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Das Ausmaß der
Klimaveränderungen wird unterschätzt
Treibhauseffekt und die Folgen: Vier aktuelle Bücher
Marko Ferst
Der Australier Tim Flannery verschränkt in seinem Band „Wir
Wettermacher“ zoologische Kenntnisse und Klimaforschung aufs Engste
und erschließt dem Leser damit eine spannende neue Wissenswelt.
Er nimmt ihn mit auf eine Reise rund um den Globus, zeigt anhand vielfältiger
Fakten auf, wie tief wir bereits in der Wärmefalle sitzen. Flannery
ist Professor für Zoologie, Di-rektor des South Australian Museum
in Adelaide und drehte viele Dokumentarfilme.
Er beschreibt z.B. wie sich das Reich der Eisbären, Pinguine und
Kegelrobben geradezu auflöst. Seit 1979 sind 20% der Eiskappe auf
dem Nordpolarmeer abgeschmolzen. Immer weniger Krill steht am Anfang
der Nahrungskette zur Verfügung. Dafür gibt es jetzt ein rapides
Wachstum an ungenießbaren gallertartigen Salpen. Das sind schlechte
Zeiten für Wale und viele andere Tiere. An den Polen vollzieht sich
die Erwärmung viel rasanter, als bisher angenommen. Offenes Meerwasser
stahlt kaum Sonnenenergie ab, im Gegensatz zu den weißen Eisflächen.
Damit wird es noch wärmer und der Rest des Ozeaneises taut in wenigen
Jahrzehnten ab. Flannery resümiert, die schwindende Zahl von Eisbären,
zeigt den beginnenden Zusammenbruch des gesamten arkti-schen Ökosystems
an.
Zweitartenreichstes Refugium der Erde sind die Korallenriffe. Auch sie
stehen auf der Kippe. Steigt die Temperatur der Ozeane nur wenig, bleichen
sie aus. Seeanemonenähnliche Polypen leben in Symbiose mit speziellen
Algenarten. Wird es wärmer sinkt die Fähigkeit zur Fotosynthe-se
durch die Algen und die Polypen werfen sie aus ihrem Heim. Innerhalb
von zwei Monaten verhungern die Polypen, nur ein Riffskelett bleibt übrig.
Was hat die Goldkröte in Costa Rica mit dem Klimawandel zu tun?
Ihre Leichtümpel waren nicht mehr tief genug durch fehlenden Win-terregen.
Das machte die Kaulquappen für eine Pilzerkrankung anfällig.
Laichten sie in tieferen Gewässern, wurden sie von den Fischen gefressen.
So starben sie aus wie unzählige andere Krö-ten- und Froscharten.
Bis 2050 müssen nach Flannery weltweit 70% aller Klimagase reduziert
sein, wenn man der Kata-strophe entgehen will. In der Klimaforschung
zeigt sich seit einigen Jahren, so Flannery, wir un-terschätzen
die zerstörerischen Potentiale. Ein Beispiel ist die sogenannte
globale Verdunkelung. Rußpartikel aus Industrieabgasen etc. sorgten
in den vergangenen Jahrzehnten stärker als ange-nommen dafür,
den Treibhauseffekt zu dämpfen. Sie absorbierten einen erheblichen
Anteil der Sonneneinstrahlung. Maßnahmen zur Luftreinhaltung bewirken
seit den 80er Jahren, daß langsam der dämpfende Effekt der
Aerosole abgebaut wird.
Am Ende der letzten Eiszeit führte eine Erhöhung der CO2 –Konzentration
von 100 Teilen pro Million zu einer Erwärmung von 5 Grad im globalen
Durchschnitt. Genau diese Summe hat der Mensch, seit der Industrialisierung
jetzt noch mal oben drauf gelegt. Flannery verweist darauf, die meisten
Computermodelle, errechnen für die dreifache Menge an CO2 in der
Stratosphäre nur eine Temperaturerhöhung um rund 3 Grad. Er
meint, dies könne nicht stimmen. Die BBC-Dokumentation „Schwarze
Sonne“ hatte in diesem Kontext für das Jahr 2040 in Europa
eine durchschnittliche Temperaturerhöhung von 10 Grad für möglich
gehalten, wenn der Aerosolge-halt weiter sinkt. Der Realtest wird bald
zeigen, ob solch ein beschleunigter Klimawandel tatsäch-lich zum
Zuge kommen kann oder es langsamer vonstatten geht - weitere Faktoren
zu berück-sichtigen waren.
In Ozeanen und im Permafrost sind gigantische Mengen an Methanhydraten
gespeichert, die bei Temperaturerhöhungen freigesetzt, einen extrem
starken zusätzlichen Treibhauseffekt auslösen. Flannery hält
die noch für unwahrscheinlich. Untersuchungsergebnisse in Sibirien
zeigen jedoch, dieser Prozeß beginnt bereits großflächig
im Permafrost. Höhere Temperaturen könnten das schnell beschleunigen.
