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Eine Reise durch die Ozeane
Werden die Wasserwelten von morgen ein Eldorado für Schwefelbakterien?
Von Marko Ferst
Alles Leben hängt von den Ozeanen ab, dort entstand es vor 3,4 Milliarden
Jahren. Sie umfassen 90 Prozent der Lebensräume auf der Erde. Intuitiv
könnten wir wissen, wenn wir die Lebensadern in den Ozeanen kappen,
wird das nicht nur dort einschneidende Konsequenzen haben. So nimmt uns
Mojib Latif mit auf den Weg, um zu sensibilisieren für die Naturschätze,
die sich unter der Wasserlinie finden und selbst in den tiefsten Regionen,
dem Mariannengraben, fast elf Kilometer abwärts in völliger
Dunkelheit, weiß er von biologisch sehr aktiven Zonen zu berichten.
Seit 2003 ist er Professor am ehemaligen Institut für Meereskunde
und heutigen Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er veröffentlichte
bereits zahlreiche Bücher über die Gefahren für das Klima
und kritisierte im vergangenen Jahr Kanzlerin Merkel für ihre Untätigkeit
in der Klimapolitik, wo der Autolobby nachgegeben wird, die Kohleverstromung
zunimmt oder ein wirksamerer Emissionshandel in der EU verhindert.
Doch begonnen hatte Latif seine wissenschaftliche Laufbahn als Ozeanograph,
wohin sein aktuelles Buch zurückführt. Mindestens ein Drittel
möglicherweise auch fünfzig Prozent der weltweiten Fischbestände,
so schreibt er, sind dank modernster Fangmethoden überfischt oder
zusammengebrochen. Nur zehn Prozent der Bestände gelten als ungefährdet.
Heute läßt man bereits Netze bis in 2000 Meter hinab. Millionen
Tonnen Jungfische und andere Meerestiere sterben als Beifang. So ist
es nicht verwunderlich, dass in den vergangenen 15 Jahren der Fischfang
in den EU-Staaten um 40 Prozent zurückging.
Schon ein Tropfen Öl genügt, um 600 Liter Trinkwasser zu verunreinigen.
Doch nach der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon gelangten
schätzungsweise 800 Millionen Liter in den Golf von Mexiko. Nicht
weniger Schaden richtete das Öl im Persischen Golf an im ersten
Golfkrieg 1990. 910 Millionen Liter traten aus. Aber auch die ganz normale
Schiffahrt sorgt für reichlich Ölrückstände in den
Ozeanen. So weiß man inzwischen, daß die giftigen Komponenten
des Öls die Herzen von Fischen irreparabel schädigen und wahrscheinlich
gilt dies nicht nur für sie. Schon nach dem Tankerunglück der
Exxon Valdez hatte man bei vielen Fischen schwere Herzschäden beobachtet,
wußte aber noch nicht, dass die Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe
dafür verantwortlich sind. Latif kritisiert, man hat keine Lehren
aus der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko gezogen. So will Shell
2016 dort in drei Kilometer Tiefe Öl und Gas fördern.
Grob geschätzt zirkulieren in den Ozeanen bis zu 150 Millionen Tonnen
Plastikabfall, so der Autor. 80 Prozent davon, gelangen über die
Flüsse in die Meere. Der Magen eines verendeten Pottwal barg Gartenschläuche,
Planen, Kleiderbügel - in der Summe 18 Kilo unverdauliche Plastikspeise.
Jährlich verenden eine Million Seevögel und darüber hinaus
hunderttausend Meeressäugetiere und Schildkröten durch diese
Stoffe. Mit der Zeit zerfällt Plastik in immer kleinere Mikroteile,
Umweltgifte wie DDT, PCB und andere docken an. So wird der künstliche
Gries zum Transporter für diesen Cocktail, der mit den Fischen am
Ende auf unseren Tellern landet. Um dies zu beenden, wird es vermutlich
nicht reichen, Plastiktüten zu verbieten.
Wenn man von der Fischmahlzeit redet: Fast vergessen sind die hunderttausend
Tonnen radioaktiver Abfälle, die vor den Küsten Europas in
Fässern verklappt wurden, weltweit sind von solchen Altlasten zwischen
50 bis 100 Meeresgebiete betroffen. So entsorgte die ehemalige UdSSR
nukleare Schiffsantriebe und strahlenden Müll östlich des Insel
Nowaja Semlja. Das kontaminierte Meerwasser nach den japanischen Reaktorunfällen,
breitete sich innerhalb von drei Jahren bis zur amerikanischen Westküste
aus, erstreckte sich über den gesamten nördlichen Pazifik.
Das sind nur einige der Vorbelastungen mit denen die Welt der Fische
zu kämpfen hat und das Buch trägt nicht ohne Grund den Titel „Das
Ende der Ozeane“. Kohlendioxid schließt nicht nur die Treibhausfenster
der Atmosphäre, es löst sich auch in den Ozeanen, besonders
gut in den polaren Regionen und schädigt dort u.a. den Krill, Minikrebse,
die weit vorn in der Nahrungskette stehen, außerdem Kaltwasserkorallen.
Deren Kalkstrukturen könnten sich sogar gänzlich auflösen.
