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Ein Treffer mitten ins Herz des SED-Apparates.
Vor 40 Jahren erschien Bahros Alternative
von Marko Ferst
In diesem Jahr liegt die
Publikation des Buches „Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden
Sozialismus“ von Rudolf Bahro 40 Jahre zurück, das ihn international
bekannt machte, und zugleich jährt sich sein Todestag zum zwanzigsten
Mal am 5. Dezember. Insgesamt wurden von der „Alternative“ über
300.000 Stück verkauft. Sie wird in viele Sprachen übersetzt.
In dem Spiegel-Beitrag „Gegen sich selbst und gegen das Volk“ erörterte
er viele Probleme der östlichen Systeme wie in einem Brennglas.
Vor diesem Hintergrund richtete in Berlin das Museum Lichtenberg in Zusammenarbeit
mit dem Christoph Links Verlag, der Robert-Havemann-Gesellschaft und
der Heinrich-Böll-Stiftung eine Konferenz am Sonnabend aus, die
jenes ketzerische Buch, das nach einem „Berliner Frühling“ Ausschau
hielt, marxistische Analyse auf die Verhältnisse in der DDR anwandte,
noch einmal auf den Prüfstand stellen wollte. Zugleich lag ein Fokus
auf die Gemeinschaft seiner damaligen Unterstützer. Viele Zeitzeugen
kamen zu Wort, so Guntolf Herzberg, der einst das Buch lektorierte und
2002 zusammen mit Kurt Seifert die Biografie „Glaube an das Veränderbare“ publizierte.
Er berichtete wie er den Autor davon überzeugte, auf maoistische
und trotzkistische Anklänge zu verzichten. Wolfgang Heise erwies
sich als hilfreicher Kritiker einer ersten Fassung.
Herzberg regte an kürzere Vorträge zu entwerfen, die später
im Radio gesendet wurden. Zusammen mit den Interviews in ARD, ZDF etc.
eignen sie sich besonders als Einstieg zum Lesen und sind in „Ich
werde meinen Weg fortsetzen“ abgedruckt. Viele Überlegungen
sind hier zugespitzter und stark verdichtet dargestellt.
Ü
berraschend, das der westdeutsche Verlag Korrekturfahnen wieder zurück
in die DDR schaffen konnte und die von Bahro bearbeitete Fassung zurück
in die Bundesrepublik gelangte. Agnete Kutar und Rudolf Wetzel sorgten
für den Kontakt zur Europäischen Verlagsanstalt, letzterer
besorgte aus dem Westen Lektüre für Bahro. Der unverdächtige
Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt schmuggelte das Manuskript nach
Westberlin. Trotz strenger Konspiration, wusste die Stasi von dem Manuskript,
ließ ihn aber gewähren, vielleicht auch, weil man das unterstützende
Netzwerk ausheben wollte. Diejenigen kannten sich zumeist nicht, 140
Sympathisanten ermittelten die Behörden.
Die vielfältige Unterstützung im Westen erläuterte Hannes
Schwenger, der einen Band mit Briefen an Bahro herausgab. Etliche „Alternativen“ erreichten
auch die DDR, wozu von mehreren Seiten interessante Anekdoten beigesteuert
wurden. Markus Meckel hatte die Vorträge in die Hand bekommen. In
Leipzig als einzelner mit einem Plakat für die Freiheit Bahros zu
demonstrieren, kostete sechs Wochen Untersuchungshaft.
Thomas Schubert hob in seinem Konferenzbeitrag hervor, Bahro sei ein „kommunistischer
Luther“ gewesen, wies durch viele Zitate auf seine Verarbeitung
der religiösen Dimension hin. Dies mag zutreffend sein, zugleich
eignete sich der Vergleich des Machtapparats mit inquisitorischer Papstkirche
besonders gut, um stalinistisches Treiben effektvoll zu kritisieren.
Ines Weber skizzierte, Bahro sei in der Kritik am System schonungsloser
gewesen als Robert Havemann, der sich zwar deutlicher für demokratische
Regularien aussprach, schwierige Aspekte dabei aber umschiffte. Ob sich
aus dem Ansatz Bahros neue elitäre Optionen hätten ergeben
können, wie sie für möglich hält, bleibt hypothetisch
und bildet dann das Versagen vieler ab. Dass man die auf utopisch-sozialistische
Zukunft hin angelegten Aussagen, die Alexander Amberger umriß,
heute grundsätzlich neu überprüfen müsste, steht
außer Frage.
Christoph Becker-Schaum stellte dem Publikum vor, wie der Nachlass Bahros
im „Grünen Gedächtnis“ der Böll-Stiftung geordnet
ist, für wissenschaftliche Arbeit weitgehend erschlossen und eine Übersicht
online verfügbar. Bis auf die Vorlesungen zum zukunftsfähigen
Deutschland in „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ und
eingeschränkt „Denker, Reformator, Homo politicus“ mit
Nachlasstexten, sind andere Werke nur antiquarisch, aber leicht beschaffbar.
Obwohl Bahros zweites Hauptwerk „Logik der Rettung“ nicht
Thema war, referierten Rainer Land und Andreas Siemoneit über die
sozialökologische Transformation. Fehlen würde heute eine vergleichbare
Systemanalyse in der wachstumskritischen Bewegung. Siemoneit verwies
zurecht darauf wie stark bereits die „Alternative“ eine fundmentale
Wachstumskritik enthält, im Grunde wie ein Vorläufer der heutigen
Degrowth-Bewegung wirkt. Nötig sei eine massive Reduktion der Energie-
und Rohstoffverbräuche, so beide, Bahro spricht in seiner grünen
Analyse vom Faktor zehn, um den wir uns zurücknehmen müssten.
Weiter meinten die Referenten, die Zukunftsperspektive sei kritisch und
der ökologische Diskurs für grundlegende Veränderungen
noch zu schwach.
Neues Deutschland, 24.10.2017 (leicht längere Fassung)
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