltzerstörerische Apparat läuft im Hintergrund weiter. Dies ist Hermann
Scheer zu wenig klar, zumindest fließt es ungenügend in seine Betrachtungen
ein. Hier hakt Ernst Ullrich von Weizsäcker auch mit seiner Kritik an
der Konzeption einer solaren Energiewende ein. Er gibt der Ressourcenproduktivität
den Vorzug, also einer Dematerialisierung unserer Produktionsweise. Mit
weniger Energie und Rohstoffen sollen alle Produkte hergestellt werden.
Friedrich Schmidt-Bleek geht dabei sogar soweit, von einem Faktor 10 zu
sprechen für die nächsten 50 Jahre, der erreicht werden müßte. Ich denke,
die Anforderungen schließen sich nicht gegenseitig aus, wenn man das Thema
gesellschaftliche Selbstbegrenzung mit ins Spiel bringt. Davor fürchtet
sich allerdings Scheer wie der Teufel das Weihwasser. Er ist so in sein
Lieblingsthema, den solaren Umstieg eingefahren, daß er auf die Rahmenbedingungen
viel zu wenig sein Augenmerk richtet. Wir brauchen eine Reduktion der
heutigen Stoffströme, die wir mit unser Produktions- und Lebensweise in
Beschlag nehmen und eine solare Energiewende. Beide Strategien müssen
miteinander verwoben werden. Allerdings sollten wir uns auf ein viel geringeres
globales Wirtschaftvolumen einrichten, bei Berücksichtigung einer gerechten
sozialen Weltinnenpolitik, wovon heute nicht im geringsten die Rede sein
kann. Die
ganze Konzeption der "ökologischen Moderne", die Hermann Scheer
uns vorlegt, ist gegründet auf der Flucht vor der Frage gesellschaftlicher
Selbstbegrenzung. Um nicht die eigene Position zu gefährden, weil man
mit den Wohlstandsinteressen der Bevölkerungsmehrheiten in Konflikt kommen
könnte, gibt er sich mit ökologischen Teilwahrheiten zufrieden. Zudem
ist man und frau auch so in diese scheinbare Reichtumsgesellschaft integriert,
daß es unvorstellbar erscheint, diese könnte nur der besondere Spleen
von drei, vier Generationen sein, die meinen sie wären das Maß aller Menschengeschlechter.
Und wer will schon freiwillig verzichten, selbst wenn man sich als Top-Parasit
gegenüber den künftigen Generationen und der übrigen Schöpfung verhält? Deutschland
müßte flächenmäßig mindestens doppelt so groß sein, als es
in Wirklichkeit ist, um all die
Dinge anzubauen und zu produzieren,
die in Deutschland konsumiert werden.
So okkupiert es die
Fläche und den Umweltraum anderer Länder. Das
ist ein sehr parasitärer Zustand. Indirekt verzehrt das Viertel der Menschheit,
daß sich von Fleisch ernährt, etwa 40 Prozent der Welternte an Getreide.
Mexiko verfüttert z.B. knapp ein Drittel seines Getreides an das Vieh,
z.B. für Hamburgerfleisch zum Verzehr in den USA, und mehr als ein Fünftel
der eigenen Bevölkerung ist unterernährt. Wenn wir jetzt auf diese Situation
draufsetzen, wie Hermann Scheer meint, wir wollen einen umfassenden Teil
unserer Rohstoffbasis mit nachwachsenden Rohstoffen decken, dann fragt
sich natürlich mit wieviel zusätzlichen Hungertoten dies zu bezahlen sein
wird? Es ist nicht redlich bei der Betrachtung dieser Frage, die realen
gesellschaftlichen Weltstrukturen außen vor zu lassen und mit dem Gesamtumfang
an Biomasse, die sich anbauen ließe zu argumentieren. Ohnehin ist es kaum
im Sinne des Schutzes der Artenvielfalt auch noch den letzten Quadratkilometer
ursprünglicher Natur umzupflügen, die nächste Schneise in den Regenwald
zu schlagen. Nichts
desto trotz ist aber festzuhalten: Wir müssen eine sehr weitgehende Umstellung
auf solare Rohstoffe von Hanf über Flachs u.a. hinbekommen. Z.B. kann
künftig aus Brennesselfasern Kleidung hergestellt werden oder Farbstoffe
wieder aus Pflanzen gewonnen werden usw. Ein große Palette an Möglichkeiten
ist vorhanden und sie sollte genutzt werden, da ist Hermann Scheer zuzustimmen.
Aber
wir können nicht die halbe Republik mit Raps und anderen nachwachsenden
Rohstoffen zupflanzen inklusive der EU-stillgelegten Flächen, selbst wenn
wir alle zu Vegetariern konvertieren würden. Bekanntlich ist mit hohem
Fleischkonsum auch ein stark erhöhter Flächenverbrauch verbunden. Wir
mögen uns drehen und wenden wie wir wollen, das ist auch an diesem Beispiel
zu sehen, wir kommen um die Frage, wie mit weniger materieller Grundlast
hausgehalten werden kann, nicht herum.
Globale ökologische Stabilität ist nicht allein durch einen Wechsel
der Energiesysteme und der Rohstoffbasis zu erreichen. Auch bei allen kritischen Anmerkungen zu dem Buch "Solare Weltwirtschaft" sei jedoch unbenommen: Das nach Michael Succow im Herbst vergangenen Jahres Hermann Scheer der Alternative Nobelpreis verliehen worden ist, kann nur begrüßt werden. Wie kaum ein anderer setzte sich Hermann Scheer in unermüdlicher Arbeit für die weltweite Förderung der Sonnenenergie ein. Konsequent entlarvte er die blockierenden Aktivitäten der Energiekonzerne und machte auf politische Hemmnisse aufmerksam. Dies kann man gar nicht hoch genug wertschätzen. Disput 1/2001 |