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Evakuieren ist Gebot der Stunde
Gebiete in mehr als 400 Kilometer Entfernung
könnten stark kontaminiert
werden
Von Marko Ferst
In Fukushima drohen gleich mehrere Reaktoren mit je über 1000 Megawatt
Leistung ihr radioaktives Inventar freizusetzen. Im Gegensatz zu Tschernobyl
würde es bei einem Super-GAU in Japan keinen Graphitbrand geben,
der zu starken Aufwinden führt und die radioaktiven Partikel auch über
große Distanzen exportiert. Diese Stoffe würden wegen der
niedrigeren Freisetzungshöhe von ca. 150 Metern je nach Windrichtung
und Niederschlagsgebieten im Umkreis von wenigen hundert Kilometern konzentriert
niedergehen. Damit besteht die Gefahr weit höherer radioaktiver
Belastung in diesem Gebiet als vor knapp 25 Jahren in der Sowjetunion.
Wenn mehrere Reaktoren maximale Mengen freisetzen, steigert sich dieses
Potential dramatisch. Überdies wäre der Reaktor 3 mit Mischoxid-Brennelementen
besonders gefährlich wegen des zusätzlichen Plutoniumdioxids.
Das Becken mit alten Brennelementen könnte sich zu einer Situation
entwickeln, als ob man ein AKW im Freien betreibt.
Letztlich gibt es vor der atomaren Strahlung nur einen wirksamen Schutz:
Es muss großräumig evakuiert werden. Stark verstrahlte Gebiete
sind im Umkreis von mindestens 400 Kilometern zu erwarten entsprechend
möglicher Windrichtungen. In Weissrussland existieren noch in diesem
Radius Gebiete die ähnlich hoch belastet sind wie in der Sperrzone.
Evakuierung erscheint auf den ersten Blick aussichtslos angesichts von
mehr als 50 Millionen Menschen, die betroffen wären, allein im Großraum
Tokio 35 Millionen. Jedoch nur eine Zone von 20 Kilometern zu evakuieren,
ist geradezu abenteuerlich. Seit dem Wochenende verstrich wertvolle Zeit
ungenutzt. Man hätte beginnen können, insbesondere Kinder und
Jugendliche als erstes, nach Südjapan oder auf die Nordinsel Hokkaido
in die „Ferien“ zu schicken. Schwangere müssen aus der
Gefahrenzone. Wenn die Regierung ihre Mitbürger in den weniger gefährdeten
Landesteilen bitten würde, je ein Zimmer für Menschen aus den
betroffenen Regionen zur Verfügung zu stellen: Das wäre eine
unkonventionelle aber praktikable Möglichkeit, um nicht nur auf
Schulen und Turnhallen angewiesen zu sein und würde in dieser akuten
Notsituation sicher von vielen akzeptiert.
Zug um Zug ließen sich zuerst die gefährdetsten Bereiche ringförmig
um den AKW-Komplex evakuieren - 40, 60 Kilometer usw. Geordneter Rückzug
kann helfen unkontrollierbare Panik zu mindern. Die USA empfehlen z.B.
eine größere Evakuierungszone, raten ihren Bürgern das
Gebiet in 80 Kilometer Umkreis zu verlassen. Das Auswärtige Amt
legt den Deutschen nahe, aus dem Großraum Tokio abzureisen nach
Osaka bzw. ins Ausland.
Alle Möglichkeiten effektiven Transports wären in großem
Massstab zu mobilisieren, auch angesichts knappem Treibstoffs. Armee,
Busunternehmen, die Bahn, soweit noch intakt, müßten versuchen
Tag und Nacht soviel wie möglich Menschen gänzlich aus der
Gefahrenzone zu bringen. Schiffe auf der vom Tsunami nicht geschädigten
Westseite Japans sind einsetzbar. Hilfsangebote nach Korea oder Russland
auszureisen sind sinnvoll. Allein, wenn es gelänge 5-10 Millionen
Menschen in relativ sichere Gebiete zu bringen, wäre dies eine beachtliche
Leistung.
Kommt die radioaktive Wolke, müssen sofort die Medien informieren.
Dann ist vorübergehend der sicherste Aufenthalt in einem luftdichten
Keller. Auch Jodtabletten, die ohnehin nur gegen eine Krebsart helfen,
wird man nicht vorab überall verteilt bekommen. Ist ein Super-GAU
eingetreten, wird wichtig kontaminierte Nahrungsmittel aus dem Verkehr
zu ziehen, der hauptsächliche Weg bei der Aufnahme von Radionukliden.
Hierbei könnte internationale Hilfe die Situation entschärfen.
Selbst wenn ein Großteil der radioaktiven Wolke über dem Ozean
abtreibt, wird es große Gebiete geben, die komplett entsiedelt
werden müssen. Dies nicht konsequent genug zu tun, heißt unzählige
gesundheitliche Spätschäden in Kauf zu nehmen.
Vom Autor erschienen: Täuschungsmanöver Atomausstieg? Über
die GAU-Gefahr, Terrorrisiken und die Endlagerung
ND, 18.3.2011, Org.
www.umweltdebatte.de
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