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Der Sozialökologe
und Regimekritiker Rudolf Bahro (1935-1997)
MARKO FERST
Als die sowjetische Führung den Prager Frühling
in der Tschechoslowakei 1968 mit Panzern erstickte, entschuldigte sich
Rudolf Bahro bei der Prager Botschaft für das Verhalten auch der
eigenen Genossen. Bereits ein Jahr zuvor war er unliebsam aufge-fallen.
Damals als Zweiter bei der Zeitschrift "Forum" nutzte er den
Urlaub seines Chefs, um von Volker Braun das Stück "Kipper Paul
Bauch" abzudrucken. Das Stück sollte nicht diskutiert werden.
Er selbst wurde nach diesem Akt von den Parteioberen abgesetzt und in
die Produktion geschickt.
Seine berufliche und politische Laufbahn hatte er nach einem Philosophiestudium
als SED-Agitator in einem ländlichen Betrieb begonnen. Später
redigierte er im Auftrag der SED-Kreisleitung die Universitätszeitung
von Greifswald, bis er als Referent in die Zentrale der Gewerkschaft Wissenschaft
im FDGB nach Berlin gerufen wurde. Nach der Zeit beim "Forum"
arbeitete er zuletzt als Abteilungsleiter für wissenschaftliche Arbeitsorganisation
beim VEB Gummikombinat.
Den Bau der Berliner Mauer begrüßte Bahro noch, um die DDR
zu halten, weil man jeweils am Morgen nicht wußte, wer auch von
den Genossen noch da ist. Das trübte seinen Blick nicht dafür,
daß der Sozialimus nicht so geworden war, wie er als Anspruch hochgehalten
wurde. Etwa die Partei-Losung "Was des Volkes Hände schaffen,
soll des Volkes eigen sein", die Anfang der sechziger Jahre am Marx-Engels-Platz
prangte, erregte seinen Unmut. Ihm wurde klar: "Die wollen nicht
weiter." Längst war ihm aufgegangen, mit dem ursprünglich
gemeinten Sozialismus hatten die Verhältnisse in den östlichen
Systemen nichts mehr zu tun. Es entwickelte sich bei ihm die Idee, er
will den Parteioberen etwas liefern, das schlimmer sein sollte als ihre
Pan-zer 1968 in Prag.
Seit Anfang der siebziger Jahre arbeitete er an dem Buch "Die Alternative.
Zur Kritik am real existierenden Sozialismus". Jahrelang führte
er ein Doppelleben: Tagsüber werkte er im Kombinat, nach Dienstschluß
tippte er sein Manuskript auf der Schreibmaschine. In dieser Zeit entstand
auch ein Essay über Beethoven, der neben Friedrich Hölderlin
ein "Leitstern" seiner Jugend war. Außerdem schrieb Rudolf
Bahro eine Dissertation über die Entfaltungsbedingungen von Hoch-
und Fachschulkadern in der DDR. Sie wurde abgelehnt.
Am 22. August kam dann sein großer Auftritt: Der Spiegel kündigte
sein Buch "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus"
an. Er wurde verhaftet, die Wohnungstür versiegelt. Längst lagen
Bahros Thesen aber in Buchform als "Sprengsatz" bei einem Kölner
Verlag. Zwar wußte die Stasi schon länger von seinem Tun, jedoch
ist noch immer unklar, warum sie, wie sich Bahro mal ausdrückte,
so einen dicken Fisch wie mich, nicht weggefangen haben.
In seinem Buch und anderen vorbereiteten Materialien warf er der Partei
Verrat am Sozialismus vor, machte kenntlich wie die Idee ausgehöhlt
worden war und schlug eine weitgehende Reform der Apparate-Herrschaft
vor. All dies entfaltete er auf der Grundlage marxistischer Optionen.
In diesem Zusammenhang ist es auch ganz lohnend, die Dokumentation "Ich
werde meinen Weg fortsetzen" zu lesen, in der die Thesen des Buches
in sechs Aufsätzen konzentriert zusammengefaßt sind und einige
wichtige Zeitungsbeiträge, die sein Handeln kommentieren.
Die Machthabenden in der DDR erfanden die Lüge vom Spion und verurteilten
ihn zu acht Jahren Gefängnis. Wahrscheinlich ist es nicht ganz unmaßgeblich
seinem Anwalt Gregor Gysi zu verdanken, daß er nach gut 2 Jahren
zum 30. Jahrestag der DDR amnestiert wurde und in die Bundesrepublik ausreisen
konnte.
