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Von
der Couch zu echtem Dialog
Einblicke in die psychoanalytische Praxis Erich Fromms
Marko Ferst
Als jemand der Psychologie, Religion und Gesellschaftskritik eng zusammendachte,
gehört Erich Fromm sicher zu den wegweisenden Gestalten des 20.
Jahrhunderts. In „Haben oder Sein“, einem seiner bekanntesten
Werke, untersucht er die seelischen Grundlagen einer emanzipierten Gesellschaft.
Zugleich thematisiert er in „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ die
dunkle Seite zivilisatorischer Entwicklung und ihre seelischen Wurzeln.
In „Jenseits der Illusionen“ zeigt er die Bedeutung von Marx
und Freud auf. Der Sozialpsychologe hinterließ ein umfangreiches
Werk, zwölf Bände in der Gesamtausgabe, und zeichnete sich
dadurch aus, selbst komplizierte Aspekte gut nachvollziehbar darstellen
zu können.
Doch es gibt eine empfindliche Lücke. Über sein eigenes Vorgehen
in der Psychotherapie äußerte er sich nur sehr selten. Dabei
war er lange Zeit als Ausbilder für Psychotherapeuten tätig.
Der aktuell von Rainer Funk herausgegebene Band „Erich Fromm als
Therapeut“ will Einblicke geben in seine psychoanalytische Praxis.
So findet man zunächst zwei Vorträge, die Erich Fromm 1959
und 1964 am „William Alanson White Institute“ in New York
gehalten hat, in denen er verschiedene Aspekte des therapeutischen Prozesses
erläutert. Diverse Vorhaben über sein psychoanalytisches Vorgehen
zu publizieren realisierte er nicht. Überdies schien er die Bildung
einer eigenen psychoanalytischen Schule vermeiden zu wollen. Fast 30
Jahre nach seinem Tod sind hier nun viele Beiträge zusammengefaßt,
die einige Einblicke geben können. Zu Wort kommen seine Schüler,
die er an den verschiedenen Instituten betreut hat, Psychoanalytiker,
die er supervidierte, also beriet, aber auch seine Mitarbeiter und Freunde. Überdies
erhält man zahlreiche Eindrücke über den Menschen Erich
Fromm. Vergleicht man die Aussagen miteinander, so fällt sein durchdringender
Blick ins Gewicht. Den Analytiker umgab offenbar eine besondere Aura,
er pflegte produktive herzliche Umgangsformen, zeigte aber auch resolutes
Auftreten.
Von der Betonung therapeutischer Technik schien er wenig zu halten. Theoretische
Konstruktionen fand er eher hinderlich, weil sie die eigenständigen
Lebenserfahrungen nicht genügend würdigen. Zudem verzichtete
er auf die Couch und behandelte den Patienten von Angesicht zu Angesicht.
Er versuchte Illusionen bewußt zu machen und die geistigen Potentiale
des bzw. der Analysierten zu aktivieren. Einen autonomen, eigenständig
reflektierender Mensch, der irrationale und einengende kulturelle und
persönliche Wertvorstellungen überwindet, strebte Fromm an.
Gerade in persönlichen Krisenzeiten kann man die besten Strebungen
eines Menschen heben helfen. Triviales Geschwätz hatte für
ihn in der Analyse nichts zu suchen. Er setzte voraus, der Patient arbeitet
an sich, geht an seine Selbsttäuschungen, weil sonst kein Erfolg
möglich ist. Wie eine Villa mit vielen Räumen zeigt sich das
psychische Selbst. Doch die meisten Menschen leben nur in ein oder zwei
Räumen, während die anderen ihnen verschlossen bleiben.
Psychoanalytiker treten oft zu unkritisch gegenüber ihren Patienten
auf, meinte er. Für den Analytiker sei wichtig auf die Einflüsse
eigener Neigungen und blinder Flecken zu achten. Er darf es sich nicht
bequem einrichten, muß ein Urteil riskieren, sollte darauf nicht
verzichten aus Angst den Patienten zu verärgern. Patient/in und
Analytiker/in brauchen einen echten und lebendigen Dialog, der hinter
die psychischen Barrieren schaut. Komplizenschaft hilft nicht weiter,
wo in Wirklichkeit dem Analytiker der Zugang zu heilenden Kräften
im Patienten fehlt.
Eine eigene psychoanalytische Lehre wird man in dem Buch nicht finden,
bestenfalls Anhaltspunkte. Fromm, der die damalige akademische Psychologie
mit beißendem Spott bedachte, wollte den Raum offen halten. Wer
sich dagegen für eine Einführung und aktuelle Auseinandersetzung
mit dem Werk Fromms interessiert, dem kann man u.a. die Bände „Erich
Fromm heute“ oder „Erich Fromm als Vordenker“ empfehlen.
Die frühzeitige Konsumkritik Fromms enthält zahlreiche psychologische
Anstöße für die Ökologiebewegung. Sein Zusammendenken
seelischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse bleibt
auf Dauer eine Herausforderung für alternative Gesellschaftsentwürfe.
Rainer Funk (Hg.): Erich Fromm als Therapeut. Einblicke in seine
psychoanalytische Praxis aus Sicht seiner Schüler, 254 Seiten, Psychosozial-Verlag,
2009, 24,90 €
www.umweltdebatte.de
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