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Ein ökologischer Kurswechsel
ist nötig
Neue Studie für ein Zukunftsfähiges Deutschland in
einer globalisierten Welt
Angelika Zahrnt
Schon einmal ließ der BUND skizzieren, wie ein »zukunftsfähiges
Deutschland« aussehen müsste. Vor zwölf Jahren entwickelte
sich daraus eine vielstimmige öffentliche Debatte. Seitdem ist die
Notwendigkeit, nachhaltig zu leben, zwar vielen bewusst geworden. Doch
wirklich getan hat sich wenig, viel zu wenig. Nun soll eine neue Studie
neue Anstöße geben.
Auf der UN-Konferenz in Rio rief die Staatengemeinschaft und Weltgesellschaft
1992 zu nachhaltiger Entwicklung auf, und die Staaten verpflichteten
sich dazu. Sie erkannten, dass die Natur zu bewahren und Armut zu bekämpfen
miteinander verbundene Herausforderungen sind, die nur gemeinsam zu lösen
sind. Und dass neue Konsum- und Produktionsmuster in den westlichen Industrieländern
nötig sind, um diese Aufgabe zu bewältigen. Denn eine weltweite Übertragung
unseres Lebens- und Wirtschaftsstils würden weder die Erde noch
der Himmel aushalten. Zwei internationale Konventionen wurden in Rio
erarbeitet – zum Schutz des Klimas und zum Schutz der biologischen
Vielfalt.
Eine große Konferenz, ein großes Medienecho, eine Agenda
21 für das 21. Jahrhundert – doch danach ging die deutsche
Politik zum Tagesgeschäft über. Der gesellschaftliche Aufbruch
von Rio drohte im Allgemeinen und Unverbindlichen zu versanden und nachhaltige
Entwicklung zum Spezialgebiet einiger Politikwissenschaftler zu werden.
Eine Studie wird konkret
Die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland, ein Beitrag zu einer
global nachhaltigen Entwicklung« hatte 1996 das Ziel, dem etwas
entgegenzusetzen, nachhaltige Entwicklung konkret und politisch werden
zu lassen: Was bedeutet das Konzept Nachhaltigkeit als weltweite und
generationenübergreifende Gerechtigkeit, was bedeutet es für
ein Industrieland wie Deutschland? Was bedeutet es für die Politik,
die Wirtschaft und für jeden Einzelnen? Die Studie stellte das Konzept
des globalen Umweltraums dar, der gerecht zwischen allen Menschen zu
teilen ist und künftigen Generationen Entwicklungschancen lassen
muss. Sie beschrieb die ökologischen Grenzen als Rahmen, innerhalb
dessen Wirtschaft und Soziales sich entwickeln können und sollen.
Sie stellte langfristige umwelt- und entwicklungspolitische Ziele bis
2050 auf. Und sie forderte politische Maßnahmen wie die ökologische
Steuerreform, eine Nachhaltigkeitsstrategie, Effizienzstrategien bei
der Ressourcennutzung und Suffizienzstrategien beim Lebensstil (suffizient
= ausreichend). Die Studie skizzierte Leitbilder, die – über
quantitative Ziele hinaus – eine Umorientierung vorstellbar machten.
Manche dieser Forderungen haben inzwischen Eingang in die Politik gefunden:
So ist bei internationalen Klimaverhandlungen der Anspruch auf gleiche
Pro-Kopf-Emissionen je Weltbürger die Zielgröße; Deutschland
hat eine ökologische Steuerreform und eine Nachhaltigkeitsstrategie
bekommen; das Leitbild »gut leben statt viel haben« hat sich
als Slogan selbstständig gemacht; Bio boomt; und »Entschleunigung« hat
seinen Weg in Feuilletons und Reiseprospekte gefunden. Dank vieler Diskussionsveranstaltungen
zur damaligen Studie – allein 1000 im Jahr 1996 – ist nachhaltige
Entwicklung überhaupt erst zum Gegenstand der öffentlichen
Debatte geworden. Heftige Kontroversen haben Interessengegensätze
verdeutlicht und Erkenntnisse gefördert. In vielen Städten
und Gemeinden hat die Studie lokale Agenda 21-Prozesse initiiert oder
unterstützt.