Auch wenn das gesellschaftliche System, das in der "Alternative"
zur inneren Reform anstand, inzwischen das Zeitliche gesegnet hat, die
Lektüre kann trotzdem interessant sein. Hat sich heutzutage die allgemeine
Emanzipation erledigt? Sollten wir uns dem blinden Spiel der kleingläubigen
Egoismen preisgeben? Ist es nicht nach wie vor eine geschichtliche Aufgabe,
die Subalternität, als Daseinsweise "kleiner Leute", zu
überwinden und insbesondere die damit verbundenen Bedürfnisstrukturen?
Darf man über die Aufhebung der alten, vertikalen Arbeitsteilung
nicht ganz neu nachdenken? Schon in der "Alternative" macht
Bahro darauf aufmerksam, der innere Wandel des Menschengeschlechts ist
ein zentraler Zugang, um der grenzenlosen Expansion der materiellen Bedürfnisse
Einhalt zu gebieten.
Nach seiner Ankunft im anderen deutschen Staat wendete Bahro sich den
Grünen zu. Carl Amery hatte ihn im Westen, aus der Alternative ließ
sich dies bereits erkennen, als "heimlichen Grünen" angekündigt.
Dort interessierte Bahro das Bündnis von Dutschke bis Gruhl, das
quer zu den bisherigen sozialpolitischen Fronten verlief. Er meinte, die
ökologische Krise könne nur von so einem breiten Bunde her politisch
angegangen werden. Sein Engagement blieb vergeblich. Den Grünen ging
es nur um Ökokosmetik, den modernen Lebensstil stellten sie nicht
in Frage. So schrieb er z.B.: "Obwohl in der Idee bei Ökopax
geblieben," da konnte er von künftigen Kriegseinsätzen
noch nichts wissen, "haben sie vor lauter Reformismus und Machtbe-teiligungsdrang
die ursprüngliche Substanz ihres Ansatzes ganz in tagespolitisches
Kleingeld umgewechselt." Eine Resolution zum Tierschutz, die den
Standpunkt des "vernünftigen Experimentators" verteidigte,
war dann nur der letzte Anstoß für den Austritt 1985.
Für schlechte Presse sorgte Bahros Besuch in der Bhagwan-Kommune
in Oregon. Ihm ging es dabei nicht darum, dort oder auch in anderen Projekten
der Weisheit letzten Schluß zu vermuten, sondern ihm war die direkte
Erfahrung wichtig, um dann zu sehen, wo die Dinge eben auch grundsätzlich
schieflaufen bzw. wo etwas zu lernen ist. Oberflächliche Zeitungsmeldungen
hielt er dabei als Zugang nicht für geeignet.
Eine Auseinandersetzung mit den westlichen Systemen verfolgte Bahro konzentriert
in seinem zweiten Hauptwerk "Logik der Rettung". Dort zielt
er auf eine grundsätzliche Kritik der patriarchal-kapitalistischen
Zivilisation. Täglich gelangen weltweit Millio-nen Tonnen Treibhausgase
in die Atmosphäre und schließen die Wärmefalle immer weiter,
ungefähr drei- bis vierhundert Tier- und Pflanzenarten sterben täglich
aus. Die Wüstenregionen nehmen Quadratkilometer um Quadratkilometer
mehr Land in Beschlag. Innerhalb weniger Generationen werden die nicht
erneuerbare Rohstoffe wie z.B. Erdöl aufgebraucht, die in Jahrmillionen
entstanden. Die Bevölkerungszahl auf der Erde verdoppelt sich in
immer kürzeren Abständen, ebenso wie die "Geburtenrate"
von Automobilen. Alle 90 Minuten ist im brasilianischen Regenwald ein
Gebiet von der Größe Kölns abgerodet. Mit 3000 m²
pro Sekunde vernichten wir global den Wald, mit 1000 Tonnen pro Sekunde
erodiert der Boden. Erst aus einer zusammenhängenden Panoramaschau
einer Vielzahl solcher Daten kommt langsam zum Vorschein, was da eigentlich
auf uns zurollt.
