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Deutschland
sollte Vorreiter sein
Franz Alt: Rigoros ökologisch Umsteuern für den Klimaschutz
Marko Ferst
Schon Anfang der neunziger Jahre plädierte Franz Alt in seinen
Büchern und Filmdokumentationen für die Perspektive einer vollständigen
solare Energiewende. Hätte damals jemand prognostiziert, daß in
Deutschland Ende 2006 knapp 12% der Stromversorgung bereits auf erneuerbaren
Energien beruhen, viele würden das als Phantasterei abgetan haben.
Das deutsche Gesetz zu den erneuerbaren Energien, das diese Entwicklung
befördert hat, fand weltweit in 30 Ländern Nachahmer, darunter
auch China.
So gibt sich Alt auch in seinem neuen Buch optimistisch: Bis 2020 könnten
wir hierzulande bereits 35% des Stroms aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse
gewinnen. Bei den jetzigen Zuwachsraten der Erneuerbaren ist das Ziel
der Bundesregierung 20% Stromerzeugung des Stroms bis 2020 zu erreichen
bereits 2012 überschritten. Völlig zurecht mahnt Alt, wir müssen
den Abschied von den fossilen und atomaren Quellen erheblich beschleunigen.
Dies ist global zu bewerkstelligen bevor unzählige Millionen Menschen
Opfer von irreparablen Klimawirren werden. Immer deutlicher tritt hervor,
unsere Zivilisation nimmt in voller Geschwindigkeit Kurs auf den eigenen
Untergang. Wird nicht rigoros umgesteuert und damit aufgehört, jedes
noch denkbare Rettungsboot im „Antriebskessel“ unserer Titanic
zu verfeuern, dürfte kaum etwas übrig bleiben, von dem was
Menschenhand einst erbaute. Auch das ist Franz Alt völlig klar.
Vielleicht schaffen noch einige versprengte Reste der Menschheit in fruchtbaren
Teilen der heutigen Permafrostregionen oder ackerbaufähigen Hochebenen
zu überleben. Vermutlich kommt es aber zu ganzen Völkerwanderungen
auf die letzten Refugien und somit auch zur Übernutzung dieser Gebiete.
James Lovelock lenkt zu Recht die Aufmerksamkeit darauf, das es sinnvoll
ist, Schritt für Schritt die einzelnen Nationen auf regionale Wirtschaftskreisläufe
vorzubereiten. Die ökonomische Globalisierung des Warenhandels wird
im Zuge des Klimaumbruchs, wegen ökologisch unbezahlbarer Transportwege
bald Geschichte sein.
Die solare Energiewende ist auch aus anderem Grund zu beschleunigen.
Franz Alt führt die Daten der Internationalen Energieagentur in
Paris an: in 30 bis 40 Jahren ist das Öl aufgebraucht, in 45 Jahren
Erdgas und in 50 Jahren das Uran zum Betreiben der AKW. Dabei ist zu
berücksichtigen, schon bald dürfte mehr Öl nachgefragt
werden als gefördert werden kann. Der Ölexperte Matthew Simmons
warnt - schon in wenigen Jahren könnte der Rohölpreis um den
Faktor drei bis vier steigen. Dabei ist zu bedenken, auf Öl und
Gas basieren rund 56% des weltweiten Verbrauchs an Primärenergie.
Eine Absage erteilt Alt verlängerten Laufzeiten bei Atomkraftwerken
und dies völlig zu recht. Bei einem Atomunfall in Deutschland müßten
fünf bis sechs Bundesländer weitgehend entsiedelt werden, wollte
man die traurigen Fehler nach dem Tschernobylunglück dann hierzulande
nicht wiederholen. Sieben Minuten fehlten 2006 im schwedischen AKW Forsmark
und wir hätten Ostseefisch nur noch mit Cäsiumeinlage bekommen.
Franz Alt widmet sich in seinem Buch „Zukunft Erde“ auch
vielen anderen Aspekten ökologischen Umsteuerns. Eine belgische
Studie belegt rund 10% aller Krebsarten gehen auf das Konto von Pestizideinsatz
in der Landwirtschaft. Artgerechte Haltung von Tieren mit Stroheinstreu
und Tageslicht muß selbstverständlich werden. Barbarische
Tierversuche sind zu verbieten. Die Bevölkerung lehnt gentechnisch
manipulierte Lebensmittel ab. Ihr Einsatz macht mittelfristig ökologische
Landwirtschaft unmöglich. Alt erinnert an eine seiner „ARD-Report-Sendungen“ von
vor 20 Jahren. Schon damals führt eine hochgepriesene Rapssorte,
die genetisch verändert war zu toten Hasen und blinden Rehen, weil
der Pflanze bestimmte Bitterstoffe fehlten. Auch heute sucht man Langzeitstudien
vergebens. Der Autor drückt es deutlich aus: Das ist als ob man
bei dichtem Nebel mit 220 über die Autobahn prescht.
Franz Alt führt aus, ökologische Effizienz, eine Dematerialisierung
unserer gesamten Stoffverbräuche wird das entscheidende Kriterium
einer modernen Wirtschaft sein. Der Staat kann nicht 65% seines Einkommens
durch Steuern auf Arbeit beziehen und nur 5% auf Energie. Eine solche
Politik muß zu massenhaften Abbau von Arbeitplätzen führen
und überdies auch zu Arbeithetze und Überbelastung der arbeitenden
Menschen mit unzähligen Überstunden. Besonders schwierig scheint
hierzulande die Verkehrswende zu sein. In Tokio nutzen 90% öffentliche
Verkehrsmittel, die Niederlande wollen bis 2010, daß 70% aller
Wege per Fahrrad erfolgen und die Schweiz hat ein vorbildliches Bahnsystem.
Warum ist Deutschland vom Autowahn befallen? Speziell in Ostdeutschland
wird eine Bahnstrecke nach der anderen stillgelegt. Die schwarz-rote
Koalition im Bund beschloß die Mittel für den öffentlichen
Nahverkehr um zwei Milliarden Euro bis 2009 zu kürzen. So kann unsere
Mobilität ganz gewiß nicht ökologischer werden, zumal
Bahn und Politik offensichtlich unter Börsenfieber leiden und bezahlbare
Tickets keine Rolle mehr spielen.
Die Signale müssen endlich auf Grün gestellt werden für
eine Zukunftswende. Die Zeit läuft ab. Längst ist zu berücksichtigen,
wie wir den Auswirkungen des Klimawandels in Forst- und Landwirtschaft,
beim Küstenschutz und Murengängen in den Alpen begegnen. Diesen
Fragen muß sich die künftige ökologische Literatur mehr
annehmen als es etwa Alt in seinem Buch berücksichtigt. Niemand
glaube, man könne sich erlauben die Temperatur, um zwei Grad global
durch die Treibhausgase zu erhöhen. Spätestens dann beginnt
der Klimaumsturz mit vielen unvorhersehbaren Effekten. Das wird nicht
nur eine schwere Weltwirtschaftskrise und zusammengebrochene Währungen
bedeuten.
Franz Alt: Zukunft Erde. Wie wollen wir morgen leben und arbeiten?,
Aufbau-Verlag, 2006, 253 Seiten, 8,95 €
erschienen im der Wochenzeitung "Freitag", 25. Mai 2007
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