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Ökologische Utopie
für
eine solidarische Zivilisation
Robert Havemann, kritischer Sozialist und Ökologe, wurde am 11.
März vor 100 Jahren geboren.
Marko Ferst
Robert Havemann stritt für einen „Berliner Frühling“,
eine grundlegende Reform der Politbürokratien. Eine zweite revolutionäre
Umwälzung hin zu einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz sei
notwendig. Er forderte, der Artikel 27 der DDR-Verfassung, das Recht
auf freie Meinungsäußerung, müsse endlich verwirklicht
werden. Diesen Aspekt wird man bei der größten Demonstration
gegen die spätstalinistischen Zustände in der DDR am 4.11.1989
in hervorgehobener Form wiederfinden. Havemann inspirierte durch sein
unerschrockenes Handeln die Oppositionsbewegung in der DDR.
Er sieht in der östlichen deutschen Republik einen Staat mit absolut
pyramidaler Hierarchie, regiert durch das Diktat einer Clique von Parteifunktionären.
An der Spitze stehe ein Mann mit fast absolutistischer Herrschaftsmacht.
Darunter gibt es stufenförmig einander untergeordnete Herrschaftsebenen.
Havemann will Oppositionsparteien und -gruppen zulassen, forderte eine
umfassende Freiheit der Medien. Für jedes Mandat in der Volkskammer
wären mehrere Kandidaten aufzustellen. Die Wahlentscheidung solle
nicht nur zwischen verschiedenen Parteien möglich sein. Es müsse
zudem die Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Personen geben. Die
Abgeordneten der Volkskammer hätten in freier Rede ihre Gedanken
auszuführen, ohne dafür bestraft zu werden und die Redemanuskripte
zuvor genehmigen zu müssen.
Nach seiner später auch publizierten Vorlesungsreihe „Dialektik
ohne Dogma“ 1963/64 verlor er die Anstellung an der Humboldt-Universität
und die SED-Parteimitgliedschaft. Die weitgehend philosophisch-naturwissenschaftlichen
Ausführungen spickte der Professor mit Überlegungen wie - die
Menschen in der DDR dürfen nicht konfektioniert werden, man darf
sie nicht den behördlich genehmigten Ansichten unterwerfen. Wer
die Folgen einer umfassenden uneingeschränkten Information fürchtet,
zieht dadurch gerade unheilvolle Entwicklungen an, statt sie abzuwenden.
Ungenehme Pressebeiträge Havemanns in Westdeutschland führen
am Ende zum Berufsverbot. Noch 1959 zeichnete man ihn als verdienten
Wissenschaftler mit dem Nationalpreis der DDR aus. Doch die Enthüllungen
des XX. Parteitags der KPdSU verändern allmählich seine Sicht,
später kritisiert er selbst seine einstige Parteihörigkeit.
Havemann läßt sich den Mund von den SED-Oberen nicht verbieten.
Er verfügt über Erfahrungen mit Widerstand. Einst half er untergetauchten
Juden und arbeitete mit illegal organisierten Zwangsarbeitern zusammen,
begründete die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ mit.
Verurteilt, sollte er wie seine Mitstreiter im Zuchthaus Brandenburg
auf dem Schafott hingerichtet werden. Freunde erreichten für ihn
einen Aufschub durch kriegswichtige Forschung. Noch in dieser Situation
bastelt er in seiner Laboratoriumszelle ein Radio und fertigt eine illegale
Zeitung für die Zuchthausgenossen.
Eine Vielzahl von politischen Beiträgen veröffentlichte Havemann
international, nachdem er in Ungnade gefallen war, viele westliche Publizisten
schreiben über ihn. Werner Theuer und Bernd Florath listeten dies
in ihrer Bibliographie mit Havemanns nachgelassenen Texten akribisch
auf. 1976 setzte man ihn für mehr als zwei Jahre unter Hausarrest.
In Grünheide wurde der gesamte Straßenzug, in dem er wohnte,
hermetisch abgeriegelt. Zeitweise ließen die DDR-Oberen ihn mit
mehr als 200 Personen operativ bewachen. 1979 beschlagnahmten die Organe
seine Bibliothek und Arbeitsmittel. 10000 Mark Strafe brummten sie ihm
auf wegen einem seiner im Westen publizierten Bände. Katja Havemann
und Joachim Widmann zeichnen in ihrem Buch „Robert Havemann - oder
wie die DDR sich erledigte“ nach, wie sich der Belagerungsalltag
bei soviel ungefragter Sicherheit gestaltete. Gewaltige 300 Aktenordner
legte die Stasi an, um den prominenten Regimekritiker operativ zu bearbeiten.
Sein
letztes Werk „Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg“ dürfte
neben dem Rudolf Bahros „Alternative“ zu einem der interessantesten
politischen Bücher gehören, das in der DDR entstanden ist.