Wir sind langfristig dabei, die irdischen Belastungsgrenzen an immer mehr
Stellen zu durchbrechen. Bahro meint, wir müßten die Industriegrundlast
im Schnitt um den Faktor 10 zurückfahren, wenn wir die Absicht haben
sollten, auf der Erde weiter verweilen zu wollen. Die ökologische
Weltkrise stelle unsere gesamte Gesellschaftsverfassung in Frage bis in
die tiefenpsychologischen Strukturen hinein. Dies verbindet er mit einer
grundsätzlichen Kapitalismuskritik, spart aber auch Fragen nach dem
darunterliegenden patriarchalen Untergrund und dem europäischen Entstehungshorizont
nicht aus. In dem Machtsyndrom vom patriarchalen Ego bis hin zu den modernen
wissenschaftlich-industriellen Exzessen, darin daß sich die europäisch
männlich disponierte Vernunft angstvoll abwehrend gegen die Natur,
den Körper, die Frau, das Weibliche gestellt hat, liegt der harte
innere Kern der ökologischen Krise. Er kristallisiert sich um den
Trieb zur kompensatorischen Ansammlung von Insignien, Sachen, Erkenntnissen
und Siegen. Der permanente Aktionszwang unserer Kultur treibt sie ihrem
Abgrund entgegen.
Bahro verweist darauf, es reicht nicht aus, die Marxsche Vision der Verwaltung
von Sachen anzustreben, wir brauchen auch eine Emanzipation von der Selbstsucht
und vom Habenmüssen. Ökologische Politik beginne mit dieser
inneren Perspektive. In seinem Aufsatz zum "Homo Integralis"
schrieb er, daß die Harmonie der Geister der Anfang eines neuen
Zeitalters sein wird. So konfliktorientiert wie bisher werden wir nicht
überleben, es käme auf die Zurücknahme der eigenen Aggression
an. Es ginge darum, zu einer "neuen Politeia" zu kommen, die
uns trotz sozialuniverseller Abhängigkeit ein warmes Haus bewahrt.
Wir brauchen um den ganzen Planeten herum in-neren und äußeren
Frieden.
Die bürgerliche Persönlichkeit, ihre Intention von Freiheit
und Unabhängigkeit und die damit verbundene Position von größtmöglicher
Unverletzlichkeit, Versorgungssicherheit, Situationskontrolle und Bequemlichkeit
als eine egozentrische aktive oder passive Machtposition, auf der sich
Liebe nicht entfalten kann, steht als ein Menschenbild zur Disposition,
über das wir innerlich hinauswachsen müssen. Nur wenn wir die
in den Kämpfen der bürgerlichen Gesellschaft stets auf neue
reproduzierten, unfreien Verhaltensmuster verstehen abzubauen, wird auch
eine Gesellschaft und Politik möglich sein, die ökologische
Selbstbegrenzung mit emanzipativer Perspektive verschränken kann.
Wir sollten lernen, so Bahro, aus Urvertrauen statt aus Abwehr zu handeln.
Nur glücklich können wir richtig sein. Es ginge um eine soziale
Praxis, die unsere Liebesfähig-keit viel stärker als heute entwickelt
und ob wir die Befindlichkeit, das Daseinsgefühl, die Atmosphäre
der Kommunikation von uns als Menschen in der Welt verbessern können.
Vom Herzen aus hätten wir die Welt neu einzurichten, aus der Bewußtseinskraft
einer erkennenden, das soziale Ganze einschließenden Liebe. Notwendig
wäre aber auch ein höherer Freiheitsgrad des Denkens, eine Deautomatisierung
des Denkens, die lebensrichtige Einordnung des instrumentellen Verstandes
ins psychische und soziale Ganze. Ichbesessener, süchtiger Tatendrang
bringt uns als Menschen nicht in ein besseres Verhältnis zur Welt,
verbürgt keine zukunftsfähige Ordnung.
Die neue Welt fängt mit dem sich ändernden Menschen an, einem
neuen inneren Selbst, das sich über das bedürftige Ego erheben
kann. Bahro wirft die Frage nach einer anthropologischen Revolution auf,
als eine Neubegründung der Gesellschaft auf bisher unerschlossene,
unentfaltete Bewußtseinskräfte. Die Heilung unserer Kultur
hinge davon ab, ob wir die systematische Selbstaufklärung nach Innen
wagen. Meditative Praktiken können auf diesem Weg unterstützend
wirken.
Zudem popularisiert Bahro die Neubegründung kleiner Lebenskreise,
wie das dann auch in dem ökologischen Landgut Pommritz bei Bautzen
als einem praktischen Versuch seinen Niederschlag fand. Sinnvoll hält
er den Aufbau von Basisgemeinden der neuen Ordnung in Gestalt eines netzwerkartigen
Verbundes von Gleichgesinnten, die überall lokale kommunitäre
Zusammenhänge schaffen. Wenngleich man die Vielfalt alternativer
Lebensorte in Deutschland eher unterschätzen wird, so kann dies vermutlich
nicht der einzige Pfad für eine Veränderung unserer Logik des
Mißlingens sein auf der materiellen Ebene, selbst wenn man die Einrichtung
eines Ökologischen Rates als demokratisches oberstes Verfassungsorgan
mit einschließt.