Latif verweist darauf, schon heute sind die Meere um 30 Prozent saurer
geworden Viele Arten in der Erdgeschichte starben auf Grund von früheren
Versauerungsprozessen aus. Immer wieder betont er die Gefahr von Massensterben
im Ozean. Bricht die Nahrungskette durch die Versauerung weg, ist das
einer der Prozesse dorthin. Die steigenden Meerestemperaturen werden überdies
die Korallenriffe in den tropischen Meeren zerstören. In ihnen konzentriert
sich jedoch das zweitartenreichste Refugium der Erde.
Ü
ber 90 Prozent der Erwärmung der letzten Jahrzehnte nahmen die Ozeane
auf. Wärmere Meere nehmen weniger CO2 auf und die Atmosphäre
wird weit mehr der Treibhausmoleküle zu verkraften haben. Seit 1900
ist der Meeresspiegel um 20 Zentimeter gestiegen. Im Schnitt erhöht
er sich um gut drei Millimeter pro Jahr derzeit. Würde allerdings
die Westantarktis und Grönland völlig abschmelzen in Zukunft,
läge der Meeresspiegel um 13 Meter höher. Beträfe dies
später auch den kilometerdicken Eispanzer der Ostantarktis, läge
Dresden dicht an der Ostseeküste.
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf verweist in dem Internetportal Scilogs
auf aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Frühjahr 2014, die belegen,
ein zentraler Kipppunkt auf dem Weg zum Zerfall des Westantarktischen
Eisschildes ist überschritten. Die Aufsetzlinie des Eispanzers auf
dem Boden unter Wasser zieht sich um teils mehr als einen Kilometer pro
Jahr zurück. In der Amundsen-See ist die Spitze einer Bodenerhebung überschritten,
die als Barriere wirkte. Jetzt erfolgt der weitere Rückzug des Eises
eigendynamisch und nicht durch Bodenreibung gebremst. Das gesamte Amundsenbecken,
etwa so groß wie Frankreich, wird sich vom Eis entkalben und dies
dürfte der Anfang vom Ende des Westantarktischen Eisschildes sein.
Rahmstorf schätzt, daß damit drei Meter Meeresspiegelanstieg
unwiderruflich gebucht sein dürften und damit der Untergang vieler
Inseln und Küstenstädte, auch wenn es erhebliche Unsicherheiten
gibt, wie schnell dies ablaufen wird und wie lange die Ostantarktis stabil
bleibt.
Der von Stefan Rahmstorf und Katherine Richardson 2007 publizierte Band „Wie
bedroht sind Die Ozeane?“ fokussiert sich auf biologische und physikalische
Aspekte der Wasserwelten, die 71 Prozent unseres Planeten bedecken. Ebenso
wie in Latifs aktuellem Buch wird der Leser Kapitel für Kapitel
entlang der Ozeanforschung mit vielen Fakten auch jenseits der Gefährdungslage
vertraut gemacht. Beide Veröffentlichungen ergänzen sich ungemein
produktiv.
Latif verweist darauf, die globale Erwärmung läßt auch
den Sauerstoff in den Ozeanen schwinden. 50 Prozent des Sauerstoffs der
Lufthülle stammt insbesondere vom Phytoplankton, bei dem deutliche
Rückgänge zu verzeichnen sind und das ihn erheblich produktiver
herstellt als die Landpflanzen. Käme klimabedingt die thermohaline
Zirkulation zum Erliegen, verlangsamen sich die großen umwälzenden
Ströme in den Ozeanen. Der untere Teil der Ozeane würde zunehmend
sauerstoffarm und damit völlig lebensfeindlich. Jetzt gewönnen
aber Schwefelbakterien die Oberhand, die den organischen Schlamm abbauen,
deren Abfallprodukt Schwefelwasserstoff stinkt wie faule Eier und ist
stark giftig. Setzt sich dieser Prozeß immer weiter fort, werden
auch die oberen Schichten des Ozeans erfaßt und nach und nach dringt
es in die Atmosphäre ein. Damit sind auch Massenaussterben an Land
programmiert, die Ozonschicht würde zerstört. Der Autor erläutert,
der Himmel dieser Zukunftserde würde grün sein und das Meer
purpurrot. Ob so ein Szenario, wie es auch der Militätexperte Gwynne
Dyer in „Schlachtfeld Erde“ entwirft, eintreten wird, muß einstweilen
offen bleiben – vermutlich ist sicherer, dass Methanhydrate aus
Permafrost und den Festlandsockeln der Ozeane, den Klimaumbruch stark
beschleunigen werden. Es gibt viele komplexe ökologische Prozesse,
so Latif, die wir bisher noch ungenügend durchschauen. Für
die Zivilisation sieht die Prognose unterm Strich höchst ungünstig
aus, solange Klimaschutz nur als Optimierung der bisherigen Produktions-
und Lebensweise verstanden wird.
Mojib Latif: „Das Ende der Ozeane. Warum wir ohne die Meere nicht überleben
werden“. Herder Verlag, Freiburg 2014. 319 S. geb., 22,99€
Erschienen im Neuen Deutschland vom 14.2.2015, längere Version
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