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Er suchte zeitlebens die "Alternative" DDR-Regimekritiker, Ökodissident und Querdenker Rudolf Bahro wäre
heute 70 Jahre alt geworden
Marko Ferst
Als die sowjetische Führung den Prager Frühling 1968 mit Panzern
erstickte, entschuldigte sich Rudolf Bahro bei der Prager Botschaft für
die eigenen Genossen. Ein Jahr zuvor, als Zweiter bei der Zeitschrift „Forum“ nutzte
er den Urlaub seines Chefs um von Volker Braun das Stück „Kipper
Paul Bauch“ abzudrucken. Das kostete ihm die Stelle. Überdies
leistete Bahro sich einen unbequemen Brief an Staatschef Ulbricht. Er
wird verwarnt. Am 22. August 1977 erschien im „Spiegel“ Bahros
Beitrag „Gegen sich selbst und das Volk“. Er erörtert
vie-le Probleme der östlichen Systeme wie in einem Brennspiegel. Über
Jahre hinweg arbeitete er an dem Buch „Die Alternative. Zur Kritik
des real existierenden Sozialismus“. Er argumen-tierte, die etablierte
Apparateherrschaft dürfe die sozialistischen Hoffnungen nicht zum
Ge-spött der Massen machen. Bahros Perspektive war nicht, eine Parteienherrschaft
nach westli-cher Spielart, Basis- und Wirtschaftsdemokratie stellte er
in den Vordergrund.
Robert Havemann, der andere wichtige DDR-Regimekritiker, stand seit 1976
unter Hausarrest in Grünheide. Es war klar, das Politbüro würde
sich auf keinen Dialog einlassen. Sowohl ZDF und ARD gelang es noch Bahro
vor der Festnahme zu interviewen. Die Machthabenden er-klärten ihn
kurzerhand zum Spion und verurteilten ihn zu acht Jahren Gefängnis.
Insgesamt werden von der „Alternative“ über 300.000
Stück verkauft. Sie wird in viele andere Sprachen übersetzt.
1979 nach Bautzenhaft in den Westen abgeschoben, engagiert er sich kurzzeitig
bei den Grünen und in der Friedensbewegung.
Sein zweites Hauptwerk „Logik der Rettung“ nimmt die ganze
Zivilisation auf den Prüfstand und fragt nach einem ökologischen
Kulturentwurf, abseits von ungebremster Geldvermehrung und der Reise
nach „Nimmersatt“. Ihn interessieren die seelischen Grundlagen
für gesell-schaftliche Veränderungen. Seine Sorge: Wir sind
dabei die irdischen Belastungsgrenzen zu durchbrechen. Nimmt man aktuelle
Erkenntnisse über einen drastisch beschleunigte Klima-wandel, so
besteht die Gefahr, seine Prognosen treffen zu. Etwa wurde der Verdunkelungsef-fekt
in der Atmosphäre um den Faktor Zehn unterschätzt. Die Klimaveränderungen
wären schon erheblich fortgeschrittener, würden wir nicht soviel
Ruß etc. emittieren.
Mit der Wende kam Bahro zurück in die DDR, meldete sich auf dem
SED/PDS Parteitag zu Wort. Der Beifall hielt sich in Grenzen. Sieben
Jahre bis zu seinem Krebstod 1997 hält er gut besuchte Vorlesungen
an der Humboldt-Universität. Mit Ministerpräsident Biedenkopf
arran-gierte er Projekte für alternativen Lebensformen. In seinem
letzten Aufsatz favorisiert er eine Ordnung, die auf Herz und Geist gebaut
ist und nicht auf Beton und Chips. Zusammen mit weiteren Beiträgen
aus den 90er Jahren ist er 2002 in dem Band „Wege zur ökologischen
Zei-tenwende“ erschienen. Außerdem schrieben Guntolf Herzberg
und Kurt Seifert eine umfas-sende Biographie. Aktuell zum 70. Geburtstag
finden sich grüne Böll- und rote RLS-Stiftung sowie die Humboldt-Universität
zusammen, um den Dissidenten und spirituellen Ökovisionär zu
würdigen. Elga Sorge, Burkhard Bierhoff, Reinhard Loske u.v.a. werden
ihre Sicht auf den Denker vorstellen. Natur - Kultur – Mensch. Sozialökologische Innovationen
für
eine zukunftsfähige Lebensweise, 18.11.2005, 13 Uhr, Berlin, Humboldt-Universität,
Senatssaal und am 19.11.2005 ab 9.30 Uhr
Märkische Allgemeine, 18.11.2005
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