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Wann kommt die Argarwende?
Marko Ferst
Landwirtschaftsministerin Renate Künast erklärte kürzlich,
sie rechne damit, auch in den nächsten drei bis fünf Jahren
werde es BSE-Fälle in Deutschland geben. Kürzlich wurden zwei
neue Fälle aus Bayern und Hessen gemeldet. Insgesamt sind es jetzt
124. Vor einem Jahr hatte das Auftreten der Krankheit zu einem Zusammenbruch
des Rindfleischmarktes geführt. Heute wird fast soviel Fleisch konsumiert
wie vor der Krise. Also alles in Ord-nung, nur noch ein paar Einzelfälle?
Franz Alt, Moderator der 3sat-Sendung "grenzenlos" und erfolgreicher
Umweltautor, sieht dies anders. Sein neues Buch trägt den programmatischen
Titel "Agrarwende jetzt". Für ihn gehört die ganze
Landwirtschaft auf den Prüfstand und das BSE-Desaster ist nur ein
Fingerzeig, der darauf aufmerksam machen könnte: Eine grundlegende
Reform stünde an.
In den Schlagzeilen der letzten Jahre stehen immer wieder BSE-Kühe,
Dioxinhühner oder der neueste Hormonskandal - Auswüchse einer
Politik, die vor lauter Sucht nach Höchst-erträgen, den Bauern
den "Schwarzen Peter" zuschiebt. Kartoffeln, Mais, Schweine
und Schafe wachsen nach den Maßen der Natur - Pflanzenfresser zu
Fleischfressern umzuerziehen, ist ganz normaler Menschenwahnsinn, wo man
sich dann über BSE nicht wundern muß, referiert Alt.
Die Rinderseuche kostete der Europäischen Union bis zum Jahresende
2000 zwölf Milliarden Mark. Das Einkommen der englischen Bauern sank
seit der Krise um 60%, viele verschuldeten sich massiv, 50.000 mußten
aufgeben. In England starben schon über 100 Menschen an der Jakob
Kreutzfeld Krankheit, die Universität Oxford schätzt in den
nächsten 40 Jahren könnten es bis zu 136.000 sein. Der britische
Biologe Steven Dealer hatte 1990 als erster Wissenschaftler vor der BSE-Katastophe
gewarnt. Er meint: "Es werden sehr wahrscheinlich mehr sein".
Heute geben jedes Jahr 15.000 Landwirte in Deutschland ihre Höfe
auf. Seit 1950 sind das 1,1 Millionen. Zugleich hält die Europäische
Union die Hälfte ihres Haushalts, das sind derzeit jährlich
60 Milliarden Mark, für die Subventionen in der Landwirtschaft bereit.
Aber nur noch ein Drittel der Mittel kommt beim Bauern an, so führt
Franz Alt aus. Das übrige seien Kosten, die durch eine verfehlte
Landwirtschaftspolitik verursacht werden. Erst produziert man Überschüsse,
hinterher müssen sie für viel Geld vernichtet werden. Die Bauern
verfügen über unterdurchschnittliche Einkommen, müssen
dafür aber oft überdurchschnittlich lange und unregelmäßig
arbeiten.
Doch was empfiehlt Franz Alt, wie kann die Agrarwende aussehen? Bis 2030
sollte die gesamte Landwirtschaft schrittweise auf biologischen Landbau
umgestellt werden. So hat Österreich heute schon 15% Biobauern, die
Schweiz 8%, Deutschland aber erst 2,5%. Dabei konnten sechs Monate nach
der ersten BSE-Kuh in Deutschland Ökoläden ihren Umsatz um 80
Prozent steigern. Würde man in den nächsten Jahrzehnten die
Landwirtschaftssubventionen nicht mehr für Flächenstillegungen,
Lebensmittelvernichtung und auch manch andere unsinnige Aktionen verwenden,
sondern dafür investieren, daß gesunde Nahrung mit ökologischen
Anbaumethoden produziert wird, dann könnte die Landbauwende recht
schnell in Gang kommen. Es gibt keinen vernünftigen Grund warum man
hier die Subventionen nicht umlenken können sollte, wohl aber Interessenvertreter,
die um ihre Pfründe bangen.
Hinzu kommen muß: In Deutschland gibt es heute ungefähr 500
Professoren für Land- und Forstwirtschaft und nur etwa 1% davon sind
ökologisch orientiert. Verbesserungsfähig ist die Vermarktung
von Bioprodukten. Nicht nur auf dem Bauernhof, sondern auch in der Kaufhalle
um die Ecke sollten sie erhältlich sein. Viele unsinnige Tiertransporte
über große Distanzen würden eingespart werden können,
wenn sich das im Zuge einer neuen EU-Landwirtschaftspolitik nicht mehr
lohnen würde. Noch immer werden z.B. "Belohnungen" gezahlt
für den Export von Rindern. Aber auch der Verbraucher muß sich
kritische Fragen stellen lassen, so Franz Alt. Zwar seien nach Umfragen
etwa 80% der Deutschen gegen Käfighaltung von Hühnern, aber
nur 10% kaufen wirklich Eier von freilaufenden Hühnern. Dies sei
praktizierte Tierquälerei.
Immer muß auch die ökologische Gesamtbilanz in der heutigen
Agrarwirtschaft betrachtet werden. Wenn man für die Herstellung von
einem Brot ungefähr einen halben Liter Erdöl verbraucht, in
30 bis 40 Jahren werden diese Rohstoffquellen erschöpft sein, dann
wird es uns auch nicht mehr helfen, daß wir alle Produkte ökologisch
kontrolliert angebaut haben. Die Landwirtschaft ist mit 10-15% am Treibhauseffekt
beteiligt, so fallen bei der Tierzucht große Mengen an Methan an.
Die Belastung unserer Biosphäre mit diesen enormen Risikoeffekten
müssen wir versuchen drastisch abzubauen. Dies behandelt Alt nur
sehr am Rande. Aber das gehört mit zu der Prüfung, vor die wir
gestellt sind.
Disput 12/2001
weitere Informationen zu Franz Alt: www.sonnenseite.com
Franz Alt;
Agrarwende jetzt. Gesunde Lebensmittel für alle, 2001, Wilhelm Goldmann
Verlag 2001, 187 S.
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