Den verschiedenen Weltmächten empfahl Havemann, einseitig mit militärischer
Abrüstung zu beginnen, um ein atomares Inferno abzuwenden. Er hielt
in dem Band weder die östlichen noch die westlichen Systeme für
fähig, auf Dauer eine zukunftsfähige Gesellschaft zu sichern.
Havemann thematisierte die ökologische Zivilisationsproblematik
1980 wie kein anderer Autor aus der DDR. Nur Wolfgang Harich hatte in „Kommunismus
ohne Wachstum“ erstmals die Frage nach den ökologischen Grenzen
für die östlichen Systeme aufgeworfen, leider nicht ganz frei
von stalinistischen Zügen. Havemann sah, die ökologische Krise
entwickelt sich allmählich zu einer existentiellen Herausforderung
für die Menschheit.
Eine utopische Reise in eine umweltgerechte Zukunftsgesellschaft ist
darüber hinaus nur von ganz wenigen Autoren weltweit versucht worden.
Ein ähnliches Experiment stellt die Reisereportage „Ökotopia“ von
Ernest Callenbach aus den USA dar mit eher anarchistischem Ansatz. Die
Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Zielkonflikte beider Entwürfe
zu vergleichen ist äußerst spannend.
In Havemanns Zukunft angekommen, gehören die Autolawinen der Vergangenheit
an. Man lebt viel bescheidener, aber man lebt gut. Nur noch zehn Prozent
des einstigen Energiebedarfs werden benötigt. Die Produkte wechseln
nicht mit der nächsten Mode ihr Gesicht und halten viel länger
als unsere Güter. Sie sind auf extreme Langlebigkeit getrimmt. Rüstungsindustrie
und Werbung sind abgeschafft. Erneuerbare Energien sind zu finden, seine
atomaren Fusionskraftwerke wird man hoffentlich nicht mehr bauen. Viele
Produktionsprozesse laufen vollautomatisiert in wenigen Zentren auf dem
Planeten ab. Zu fragen ist, ob nicht die meisten Güter umweltgerecht
nur regional herzustellen sind?
Lebenslanges Lernen und selbst ausgeübte Kultur und Kunst spielen
in seinem Zeitsprung eine viel größere Rolle als heute. Es
geht nicht um Zensurenlernen oder das Lernen, um als Arbeiter eingepaßt
zu funktionieren. Freie Bildung soll angeeignet werden. Das braucht keine
Zensuren, Diplome und andere Titel. Frauen nehmen in Utopia wieder eine
stärkere Rolle ein. Von einem neuen Matriarchat ist die Rede, das
in vielerlei Hinsicht keine einfache Wiederholung des historischen sei.
Offensichtlich sind die jahrtausendelang verfestigten patriarchalen Strukturen,
doch vakant bleibt bei ihm, wie sich dies substantiell auflösen
läßt bis in die zivilisatorischen Tiefenschichten hinein.
In Utopia sei Nicht-Haben der Reichtum. Das Leben ist nicht mehr ein
Kampf um das Haben von Sachen und Menschen. Ziel ist es auch sich selbst
zu verändern, stärker das hohe Leben ohne Handeln, ohne Absicht
einzuüben. Genügsamkeit und Verzicht wären keine Tugenden,
sondern die Voraussetzung aller Lebensfreude. Havemann verstand ökologische
Zukunftsforschung als eine kritische Auseinandersetzung mit der Welt
in der wir leben. Man möge mithelfen und weiterdenken, damit ein
vielfarbigeres Bild entstehen kann, neue Ideen hinzukämen. Als Ökologische
Plattform bei der LINKEN legten wir aktuell den Band „Morgen“ neu
auf, so ist er wieder im Buchhandel verfügbar. Bedauerlich ist,
die große Mehrheit der Linken nahm den ökologischen Impuls
von Havemann oder auch Bahros „Logik der Rettung“ nicht auf.
Havemann hielt den Wachstumszwang kapitalistischer Gesellschaften für
ein zentrales Problem. Eine ökologische Rettung der Zivilisation
würde jedoch stark schrumpfende Industriegesellschaften erfordern.
In Politik und Programmatik der heutigen GRÜNEN oder der LINKEN
sucht man vergeblich nach solch unbequemen Wahrheiten. Nach dem Scheitern
des Kopenhagener Klimagipfels - in den letzten Jahren stieg der globale
Ausstoß an Treibhausgasen weltweit rasant an - da könnte Havemann
recht behalten: Ohne eine ausbeutungsfreie, ökologische Gesellschaft
droht die Barbarei. Der Untergang der Maya oder des altägyptischen
Reiches durch großregionale natürliche Klimaänderungen
zeigt in den archäologischen Befunden - dies ist wörtlich zu
nehmen.
Neues Deutschland, 6.3.2010
mehr zu Robert Havemann
www.umweltdebatte.de
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