“Wir brauchen Leute aus der Stadt, die auf dem Land etwas bewegen wollen”

 

 

von Michael Succow

 

 

Professor Michael Succow war stellvertretender Umweltminister der letzten DDR-Regierung. In der letzten Ministerratssitzung erreichte er die Festlegung von 14 Naturschutzgebieten auf fast 5 Prozent des Territoriums der neuen Länder. Später gründete er an der Universität Greifswald den in Deutschland einzigen Lehrstuhl für Landschaftsökologie und Naturschutz und erhielt 1997 den ”Alternativen Nobelpreis”. Auszüge aus einem Gespräch mit dem Biologen und Naturschützer:

 

Hier in Mecklenburg-Vorpommern kämpfe ich darum, einen Naturpark auf der Insel Usedom durchzusetzen, aber der Landrat ist dagegen, weil er fürchtet, Investoren abzuschrecken, die der Insel das schnelle Geld bringen. Es ist eine weit verbreitete Meinung, daß ein Naturpark die freie Entwicklung behindert. Der Naturschutz ist für mich ein Nebenprodukt, das eigentlich Entscheidende ist die soziale Frage. Auf der Insel Rügen z.B. ist es anders. Es gibt dort eine Landrätin, die sich mit uns dafür einsetzt, eine Modellregion für alternatives Wirtschaften im Bereich der Landnutzung zu entfalten. Das braucht natürlich Menschen vor Ort, die das auch wollen. Nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung finden wir hier noch das bäuerliche Denken. Durch die Entwicklung der landwirtschaftlichen Großstrukturen sind die meisten im Laufe der Jahre dem bäuerlichen Denken entfremdet worden. Dann kommt hinzu, daß viele, vor allem die Eliten, schon zu Zeiten der DDR von hier weggegangen sind. Dadurch findet man hier schwer Leute, die Lokomotiven sind, die etwas bewegen wollen. Deshalb brauchen wir die Erneuerung aus der Stadtkultur, brauchen die Infiltration von Leuten, die etwas bewegen wollen. Aus der Region heraus allein schaffen wir es nicht, das ist meine Erfahrung.

 

Neuorientierung in der Agrarpolitik

 

Die gesamte Landnutzung in Europa unterliegt nicht der Marktwirtschaft. Sie würde über Nacht zusammenbrechen, wenn keine Transferzahlungen mehr kämen. Deshalb hätten wir die Möglichkeit, in diesem Wirtschaftszweig, der subventioniert wird und werden muß, die Gelder konsequent an ökologische und soziale Leistungen zu binden. Dadurch würden mit der Zeit weniger Gelder gebraucht, man könnte eine gesunde Landschaft erzeugen, würde wieder Arbeit auf dem Land schaffen können. Das wäre ein vernünftiges Konzept.

Die jetzige Agrarpolitik wird bald nicht mehr bezahlbar sein, und die Einsicht, daß sie nicht auf Osteuropa anwendbar ist, greift um sich. Wenn wir dort das wiederholen, was wir in der ehemaligen DDR nach dem Fall der Mauer gemacht haben, werden wir Ströme von Arbeitslosen bekommen. Dann bekomme ich Angst um die Demokratie. Deshalb halte ich es für eine der wichtigsten Aufgaben, diese heutigen westeuropäischen Agrarmodelle nicht mehr fortzusetzen, sondern andere Wege zu gehen.

Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ländliche Kultur und Natur werden zerstört, und reich werden ein paar Konzerne, die ihre Agrochemikalien und ihre Hightech loswerden wollen. Dagegen muß sich eine aufgeklärte Mehrheit wehren, denn die Fortschreibung der bisherigen Entwicklung bedeutet den Untergang der Hochzivilisation.

Ich persönlich traue dieser Zivilisation eine Neuorientierung, eine Reformation nicht mehr zu. Meine tiefe Überzeugung ist, daß diese Hochzivilisation eingehen wird, weil sie nicht mehr bescheiden genug sein kann. In ihrer letzten Phase macht unsere Gesellschaftsordnung noch ringsum alles kaputt, greift nach allem und zieht es mit in den Strudel.

 

Landschaften und Kulturen stabilisieren

 

Deshalb ist meine Option: in den Teilen dieser Welt, die noch nicht vom Raubbau erfaßt sind, Landschaften und Kulturen zu sichern, zu retten, damit es, wenn die Hochzivilisation am Ende ist, weitergehen kann. Nicht wie es die Amerikaner gemacht haben: die Indianer und ihre Kultur wurden zuerst vernichtet und dann wurden Nationalparks geschaffen, in denen die Überlebenden vegetieren müssen. Der Sozialismus in seiner Ineffizienz hat hingegen noch einiges übriggelassen.*

Unsere Konzepte sind sehr vorsichtig und knüpfen am Vorhandenen an. Zur Zeit der Sowjetunion wurden z.B. in Kamtschatka Lachse und Krabben gefangen und dort in den Fabriken zu Konserven verarbeitet. Diese Fabriken sind alle eingegangen. Heute kommen Fast-Food-Schiffe und bringen Erdnüsse aus den USA, Joghurtbecher aus Korea usw. Die Krabben werden schon auf See zu Dumpingpreisen verkauft. Keiner hat mehr Arbeit, die Kolchosen und damit die ganze Landnutzung sind zusammengebrochen, weder Milch noch Käse werden mehr erzeugt. Viele Leute gehen im Alkohol unter.

Ähnlich in Kirgistan, dem Ursprungsland der Aprikosen. Es gibt dort heute keine Verarbeitung mehr, der Apfel- und Kirschsaft wird aus Ungarn, der Orangensaft aus Java geliefert.