So weit, so positiv. Trotzdem ist Deutschland weit davon entfernt, die
Herausforderung der Nachhaltigkeit ernst zu nehmen. Das zeigen die Zahlen – die
Bilanz über die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die
Bilanz in der neuen Studie. Wir sind nicht auf dem Weg, ein zukunftsfähiges
Land zu werden. Deshalb hat der BUND zusammen mit Brot für die Welt
und dem Evangelischen Entwicklungsdienst eine neue Studie in Auftrag
gegeben – wieder beim Wuppertal-Institut. Damit wird die Kontinuität
zur ersten Studie gewährleistet. Vor allem aber hatte das Institut
den Mut und die Fähigkeit, eine so komplexe Aufgabe erneut anzugehen.
Wo regt sich Widerstand?
Wir müssen – bei allen Fortschritten in vielen Einzelbereichen – die
negative Gesamtbilanz zur Kenntnis nehmen und analysieren. Warum ist
Nachhaltigkeit inzwischen ganz oben auf der Liste der am meisten benutzten
Politikerworte und ganz unten, wenn es um politisches Handeln geht? Wo
sind die Widerstände, die Interessen, die Konzepte, Werte und Bilder,
die hartnäckig eine Umsetzung der Erkenntnisse blockieren? Welche
neuen Politikentwürfe und Strategien brauchen wir – in einer
Zeit, die sich seit der ersten Studie rasant geändert hat, mit einer
beschleunigten Globalisierung, der wirtschaftlichen Entwicklung von Schwellenländern
wie China und Brasilien, der Durchsetzung des Neoliberalismus?
Die gängigen politischen Botschaften folgen den altbekannten Linien:
Wachstum (nunmehr als »nachhaltiges Wachstum« aufgewertet)
werde die Probleme der Beschäftigung in Deutschland lösen,
die Armut in der Welt beseitigen und auch noch umweltschonend sein; denn
als Exportweltmeister verbreiten wir energie- und ressourcensparende
Technik in aller Welt, sichern damit unseren Wohlstand und fördern
gleichzeitig wirtschaftliche und umweltfreundliche Entwicklung in den
Ländern des Südens. Demnach dürfen wir alle zuversichtlich
sein: Wir brauchen weder zu teilen noch Wesentliches zu ändern – nicht
die Machtstrukturen und nicht das persönliche Verhalten.
Der BUND und seine Partner sind überzeugt, dass
•
Nachhaltigkeit nicht so einfach und konfliktfrei zu haben ist;
•
ein Kurswechsel in Deutschland nötig ist und mehr erfordert, als
einen neuen Kühlschrank zu kaufen;
•
neue globale Übereinkünfte nötig sind und eine Renaissance
der Regionen;
•
kein Weg vorbeiführt an einer forcierten Effizienzstrategie für
Energie und Rohstoffe;
•
nur ein achtsamer Lebensstil zukunftsfähig ist;
•
Politik die Priorität gegenüber der Wirtschaft zurückgewinnen
muss, und Wirtschaft nicht nur die Geldökonomie umfasst, sondern
Leistungen auch in Familie und Ehrenamt erbracht werden;
•
wir neue Arbeitszeitmodelle brauchen und wirtschaftliche und soziale
Strukturen, deren Stabilität nicht vom Wirtschaftswachstum abhängig
ist.
Hierüber wollen wir eine gesellschaftliche Debatte anstoßen.
Dieser Debatte dient die Studie als Grundlage – für alle,
die sich für die Zukunft verantwortlich fühlen. Deshalb hoffe
ich, dass viele Mitglieder der LINKEN die Studie lesen und dazu beitragen
werden, die Debatte über ein »zukunftsfähiges Deutschland
in einer globalisierten Welt« voranzubringen.
Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende im Bund für Natur und
Umwelt (BUND)
Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur
gesellschaftlichen Debatte. Eine Studie des Wuppertal-Institut für
Klima, Umwelt, Energie; herausgegeben von BUND, Brot für die Welt
und Evangelischem Entwicklungsdienst, Frankfurt/M., 2008. Fischer Taschenbuch
Verlag. 660 S., 14,95 Euro, gratis erhältlich sind die »Einblicke« in
die Studie über www.zukunftsfaehiges-deutschland.de
www.umweltdebatte.de
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