Die Methanhydrate sind wahrscheinlich für das schlimmste Massensterben
in der Evolution verantwortlich gewesen - im Perm vor 245 Jahren. 90%
aller Tier- und Pflan-zenarten starben aus.
Aktuell sind auch weitere Bücher zu dem in Gang gekommenen klimatischen
Veränderungen erschienen. Dazu gehört von Stefan Rahmtorf und
Hans Joachim Schnellnhuber der Band „Kli-mawandel“. Die Forscher
beschäftigen sich zunächst mit der Klimageschichte und gehen
dann auf einzelne Phänomene ein, wie zum Beispiel die Versauerung
der Ozeane durch CO2. Nimmt dieser menschliche Einfluß zu, kann
er am Ende die Nahrungsketten im Ozean empfindlich zer-stören.
Im Band werden auch die Probleme in der öffentlichen Diskussion
zum Klimawandel themati-siert. Besonders hervorhebenswert: Die Autoren
weisen nachdrücklich darauf hin, die Gesell-schaften müssen
heute beginnen sich an die Klimaveränderungen anzupassen. Alle Planungs-maßnahmen
zu Raumordnung, Stadtentwicklung, Infrastruktur, Küstenschutz und
Landschafts-pflege etc. wären zu überprüfen. Sie müssen
so angelegt sein, daß durch sie in den kommenden Klimaveränderungen
keine zusätzlichen Nachteile entstehen. Sie schlagen vor, dies durch
geeig-nete Anhörungsverfahren sicherzustellen.
Elizabeth Kolbert unternimmt in ihrem Band „Vor uns die Sintflut.“ in
reportageartigen Beiträ-gen Ausflüge zu den Orten auf der Erde,
wo sich die Klimaveränderungen besonders stark aus-wirken werden
oder sich schon ausgewirkt haben. In der Arktis wurden bereits Dörfer
umgesie-delt und weitere kommen hinzu. Einst waren sie durch Eis geschützt.
Das offene Wasser sorgt jetzt bei Sturm für Zerstörungen. Kolbert
stellt uns zahlreiche Forscher vor, wie sie z.B. den Permafrost oder
die Ausbreitung der Populationen von Schmetterlingen in Richtung Norden
untersuchen. Mückenforscher können Aufschluß darüber
geben wie schnell sich die Malaria in bevölkerungsreiche Gebiete
ausbreiten wird und wie man diese Entwicklung verzögern kann. Die
Autorin zeigt auf, warum die Niederlande früher oder später
immer mehr Flächen, die sie einst dem Meer abgerungen haben, aufgeben
werden müssen. Eingestreut in die vielen spannenden Reportagen der
amerikanischen Journalistin sind zahlreiche Fakten zum Klimawandel. Die
US-Politik und die Verweigerungshaltung vieler Industriezweige mehr für
den Klimaschutz zu tun, nimmt sie unter scharfe Kritik. Das Land stößt
heute 20% mehr CO2 aus wie 1990 und fast dop-pelt soviel pro Person wie
in Deutschland.
In dem Band „Im Klimawandel angekommen“ gibt Dieter Lehmann,
als Naturschützer im NA-BU aktiv, einen populärwissenschaftlichen
Einblick in die Thematik. Er zeigt die vielfältigen un-gewöhnlichen
Wetterereignisse der letzten Jahre auf, führt durch die Verhandlungen
die ins Kyo-to-Protokoll mündeten und verweist auf die Schwierigkeiten
es zu ratifizieren. Die Umstellung auf erneuerbare Energien, Ökosteuern
statt Besteuerung von Arbeit, mehr Energieeffizienz und vieles mehr gehört
zu seinen Vorschlägen, wie man den Klimawandel abbremsen könnte.
Auch die anderen Autoren verweisen auf zahlreiche alternative Möglichkeiten
und bewerten diese. Be-sonders Flannery und Kolbert befürchten jedoch,
der Punkt von dem es keine Rückkehr gibt, ist bereits überschritten
und es dürfte immer wahrscheinlicher werden, daß wir mit einem
Untergang der heutigen Kulturen rechnen müssen.
Tim Flannery: Wir Wettermacher. Wie die Menschen das Klima verändern
und was das für unser Leben auf der Erde bedeutet, S. Fischer Verlag,
2006, 398 S., 19,90 €
Stefan Rahmtorf, Hans Joachim Schnellnhuber: Der Klimawandel. Diagnos,
Prognose, Therapie, C.H.Beck, 2006, 144 S., 7,90 €
Elizabeth Kolbert: Vor uns die Sintflut. Depeschen von der Klimafront,
Berlin Verlag, 2006, 222 S., 19,90 €
Dieter Lehmann: Im Klimawandel angekommen. Was nun?, Projekte Verlag,
2005, 235 S., 24,50 €
tarantel Nr.34
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