Früher mußten die reichen Länder noch Kriege führen, um Kolonien zu erobern. Heute braucht es dafür keine Kriege mehr, die Länder liegen darnieder und der neu eingeführte Kapitalismus raubt ihnen das Letzte. Dort etwas zu tun, habe ich mir zum Schwerpunkt gemacht.

 

Perspektiven für die Jugend

 

Wir leben in einer Zeit , in der die Zahl der „Umsonstgeborenen“ - ein hartes Wort, aber es ist so - immer mehr ansteigt. Zum Beispiel kommen aus allen Teilen Deutschlands Studenten nach Greifswald, um bei mir zu studieren. Doch schon heute haben sie keine Aussicht mehr auf einen Arbeitsplatz nach dem Studium. Diesen Jungen sage ich ständig: Studiert, wie man ökologischen Landbau betreibt, das muß nicht an der Universität sein, da reicht auch eine Fachhochschule. Bildung und Wissen sind wichtig, aber dann tut selbst etwas, die Gesellschaft wird euch keine Arbeit mehr geben.

Es ist gut, wenn intelligente und gebildete Leute in die ländlichen Gebiete gehen, dort etwas tun, und durch die Natur, die Geselligkeit und Kommunikation mit anderen, alles das, was sonst immer verdrängt wird, ihren Platz, ihren inneren Frieden finden. Diese Studierenden werden für die Zukunft einen immer größeren Pool für neue Projekte auf dem Land bilden. Heute in die Wissenschaft zu gehen und sich hochstylen zu lassen, das bringt es ja wirklich nicht mehr. Ich habe hier eine reine Managerfunktion und versuche, Geld von Stiftungen zu akquirieren, um noch eine Generation von klugen Menschen breiter auszubilden.

Wir müssen jetzt ländliche Räume stabilisieren, indem die traditionellen Wirtschaftsweisen und die geschlossenen Kreisläufe geschützt werden. Dafür Leute auszubilden ist noch ein sinnvoller Lebensinhalt. Auch hier bei uns müssen wir versuchen, mit Bauern zusammen ökologische Gebiete aufzubauen und Gelder dafür zu bekommen. Ich glaube, daß immer mehr Leute zu den Gruppen kommen werden, die damit angefangen haben.

Ich habe zwei Empfehlungen für die Förderung einer ökologischen und sozialen Entwicklung:

 

1. Ökologische Leistung muß bezahlt werden

Die Kopplungsprodukte müssen endlich bezahlt werden. Das heißt z.B., wenn ein Landnutzer gutes Grundwasser erzeugt, mannigfaltige Landschaft erhält, dann muß er dafür bezahlt werden. Die Massenprodukte hingegen, die eine schlechte Qualität haben und sozial unverträglich hergestellt werden, dürfen nicht mehr gefördert werden. Heute darf nicht mehr die Produktionslandschaft im Mittelpunkt stehen, sondern das, was die Landschaft der Stadtkultur an Werten liefert, die bisher nicht bezahlt wurden. Der kommunale Finanzausgleich muß ebenfalls ökologische Leistungen honorieren.

 

2. Verkehr muß teurer werden 

In spätestens zehn Jahren sollte der Liter Benzin fünf Mark kosten. Wenn die Mobilität teurer wird, werden die Regionen wieder lebendig, das Erzeugte wird wieder an Ort und Stelle verbraucht.

Die Natur ist die Grundlage für die Zukunft. Jetzt, nachdem ich einige Jahre die Marktwirtschaft erlebt habe, sehe ich ziemlich klar. Diese Wirtschaftsweise ist nicht in der Lage, das Überleben zu sichern. Sie kann nur bestehen, indem sie wächst, wächst, wächst, zur Verschwendung animiert und die Welt weiter kaputt macht. Im Sozialismus hatten wir ja noch Hoffnung auf eine vernünftigere Welt, haben uns eingesetzt, um vielleicht etwas zu verbessern. Und nun erleben wir eine Gesellschaft, die überhaupt nicht mehr in der Lage ist, diese Versöhnung mit der Natur und mit der armen Welt zu meistern. Sie schafft nur weitere Wachstumsmodelle der Reichen, Insellösungen für die Reichen. Daher kommt eigentlich unsere Verzweiflung: Im Sozialismus hatte man die Hoffnung, daß es noch irgend etwas geben könnte. Trotzdem werde ich weitermachen und sicherlich viele andere auch, an den verschiedensten Orten.«

 

Notiert von Beatriz Graf

 

* 1991 war Prof. Succow Projektleiter in Georgien und richtete dort mit Freunden sieben Nationalparks ein. Dies entspricht einem Drittel der Landesfläche. Er initiierte ein Nationalparkprogramm in der Mongolei, wo die Steppen mit ihren Wildtieren, aber auch den Weidetieren und Nomaden noch eine Einheit bilden. Er setzte sich für die Einrichtung des Biosphärenreservats ”Zentraler Tienschan” in Kirgistan ein. Auf Kamtschatka konnten 1995 mit seiner Unterstützung insgesamt 4,2 Mio ha Landfläche vor dem Raubbau durch südkoreanische, japanische, US-amerikanische und kanadische Firmen gesichert werden. Das Gebiet von der Größe der Schweiz wurde innerhalb eines Jahres zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt.

 

Kontakt: Michael Succow Stiftung, Borstellstr. 14, 12167 Berlin-Steglitz, Tel./Fax (030) 79410146

Text aus: ARCHIPEL, Monatszeitung des Europäischen Bürgerforums, c/o Ulenkrug, Dorfstr. 68, 17159 Stubbendorf, Tel. 039959-23881, Fax 20399, e-mail: ulenkrug@t-online.de (nachfolgend erschienen im “Raben Ralf” und der „tarantel“)

 

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