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Inspiration aus der Welt der Malerei
Der Dichter Ulrich Grasnick begeht seinen 80. Geburtstag
Von Marko Ferst
Bei zurückliegenden runden Geburtstagen des Jubilars baute der
Musikprofessor Günter Schwarze sein Porzellanglockenspiel auf. So
traten sie gemeinsam in der Lesung auf. Wer immer unter dem Publikum
saß, eine solche Vorstellung bleibt tief im Gedächtnis haften,
das Glockenspiel ein exzellenter Hörgenuss. Schwarze vertonte in
einem Oratorium zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche Grasnicks
Gedicht „Das Licht der Steine löscht die Nacht“. Das
Oratorium gedenkt nicht nur hiesigen Opfern, sondern auch der in Coventry
und setzt gelebte Versöhnung in den Mittelpunkt.
In Pirna geboren, studierte Ulrich Grasnick ab 1959 an der Hochschule
für Musik in Dresden. Dort lernt er seine Frau Charlotte kennen,
gemeinsam gehören sie zum Ensemble der Komischen Oper Berlin unter
Walter Felsenstein und treten im Rundfunkchor Berlin auf. Ebenfalls zusammen,
veröffentlichen sie später den Lyrikband „Flugfeld für
Träume“, Bilanzen einer Partnerschaft, Liebesgedichte, gewagte
Einsichten, illustriert durch Grafiken von Wilhelm Lachnit.
Seit 1973 Grasnicks erster Gedichtband „Der vieltürige Tag“ erschien,
folgen regelmäßig weitere. Zunächst spielen Natur, Landschaften,
die Gitarre von Victor Jara in Chile, ölverschmutzte Meere eine
Rolle, der DDR-Aufbau jener Jahre scheint hindurch. Für damalige
Zeiten holten Gedichte, die auf Wien oder Paris zielten, ein Stück
westliche Welt auf östliche Buchseiten. 2003 in dem Band „Fels
ohne Eile“ wird er erneut ins Elbsandsteingebirge zurückkehren.
Grasnicks Gedichte wirken wie leichte Wortgewebe, frei schwebend und
zumeist zeigen sie nur die Richtung an, geben viel Raum für Assoziationen.
Ein großes Kapitel für sich ist die Malerei und der Dichter.
Begonnen hatte alles mit dem Band „Pastorale“ zu Gemälden
und Holzschnitten des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff. In „Das
entfesselte Auge“ führt Grasnick einen poetischen Gedankenaustausch
mit Pablo Picasso, so gerät sein Guernica-Bild ins Blickfeld.
Aus der Bodenverstärkung eines Westpaketes, ein alter Kalender mit
Motiven von Marc Chagall, entspinnt sich eine besondere Inspiration.
Dieser Künstler wird Grasnick lebenslang begleiten und seine Gedichte
zu Bildern des Malers russisch-jüdischer Herkunft, zu finden in „Liebespaar über
der Stadt“, gefallen dem in Frankreich lebenden Chagall und er
lädt ihn zu sich ein. Ihn beeindruckt wie der Dichter „Nebenstraßen“ auf
seinen Bildern aufleuchten lässt. Zwar wird der Grenzübertritt
nach Frankreich am Ende genehmigt, doch ohne Valuta, ein heikler Ausflug,
der gitarrenbegleitete Sangeskünste auf der Straße motiviert.
Das zweite, Bilder Chagalls nachspürende Buch „Hungrig von
Träumen“ 1990 markiert unter anderem Werke, die in Mannheim
1933 durch die Nazis verbrannt wurden. Im Band sind auch einige Passagen
von Gedichten Chagalls abgedruckt, die Grasnick einst nachdichtete und
in der Radiosendung „Stunde der Weltliteratur“ vortrug.
Anfang 2018 legte Grasnick seinen dritten Band im Dialog zu Bildern Chagalls
unter dem Titel „Fermate der Hoffnung“ vor. Erstmals findet
man hier Gedichte von ihm zweisprachig vor, jeweils in deutscher und
in russischer Sprache, übersetzt von Wjatscheslaw Kuprijanow sowie
Irina und York Freitag. Fermate können dabei einen Ruhepunkt in
der Musik bezeichnen oder die Dehnung eines letzten oder vorletzten Verses,
der das metrische Schema öffnet. Die Gedichte scheinen wie ein Wechselspiel
zwischen poetischen wie musikalischen Zeichen und der Sphäre des
Malens, eine künstlerische Wanderung. Grasnick sucht den Herzschlag
der Bilder unter dem Firnis, beschreibt wie wir uns in ihnen selbst anfangen
zu finden, sie uns wie ein Traum umfangen.
Druckfrisch zu Grasnicks achtzigstem Geburtstag publizierte der Quintus-Verlag
den Gedichtband „Auf der Suche nach deinem Gesicht“. Es ist
eine Reise zu dem Dichter Johannes Bobrowski und seinen Landschaften.
Grasnick besuchte die Geburtsstadt des Dichters Tilsit, die heute Sowjetsk
heißt, findet in der Smolenskaja die grünspanige Gedenktafel.
Oft überschneiden sich innere Bilder und die Eindrücke, gewonnen
vor Ort. Bis nach Willkischken wird er seinen Spuren folgen, wo es ein
kleines Museum gibt, in dem Bobrowskis Arbeitszimmer nachgebildet wurde
mit dem originalen Mobiliar aus Berlin-Friedrichshagen. Willkischken
ist der Handlungsort seines Romans „Litauische Claviere“.
Auf der Suche nach einem Land, das größer schien als das seine,
schreibt Grasnick: „Zwischen welche Barrieren/ ist es geraten-/
Sprache von Bernstein/ dunkel und hell,/ mit aufgebrochener Kruste/ aus
dem Schatten/ der blauen Erde.“
Verdienste erworben hat sich Grasnick mit der Leitung des Köpenicker
Lyrikseminars, das seit 1975 existiert und auch aktuell sich zusammenfindet
im „Kulturzentrum Adlershof“. Zuletzt wurde 2014 aus diesem
Kreis heraus die Anthologie „Seltenes spüren“ publiziert,
an einer neuen wird gearbeitet. Zum zweiten Mal schrieb er auch einen
Lyrikpreis auf seinen Namen aus, eine unabhängige Jury wird begutachten,
bis zum 30. Juni sind Einsendungen möglich.
Am Mittwoch, den 13. Juni 2018 findet in Berlin um 19.30 Uhr eine
Lesung mit Ulrich Grasnick anlässlich des 80. Geburtstages statt unter
dem Titel „Wenn wir den Atem anhalten“ im Kulturzentrum Adlershof,
Dörpfeldstr. 54
erschienen am 4.6.2018, Neues Deutschland, eine zweite kürzere
und gänzlich andere Version erschien in der "Ostseezeitung"
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