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Wirtschaftsweise um den Faktor 10 dematerialisieren
Friedrich Schmidt-Bleek zeigt wie wir Ressourcen zukunftsfähig
nutzen können
Von Marko Ferst
Als wichtigster Indikator für eine ökologische Perspektive
gilt heute die Einsparung am Ausstoß von Treibhausgasen. Ob diese
Zivilisation überlebt, hängt davon ab, ob es ihr rechtzeitig
gelingt auf eine kohlenstofffreie Wirtschaftsweise umzustellen. Von diesem
Ziel sind wir einstweilen meilenweit entfernt. Friedrich Schmidt-Bleek
richtet in seinem aktuellen Buch den Fokus mehr auf die Stoffströme,
die wir durch unsere Industriegesellschaft leiten und vernutzen. Jedes
Kilogramm Industrieprodukt schleppt im Schnitt 30 Kilogramm an Natur
mit sich. Jeder Deutsche verbraucht rund 70 Tonnen Natur im Jahr, dabei
ist Wasser und Luft noch nicht mal berücksichtigt. Aber es lässt
sich nicht mit geringerem Wohlstandsniveau begründen, warum in Japan
dagegen der Einzelne mit nur 40 Tonnen auskommt, gleichwohl auch dies
weit von ökologischen Erfordernissen entfernt liegt. Der Unterschied
verdeutlicht, der ökologische Rucksack fällt auch in heutigen
Industriegesellschaften bereits extrem unterschiedlich aus. Darüber
hinaus hätte der militärischen Ressourcenaufwand im Irak ausgereicht,
um für eine Milliarde Menschen Wohnungen zu bauen.
Will man den Ressourcenverbrauch global nur halbieren und dabei allen
Erdenbürgern gleichen Verbrauch zubilligen, so müssen die Wirtschaften
in den heutigen Industrieländern im Schnitt, um den Faktor 10 dematerialisiert
werden. Daraus resultiert zugleich eine Einsparung an Energie, die wir
dann nicht mehr benötigen von ungefähr 80%, so Schmidt-Bleek.
Andere Länder dagegen, wie China und Indien hätten noch Spielraum
bei ihrem Verbrauch.
In vielen Fällen sind veränderte Konsumverhalten der schnellste
Weg, um die Stoffströme zu reduzieren. Darüber hinaus sieht
Schmidt-Bleek die größten Chancen für eine Dematerialisierung
nicht bei der Veränderung von vorhandenen Produkten, sondern wie
ein bestimmter Service auf ökologischere Weise in Anspruch genommen
werden kann. Man muß nicht jedes Produkt besitzen, sondern kann
es sich auch leihen und dadurch effizienter verwerten. Skeptisch beurteilt
er die Begeisterung für Kreislaufwirtschaften. Man müsse berücksichtigen,
wenn man ganze Sturzbäche von Materialströmen recyceln will,
erfordert dies zusätzliche Transporte und Ressourcen für die
Aufbereitung selbst. Zudem bleiben z.B. von Aluminium nach 15 Umläufen
nur noch 3% des Metalls übrig.
Auch bei der Nutzung verschiedener Ressourcen ergeben sich erhebliche
Unterschiede beim ökologischen Rucksack. Für ein Gramm Gold
müssen 540 Kilogramm Erde bewegt werden (ohne Wasser), während
für ein Kilogramm Glas nur zwei Kilogramm Erde in Anspruch genommen
werden müssen. Für einen Computer sind rund 14 Tonnen an Stoffen
umgeschaufelt und verändert worden. Ein Kilogramm Raps führt
heute zum Verlust von 4 Kilogramm Erde durch Erosion.
Schmidt-Bleek plädiert dafür die Ressourcen zu besteuern. Damit
bestraft sich jede Verschwendung von selbst auf allen Stufen der Herstellung,
im Handel, dem Transport, bei der Lagerung und dem Konsum. Zudem werden
dadurch immer mehr Abfälle zu echten Wertstoffen. Wir müssten
unser Steuer- und Abgabensystem grundlegend umgestalten. Solange wir
mit 70% den Faktor Arbeit belasten und nur mit 5% den Faktor Energie,
entlässt man eher Personal, als das man Kilowattstunden und Rohstoffe
einspart. Arbeitsplatzabbau wird durch solch eine Politik stark gefördert.
Auch wenn die Rohstoffpreise in fast allen Bereichen in den letzten Jahren
deutlich angestiegen sind, wäre eine Ressourcensteuer am Anfang
des Produktionsprozesses ein entscheidendes umweltpolitisches Instrument,
um eine ökologische Effizienzrevolution in Gang zu setzen. Wichtig
ist, daß Geld wird an anderer Stelle den Bürgern zurückgegeben
und dies muß sozial gerecht geschehen, nicht daß die geringverdienenden
Haushalte das Nachsehen haben. Denkbar ist sowohl die Förderung
des öffentlichen Nahverkehrs als auch eine Reduzierung der Lohnsteuern
im unteren Bereich. So konkret wird Schmidt-Bleek nicht, aber das sind
die Konsequenzen. In jedem Fall ist ihm klar, auch Förderungen wie
die Pendlerpauschale und analoge Subventionen sind ökologisch kontraproduktiv.
Er schlägt vor Anreize zu schaffen für sehr lange Garantiezeiten.
Auch deutlich verlängerte Haltbarkeit von Produkten und ihre Reparaturfreundlichkeit
erhöht in gravierendem Ausmaß die Ressourcenproduktivität.
Diese überall am Endprodukt auszuweisen, wie Schmidt-Bleek meint,
wäre sicher wünschenswert, bietet allerdings viel Spielraum
für falsche Angaben.
Als nationale Wirtschaftsstrategie ist der Faktor 10 in Japan 2001 beschlossen
worden. Mitunter sind manche Umweltinstrumente dort sehr innovativ. Wenn
jeweils das energieeffizienteste Gerät innerhalb von 3 Jahren den
vorgeschriebenen Standart in Deutschland vorgeben würde, ließen
sich schnell Erfolge erzielen. Wir produzieren zwar hierzulande bereits
mehr als 14% des Stroms erneuerbar, aber beim Energiesparen und effizienter
Nutzung sind bisher nur geringe Fortschritte zu verbuchen. Würden
wir in ein bis zwei Jahrzehnten den Strombedarf mehr als halbieren, könnten
wir auf den Neubau von Kohlekraftwerken gänzlich verzichten und
die bestehenden schneller schließen und so dazu beitragen, dass
das Klima nicht gänzlich aus den Fugen gerät.
Friedrich Schmidt Bleek: Nutzen wir die Erde richtig? Die Leistungen
der Natur und die Arbeit des Menschen, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007,
9,95 €
Neues Deutschland, 10.3.2008
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