|
Den Aufstand des Anstands zuwege bringen
Marko Ferst über politische Dichtung und seinen Band »Jahre
im September«
Im Interview mit Sabine Naumann
Wie kommt man als Mitbegründer der Ökologischen Plattform bei
der LINKEN dazu, auch Gedichtbände zu veröffentlichen?
Das Interesse an Lyrik ist viel älter. Sicher dachte ich schon früh
sehr naturbezogen oder war kritisch eingestellt gegenüber Missständen
in den Farben des Sozialismus. Als Jugendlicher wurde ich zu regionalen
Poetenseminaren eingeladen, ein lobenswerter Aspekt von DDR-Kulturpolitik.
Dort lernte ich Schriftsteller kennen, die kritisch im Kontext von Perestroika über
sowjetische Geschichte zu berichten wussten. Früh bekam ich auch
Kontakt zum Köpenicker Lyrikseminar unter Leitung des DDR-Dichters
Ulrich Grasnick.
Sie schreiben, Erich Fried beeinflusste Sie stark, inwiefern?
Einige lyrische Kunstformen, die er verwendet, gefielen mir, insbesondere
die politischen und sozialpsychologischen Tonlagen. In einer Prüfungsarbeit
bei Prof. Wolf-Dieter Narr an der FU Berlin in Politikwissenschaft behandelte
ich, wie Fried das Thema Krieg in seinem Werk bearbeitet. Dabei studiert
man, wenn man selber schreibt, Stärken und Schwächen sehr genau.
Es zeigte sich, wie wichtig es ist, dass solche Gedichte verständlich
bleiben, auch wenn das Gerüst aus zeitpolitischem Wissen abgetragen
ist.
Die Kritik an Kriegsmissionen spielt auch in Ihren Gedichtbänden
eine tragende Rolle.
Gewiss. Mich hat zum Beispiel gewurmt, dass ich lange Zeit nichts zu
der Gewalt in Syrien schreiben konnte. So setzte ich mich über ein
Jahr lang mit den Prozessen dort auseinander. Bei einigen Fragen zerreißt
es einen förmlich, weil man keine befriedigenden Antworten finden
kann. Aber ich wollte mich dem konsequent stellen, denn man wird, angefangen
vom Jugoslawienkrieg, über den Einfall in Irak oder das Afghanistanabenteuer,
meine deutliche Fabulierkunst finden. Auch Kurt Tucholsky mit seinen
kritischen Gedichten zum Aufstieg der Nazis hat mich diesbezüglich
beeinflusst und ermutigt.
Auf Autokraten sind Sie nicht gut zu sprechen?
Die Machtergreifung des Sonnensultans von Ankara aufs Korn zu nehmen,
darf man nicht nur dem Comedy-Barden Böhmermann überlassen.
Dieser Putsch an der Staatsspitze verlangt klare Kante und keine Groko-Kuscheldiplomatie.
Die neue Chimäre aus Iwan und Josef, die Russland heimgesucht hat,
muss man nicht mit Lobhymnen überhäufen. Kritik haben nicht
nur die USA verdient, wenn sie andere Länder überfallen. Kriegstreiberei
gehört generell auf die Anklagebank, und neostalinistische Avancen
dabei sind mir suspekt. Das sollte der Freundschaft der Menschen untereinander
keinen Abbruch tun, ich pflege enge Kontakte nach Russland.
Es fällt auf: Die Bandbreite an Themen in Ihren Gedichten reicht
von Armut in Afrika über die Klimaveränderungen auf Grönland
bis zu Liebes- und Naturgedichten, zu Musik, Malerei, Krankheit …
Wenn du immer wieder nur die gleichen Themen umkreist, wird das langweilig.
Mich reizt es, in neue, unbekannte Gebiete hineinzugehen und Konventionen
zu brechen. Man braucht auch ein wenig Ausgleich zu den politischen Gedichten.
So gehe ich gerne in Naturlandschaften hinein, etwa auf Ostseeinseln,
im Spreewald oder im Uralgebirge. Meist gibt es dabei besondere Akzente,
den ungewohnten Blick. Dass man eine Krankheit reflektiert, die einen
fast über die Kliffkante zu schieben drohte und viel anderes Ungemach
erzeugt, liegt auf der Hand. Leider zeichnet sich ab: Diese plutokratische
Zivilisation steuert auf eine ökologische Bruchlandung zu. Wie man
dagegen den Aufstand des Anstands zuwege bringt, bleibt eine historische
Herausforderung.
Politische Dichtung ist ein umstrittenes Thema, wie stehen Sie dazu?
Die Kontroversen, die Fried und Grass um das politische Gedicht geführt
haben, beleuchte ich in einem Essay in meinem Gedichtband »Republik
der Falschspieler«. Ich habe mir angesehen, wie Biermann und Brecht
das konturieren. Es ist völlig in Ordnung, wenn Dichter gesellschafts-kritische
Zugänge nicht thematisieren. Allerdings zu verlangen, alle anderen
sollten sich auch daran halten, scheint mir vermessen. Joachim Sartorius‘ »Handbuch
der politischen Poesie im 20. Jahrhundert« gibt einen guten Querschnitt,
wie viele Stilarten zu finden sind. Mit einer Straßenverkehrsordnung
in der Dichtung kommt man dem nicht bei, will man nach kunstvollen Formen
oder weniger gelungenen Exponaten sortieren. Du hast immer die poetische
und die politische Dimension der Kritik. Wenn ich es richtig beobachte,
sind meine Arbeiten oft Mischformen aus Gedichten und »Gedachten«.
Das macht sie interessanter für Leser, die mit hermetischer Lyrik
nicht so leicht zurechtkommen. Ich bereite schon seit einigen Jahren
eine Anthologie mit gesellschaftskritischen Gedichten vor, viele unbekannte
Autoren dabei, relativ strenge Auswahl. Das wird richtig gut.
Marko Ferst, geboren 1970, begründete die Ökologische
Plattform bei der LINKEN mit und gab den Band »Wege zur ökologischen
Zeitenwende« mit Rudolf Bahro und Franz Alt heraus. Seit Langem
ist er dem Köpenicker Lyrikseminar verbunden und war an der Herausgabe
der Zirkelanthologie »Seltenes spüren« beteiligt. 2006
erhielt er einen deutsch-polnischen Literaturpreis für Antikriegsgedichte
und ökologische Arbeiten. Jüngst erschien sein dritter Gedichtband »Jahre
im September«, der auch zwei Erzählungen enthält (Edition
Zeitsprung, 212 S., br. 11,90 €).
erschienen am 19.2.2018, Neues Deutschland
|
|