Ökotopia in der Südsee

Literarischer Ausflug in eine ökologische Zivilisation

Von Marko Ferst

In seinem neuen Zukunfts-Roman „Das Tahitiprojekt“ entführt uns Dirk C. Fleck in die fiktive Ökologische Föderation Polynesien ins Jahr 2022. Er präsentiert uns, mitten im Pazifischen Ozean gelegen, eine Gesellschaft, die sich vollständig auf eine ökologische Lebensweise begeben hat. Frankreich zog sich endlich aus seinen überseeischen Kolonien zurück und die 121 Inseln, davon 76 bewohnt, gründeten eine eigene Ökorepublik mit dem jungen Präsidenten Omai an der Spitze. In demokratischen Wahlen stellte er seine „grüne“ Perestroika zur Abstimmung und wurde von der Bevölkerungsmehrheit ins Amt gewählt.
Zur gleichen Zeit nehmen die sozialen Spannungen in den Industriestaaten, einschließlich Deutschland, immer mehr zu. Arbeitslose werden in abgegrenzte Gettos verbannt, gentechnische Pflanzen verunreinigen die Lebensmittel. Der Klimawandel hinterläßt immer deutlichere Verwüstungen. Preise für die Lebenshaltung explodieren. Vom demokratischen Bestand der Gesellschaften ist kaum etwas verblieben, ein Funke reicht und bürgerkriegsähnliche Szenarien sind zu befürchten. Die Medien kooperieren fast offen mit den Machthabern, knicken ein vorm großen Geld.
Cording ist ein Spitzenjournalist in Hamburg beim „Spiegel“ - hätte ich fast gesagt: Nein das Magazin heißt im Roman anders. Er berichtet z.B. von der amerikanischen Westküste über Anschläge auf Fahrzeuge von Holzfirmen, die dort die letzten Baumriesen fällen. Doch sein nächster journalistischer Auftrag führt ihn nach Tahiti in die Südsee zu den Ökochaoten, wie ihn sein Blattchef wissen läßt. Er sagt damit zugleich, wie der Artikel aussehen soll, den er abzuliefern hat. Nach einer internationale Pressekonferenz auf Tahiti, gerät der Roman einstweilen zu einer Rundreise auf der Südseeinsel.
Häuser dürfen nicht mehr höher als die Kokospalmen gebaut werden - Lehm, Hanfbeton, Bambus, Holz sind jetzt einschlägige Materialien in der Achitektur, die Dächer werden mit geflochtenen Pandanus-Blättern gedeckt. Solarpanele, Bioabfälle und kleine Windwandler sorgen für die sparsam verwendete Energie auf Tahiti, Wellenkraftwerke sind auf dem Ozean installiert. Cording beeindruckt jedoch besonders der heitere und gelassene Lebensstil der meisten Insulaner. Auch ohne Autolawinen kommt man schnell von A nach B. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Kommunikation versteht Cording sich auch mit Maeva, der Schwester des Präsidenten, immer besser. Wird es ein Grund für ihn werden in der Ökosüdsee zu bleiben oder fährt er nach dem Ende seiner umfangreichen Recherchen wieder nach Deutschland zurück?
Doch zunächst kommt es zu einem Zwischenfall. Ein amerikanisch-chinesisches Unternehmen baut illegal in großem Stil an einer der Inseln sehr seltene und wertvolle Metalle unter Wasser ab. Gefahren für Korallenriffe und die weitere Umwelt sind programmiert. Ein Wissenschaftler, dessen Familie in den USA auf mysteriöse Weise erschossen wird, warnt die Polynesier. Wie sich herausstellt, handelt der Konzern unterstützt von den Regierungen durch Steuermittel. Die junge Ökorepublik bringt die Verletzung ihrer Hoheitsrechte vor den UN-Sicherheitsrat.
Dirk C. Fleck erweist sich wie schon in seinem Roman „Go! Die Ökodiktatur“, erschienen 1993, als praktischer und weitsichtiger Visionär. Wie er selbst einräumt im Nachwort, ist seine damalige Negativutopie für 2040, der wahrscheinlichere Ausgang angesichts kulminierender ökologischer Einbrüche, nicht nur der „Klimakatarakte“, auf die wir zulaufen. Um so spannender ist die Idee, in eine Romangestalt verkleidet, eine gesellschaftliche Alternative zu diskutieren. In „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ hatte ich eine ökotopianische Zukunftsgesellschaft vorgestellt und darüber hinaus gefragt, ob es nicht möglich ist in weniger entwickelten Ländern, eine relativ große Region ökomodellhaft zu entwickeln. Fleck spielt dieses Szenario in Romanform durch. Überdies sei angemerkt, es gibt mindestens zwei Vorläufer: Callenbachs Reisereportage „Ökotopia“ und Robert Havemanns „Reise in das Land unserer Hoffnungen“ im Buch „Morgen“, beide mehr als 25 Jahre alt.
Doch wie wehrt sich Flecks Ökopolynesien gegen die übermächtigen Eindringlinge aus Übersee? Eine Armee steht nicht zur Verfügung, doch soviel sei verraten: Cording begleitet ein junger Internetspezialist, mehr aus Urlaubsgründen. Er wird weltweite Kontakte über das Internet organisieren, Cording einen Artikel für sein Blatt schreiben, der mit Tricks erscheinen kann. Schritt für Schritt erfährt die Welt über den amerikanisch-chinesischen Geheimcoup, und immer mehr Medien berichten darüber. Eine Armada aus tausenden kleinen Holzbooten schreibt plötzlich Geschichte. Präsident Omai wird weltweit bekannt und gefeiert. Doch wird er auch wie geplant vor der UN-Hauptversammlung sprechen oder fällt er einem Attentat zum Opfer? Zumindest für den zweiten Teil des Romans ist das Verlags-Prädikat „Ökothriller“ durchaus zutreffend.

Dirk C. Fleck: Das Tahitiprojekt. Roman. Pendo Verlag, 344 S., geb. , 19,90 €

Neues Deutschland, 20.5.2008



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