Die Vision einer Umkehr in den Metropolen hänge davon ab, so Bahro,
wie schnell der Mehrheit klar werde, daß die kapitalistische Kulturverfassung,
samt ihres sozial-psychischen Inventars, nicht geeignet ist, um uns als
Menschen dauerhaft auf dieser Erde einzurichten und es in aller Interesse
liegt, nach einer alternativen kulturellen Entwicklung zu suchen, dazu
nach den gesellschaftlichen Strukturen, die dafür geeignet sind.
Politik ist nicht mehr politisch genug, wenn es um eine Neubegründung
der zivilisatorischen Anlagen und Fundamente geht, hält Rudolf Bahro
fest, also die heute vorfindbaren Handlungsrahmen und -ziele sind nicht
geeignet, die Apokalypse aufzuhalten. Er fokussiert sich hier insbesondere
auf die Politik der reichen Industriestaaten, bei denen der Verteilungskampf
im Mittelpunkt des Geschehens liegt. Politik wird dann zum Teil des Problems
und artet in Politikasterei aus.
Ökologische Wendepolitik heißt den Staat neu zu verfassen,
den Staat und die Rechtssphäre aus der materiellen Dynamik herauszulösen.
Dies kann nur mit einer neuen Ge-samtstruktur gelingen, irgendwelche Maßnahmepläne
werden dies nicht leisten. Zudem kritisiert er, daß die Parteien
angesichts der ökologischen Krise dennoch darauf setzen, die Selbstsucht,
Kurzsichtigkeit und Subalternität etc. der Bevölkerung zu in-strumentalisieren.
Mit der Wende kam Rudolf Bahro zurück in die DDR, meldete sich auf
dem SED/PDS Parteitag zu Wort, der Beifall hielt sich in Grenzen, dennoch
lohnt es sich nachzulesen und nachzuhören, was er damals gekürzt
zu Gehör brachte. In dem Band "Außerordentlicher Parteitag
der SED/PDS" ist es abgedruckt.
1990 im Herbst begann er die Vorlesungsreihe für Sozialökologie
als Studium Generale an der Humboldt-Universität. Hätte ich
nicht schon vor meiner ersten Begegnung mit dem Vorlesungsstil Rudolf
Bahros seine wichtigsten Bücher gelesen, so wäre die erste Vorlesung
möglicherweise auch die letzte gewesen. So manche Ver-knüpfung
von Ideen und Gedanken dürfte neuen ZuhörerInnen gar nicht so
einfach nachvollziehbar gewesen sein, solange man in seinem überaus
vielschichtigen Kosmos nur marginale Orientierung hatte. Jedoch konnte
man von ihm sehr viel lernen, wenn man sich auf seine Art zu denken einließ,
ohne gläubig alles zu akzeptieren. Auch behielt Bahro für Vorschläge
immer ein offenes Ohr.
In der Anfangszeit war das Audimax öfter bis auf den letzten Platz
besetzt, das sind immerhin fast 650, aber auch kurz vor seinem Tod, er
starb an Blutkrebs, kamen häu-fig mehr als 200 ZuhörerInnen
zusammen. Und dabei bunt gemischt. Von grün alternativ, über
die Anhänger der unterschiedlichsten Religionen bis hin zu PDS-Mitgliedern
war wohl alles mal vertreten. Ein persönlicher Tiefschlag ereilte
ihn, als seine zweite Frau 1993 Selbstmord beging. Sie sprang von der
Siegessäule. Daraufhin setzte er ein Semester aus, 1995 unterbrach
er seine Vorlesungsreihe für weitere zwei Semester, weil seine Krebserkrankung
bereits sehr fortgeschritten war.
Anfang der 90er Jahre zog er sich die besondere "Sympathie"
der westlich-alternativen Hauptverwaltung ewige Wahrheiten zu. Da gab
und gibt es eine ganz bestimmte Art von Leuten, die sich dadurch profilieren,
in dem sie andere anschwärzen. Besonders gut funktioniert das mit
dem Vorwurf des Ökofaschismus. Das Engagement der Politpolizisten
ging soweit, daß mitten in eine Vorlesung Pflastersteine von draußen
durch die Scheibe geschleudert wurden, die den Redner nur knapp verfehlten.
Was daran noch links und antikapitalistisch ist, muß mir erst mal
einer erklären. Sehr interessieren würde mich auch mal, wie
Jutta Dittfurth so gut über die mehr als 100 Vor-lesungen Bescheid
wissen will, obwohl ich sie dort nie im Publikum habe sitzen sehen. Eine
Einladung von Rudolf Bahro, der ihr angeboten hatte, sie könne ihre
Sicht der Dinge in seiner Vorlesung zwei Stunden lang vortragen, schlug
sie aus.
