|
Ökologisch linke Politik durchsetzen
Marko Ferst
Wenn die zukünftigen Generationen umfassend mit im Parlament und
in der Regierung vertreten sein könnten, wir würden uns vermutlich
die Augen reiben, wie blitzschnell die nötigen Veränderungen
Gesetzesform bekämen und die Gesellschaften sich ökologisch
wandelten. Selbst fest verwurzelter Industrie-Lobbyismus wäre diesem
kräftigen Erfahrungsimpuls aus der Zukunft kaum gewachsen. Jene
künftigen Generationen würden sehr schnell unser Zaudern in
revolutionärem Geist zu Fall bringen, sie würden korrigieren,
wozu heute Jahrzehnte zivilgesellschaftliches Engagement und beharrliche
oppositionelle Aufmüpfigkeit nötig scheinen und dabei nur in
minimalen Schritten vorankommen, wenn überhaupt. Sie spüren
am eigenen Leib, was auf dem Spiel steht und nicht nur aus theoretischer
Prognose.
Freilich weisen Segmente in denen es Erfolge gab, wie beim Ausbau der
erneuerbaren Energien, darauf hin, mit dem nötigen gesetzgeberischen
Einsatz und gezielter öffentlicher Debatte sind auch größere
Schritte möglich. Personen, personelle Netzwerke spielen eine zentrale
Rolle. Die ökologische Steuerreform, die ab 1998 zum Zuge hätte
kommen müssen, reichte über Minimalismen nicht hinaus. Ein
schwerer Fehler. Bald zwei Jahrzehnte später zeichnet sich keinerlei
Vorgehen ab, dass schrittweise Rohstoffe und Energie mehr besteuert und
Arbeitsleistung dagegen weniger belastet würde bei Wahrung sozialer
Balancen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Abschaffung antiökologischer
Subventionen. Wie viele Jahrzehnte an widerständiger Initiative
brauchte es, bis voraussichtlich 2022 die letzten deutschen Atomkraftwerke
vom Netz gehen werden! Dabei dürfte der Anteil der Atomkatastrophen
von Tschernobyl und Fukushima nicht gerade gering taxiert werden und
schaut man sich die Situation in Ländern an, die ebenfalls reich
mit AKW bestückt sind, fragt man sich, ob es noch einer dritten
Atomkatastrophe bedarf.
Als die Ökologische Plattform 1994 gegründet wurde, war auch
Konsens, die heutigen Plutokratien können nicht das Maß aller
Dinge sein. Politik, die nur kleine Schönheitsreparaturen an der
bestehenden ökologischen Unordnung ins Auge fasst, so nötig
diese zuweilen sein mögen, versteht die eigentliche Aufgabe der
Politik nicht. Inzwischen zeichnet sich klar ab: Die gesamte Zivilisation
ist auf eine schiefe Bahn geraten und reißt sich mit ihren gewaltigen
Trägheitskräften in einen Abgrund. 95 Prozent aller Treibhausgase
bis 2050 zu vermeiden, wie es die aktuellen Wahlprogramme von Grünen
und Linken zum Bundestag fordern, ist sicher eine brauchbare Wegmarkierung
und international vorzeigbar. Die Landespolitiken beider Parteien weisen
aber darauf hin, in der Praxis ist noch viel Luft nach oben, nicht nur
bei der Schließung von Braunkohletagebauen und dem tolerierten
Bau von neuen Start- und Landebahnen samt Billigfliegerei.
Zweifellos wäre es ein großer Schritt die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke
in Deutschland sofort vom Netz zu nehmen und die schwarz-roten Bremsen
am EEG zu lösen, es erfolgreich neu zu justieren. Völlig unstrittig
ist, würden viele der ökologischen Forderungen in den Wahlprogrammen
von Linken und Grünen umgesetzt, erreichte man eine deutlich bessere
Ausgangsposition, um die Klimaveränderungen abzumildern. All dies
müsste im internationalen Maßstab gesehen werden, die Vorbildwirkung
nicht unterschätzt. Doch bei genauerem Lesen fallen Zielkonflikte
auf. Man darf Zweifel anmelden, ob die linke Steigerung der Massenkaufkraft
mit ökologischen Lebensstilen harmonieren kann. Unstrittig mag sein,
die absurden sozialen Spreizungen im heutigen Turbokapitalismus müssen
angegangen werden und dies sollte für die Linkspartei ein Thema
sein. Die Ökologische Plattform und andere Umweltengagierte in der
Partei gaben über mehr als 25 Jahre hinweg, immer wieder Anstöße,
die eigenen ökologischen Positionen zu verbessern. Das schließt
immer Dazulernen ein. Abgeordnete, Minister etc. stehen anderen Anforderungen
gegenüber als ehrenamtliche MitstreiterInnen. Die Linke würde
im Blick der Öffentlichkeit stärker mit ökologischem Profil
wahrgenommen, wenn führende Köpfe, Wahlplakate etc. davon mehr
kund täten und kenntlich würde, all diese Erkenntnisse sind
nicht nur einen Nebensatz wert.
Die AfD dürfte von den Liberalen die rote Laterne in ökologischer
Sachkunde übernehmen, aber auch bei der Union sieht die Lage nicht überragend
besser aus. Insgesamt muss man konstatieren, die ökologische Herausforderung
wird von der Politik nur partiell verstanden. Ob am Ende einer hypothetisch
gedachten rot-rot-grünen Regierungszeit im Bund sich ein grundlegender ökologischer
Politikwechsel verzeichnen ließe, ist keineswegs ausgemacht. Nur
intelligentes Zusammenwirken aller Akteure und Rückenwind durch
die umweltbewegte Zivilgesellschaft, wird den langjährigen Stau
unerledigter Aufgaben lösen können.
Der jetzige politische Horizont reicht nicht aus, die weltweiten Gesellschaften
vor dem Niedergang durch komplexe Krisenszenarien zu bewahren. Wir führen
einen Krieg gegen die zukünftigen Generationen. Vier weitere Jahre
unter Merkel heißt den Status quo beibehalten. Mit jeder verlorenen
Dekade rückt mehr ins Sichtfeld, wir bewegen uns auf einer Pflasterstraße
mitten ins ökologische Desaster. Dirk C. Fleck gibt in seinem Roman „Feuer
am Fuß“ einen guten Einblick, wie die Lebenswelten beginnen
werden zu degradieren. Jared Diamond erfaßt präzise anhand
geschichtlicher Studien in seinem Buch „Kollaps“, langfristig
provozieren wir vorzivilisatorische Zustände, das Leben von Milliarden
Menschen wird auf der Kippe stehen.
Der Autor ist Herausgeber des Bandes "Wege zur ökologischen
Zeitenwende".
erschienen in der Beilage der Ökologischen Plattform der Tagezeitung
"Neues Deutschland" am 25.8.2017
|
|