1991 lud Bahro Kurt Biedenkopf zu einer Vorlesung ein. Dort konnte er
den CDU-Politiker davon überzeugen, daß es doch angesichts
der ökologischen Krise sinnvoll sei, alternative Lebensplätze
zu fördern. Es folgte ein Treffen auf einem sächsischen Alternativhof
in Schönewitz. Aus diesem Impuls heraus entwickelte sich dann das
Lebensgut Pommritz. Das Land Sachsen stellte zunächst Hof, Land u.a.
zur Verfügung. Vielleicht wird es zukünftig auch andere Ministerpräsidenten
geben, die solche Alternativen fördern, so unausgereift und provisorisch
diese Experimente vorläufig wohl noch sein müssen. Vorschläge
zur Verfahrensweise liegen bereits auf dem Tisch. Die Texte dazu von Bahro
u.a. sind in dem Band "Apokalypse oder Geist einer neuen Zeit"
zu großen Teilen dokumentiert. Ein erster Vorlesungsband war bereits
1991 un-ter dem Titel "Rückkehr. Die In-Weltkrise als Ursprung
der Weltzerstörung" erschie-nen. Das Rudolf Bahro-Archiv an
der Humboldt-Universität will zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung
auf längere Sicht einen weiteren Band mit Vorlesungen herausgeben,
die Bahro in seiner Zeit als Professor für Sozialökologie in
Berlin gehalten hat. Unveröffentlicht ist auch das Buch "Die
Befreiung aus dem Untergang der DDR" wo er sich mit der PDS, Kommunismus
und Ökologie, marxistischem Gedankengut sowie der "schenkenden
Tugend" von Nietzsche u.a. auseinandersetzt.
Im Herbst 2001 erscheint unter dem Titel "Wege zur ökologischen
Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges
Kultursystem", zusammen mit Texten von Franz Alt und Marko Ferst,
eine ganze Reihe noch unbekannter Texte von Bahro erstmals, alle aus den
letzten Lebensjahren. In mehreren Vorlesungen zum zukunftsfähigen
Deutschland lotet er erneut aus, was alles nicht mehr hinreicht, um zu
einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu kommen. In seinem letzten
Aufsatz stellt er noch mal die Frage nach einer Kulturordnung zur Debatte,
die auf Herz und Geist gebaut ist und nicht auf Beton und Chips. In weiteren
Beiträgen geht es darum, wie wir zu einer politischen Instanz für
das Naturverhältnis kommen könnten und wie unsere Tektonik der
Selbstzerstörung angelegt ist.
Dissidenz, als die Frage nach der richtigen inneren und äußeren
Verfaßtheit von Mensch und Gesellschaft, war nicht nur zu DDR-Zeiten
ein rares Gut. Auch in den heutigen Verhältnissen ist sie uns aufgetragen,
wenn es um die Selbstbegrenzung des industriellen Expansionismus geht,
um den Erhalt einer menschenwürdigen Existenz. Es scheint mir sinnvoll
zu sein, die Konzeptionen Rudolf Bahros in ihren Stärken zu sichten,
aber mit neuen Fragestellungen könnte künftiges "Vordenken"
auch schwächere Punkte alternativ formulieren. Ich habe Rudolf Bahro
mal damit konfrontiert, eigentlich müßte man einen zweiten
Teil zu seinem Buch "Logik der Rettung" schreiben, wo der Schwerpunkt
darauf zu setzen wäre, wie eine konkrete Utopie für eine zukunftsfähige
Gesellschaft aussehen könnte. Es ginge schon um mehr als ein paar
theoretische Rahmenbedingungen. Er bestand darauf, die innere Veränderungsperspektive
wäre die entscheidende Matrix, alles andere würde sich ergeben.
Dieses Er-geben konnte ich nie nachvollziehen, zumal nach der Bruchlandung,
die der angebliche Sozialismus hingelegt hat, wiewohl ich Bahros Grundannahme
einer In-Weltkrise teile. In dem Band "Wege zur ökologischen
Zeitenwende" ist in einer ersten Lesung auch der Versuch einer Antwort
auf die Fragestellung nach einer ökotopianischen Zu-kunftsgesellschaft
meinerseits zu finden, sicher unvollkommen, aber eben ein Versuch, mehr
Phantasie für neue Gesellschaftsentwürfe zu wecken.
geschrieben für die Berlinische Monatsschrift
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