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Der Ausstieg ist nötig, auch der
aus dem kleinen Auto
MARKO FERST
Mit dem Buch "Die Alternative" setzte Rudolf Bahro Maßstäbe
für die Kritik der scheinsozialistischen Systeme. Nach der DDR-Haft
und zeitweiser Mitgliedschaft in den Grünen entstand "Logik
der Rettung", ein Werk, das die monopolkapitalistische Industriegesellschaft
in Verbindung mit der ökologischen Krise und der menschlichen Bewußtseinsverfassung
analysiert und Konturen einer überlebensfähigen Ordnung aufzeigt.
Die gigantischen ökologischen Teilprobleme, mensch denke nur an den
Treibhauseffekt und das Ozonloch, ergänzen sich zu einer allumfassenden
Totalkrise. An den Einzelproblemen herumzuoperieren, bedeutet nur auf
der Symptomebene zu agieren, meint Bahro. Von dorther sei die Todesspirale
nicht zu stoppen. Eher beschwört mensch damit eine Ökodiktatur
herauf. Der Ausstieg aus der kapitalbestimmten Produktionsweise ist nötig,
aber auch der aus dem kleinen Auto und vielen anderen sogenannten zivilisatorischen
Errungenschaften.
Traditionelle Umverteilungspolitik herkömmlicher Oppositionen zugunsten
der Unterklassen und Randgruppen des Industriesystems legitimiert unsere
Verbrechen gegenüber der "dritten Welt" und führt
uns näher an unseren eigenen Untergang heran. Alle Fragen, die diesen
Umverteilungsaspekt betreffen, scheint mir Bahro etwas undifferenziert
zu betrachten. Sein Gedanke von einem sozialen Rahmenplan relativiert
das etwas.
Bahro sucht nach den Ursachenschichten der Selbstausrottung. Den Untergrund
für das Industriesystem, das durch den kapitalistischen Antrieb in
Gang gehalten wird und expandiert, bildet für ihn die europäische
Weltsicht, die er als eine aggressive und herrschaftliche Form der Initiative
bezeichnet, die über alle anderen Verhaltensweisen dominiert. Eine
solche Entwicklungsrichtung setze das Patriarchat voraus. Als letztes
Glied in der Ursachenkette benennt Rudolf Bahro unsere Bewußtseinsverfassung.
Sie sei der Ausgangspunkt der Selbstausrottungstendenz. Der Mensch, der
sich an seinem selbstsüchtigen Eigenwillen orientiert, wird den Weg
zum Neubau der Kultur und zur radikalen Veränderung der Ökonomie
und der Institutionen nicht finden.
Bahro plädiert für eine Bewußtseinsrevolution. Sie müsse
damit beginnen, daß wir begreifen, wie wir alltäglich leben,
auf welche Weise wir der Selbstausrottungslogik verhaftet sind. Verbunden
sein sollte das mit der Kontrolle unserer Kräfte und Mächte
vom Herzen her. Meditation könne helfen, die Innenwelt zu verändern
und sich vom unbewußten Fremdbestimmtsein und der Dominanz der Ich-Perspektive
zu befreien.
Die Vision für eine Umkehr in den Metropolen hänge davon ab,
wie schnell der Mehrheit klar werde, daß sie aus der eigenen Interessenlage
heraus die monopolkapitalistische Gesellschaftsform beseitigen und eine
andere materielle Versorgungsgrundlage schaffen muß. Die Alternative
sieht Bahro nach wie vor im Aufbau von Basisgemeinden der neuen Ordnung
in Gestalt eines netzwerkartigen Verbundes von Gleichgesinnten, die überall
lokale kommunitäre Zusammenhänge schaffen. Dabei sollte die
ökonomische Grundlage so weit wie möglich der Entwicklung der
sozialen Verhältnisse, dem Selbstentfalten und -verändern untergeordnet
werden - ein Ansatz, der durch eine nichtkonventionelle Opposition flankiert
werden müßte. Opposition als Thema aber taucht bei Bahro nur
in den herkömmlichen, zweifellos kritikwürdigen Existenzformen
auf.
Der Ansatz für eine neue Politik wäre seiner Ansicht nach schon
möglich, wenn die Massenkommunikation und die Institutionen schrittweise
von den herkömmlichen Macht- und Besitzstandsinteressen befreit werden
könnten. Die gültigen ökonomischen und politischen Zwänge
sollen durch die Einsicht, daß unsere gesellschaftliche Praxis in
allen Ebenen tod-orientiert ist, von innen her aufgeweicht werden. Mit
Hilfe von einflußreichen Menschen oder solchen, die es werden. Diese
könnten dann auch eine schrittweise Neuinstitutionalisierung vornehmen,
um den Boden für die Umkehr zu bereiten.
Die Rechtssphäre und der Staat müßten herausgelöst
werden aus der Funktion, Diener der materiellen Expansion zu sein. Ein
Oberhaus sollte Fragen des Allgemeinwohls unabhängig von den speziellen
Sonderinteressen behandeln. Eine Rettungsregierung als begrenztes Projekt,
um die Megamaschine anzuhalten und den Ersatz für ihre Versorgungsfunktionen
zu schaffen, könnte den Durchbruch im Überbau leisten.
Sind jedoch die Grundlagen in der Bevölkerung dafür nicht entwickelt,
würden wir m. E. sehr schnell eine ökodiktatorische Notstandsregierung
haben. Welch wichtige Funktion hätte deshalb in diesen Prozessen
eine Opposition, die auf die neue Ordnung orientiert! Natürlich kommt
es dabei darauf an, den Gegner mitzuerlösen.
Für ganz entscheidend hält Bahro eine Volksbewegung, die bis
zur Volkserhebung geht, um die ökonomische Expansion zu stoppen.
Nur von woher wird der Impuls dafür kommen? Für die neue Ordnung
müßte die Grundversorgung wieder auf den Nahbereich zusammengezogen
werden. Die Arbeitsteilung würde wesentlich von den Kommunen her
neu aufgebaut. In diesem Bereich sind wesentliche Konflikte unbehandelt,
da sich Gesellschaftsart auch danach richtet, wie und was hergestellt
wird, und unter welchen Bedingungen sich der Austausch der Produkte vollzieht.
Für ziemlich problematisch halte ich, daß die Analysen nicht
vom Allgemeinverständlichen zum schwerer Begreifbaren aufgebaut sind.
Dadurch werden konfliktbeladene Sachverhalte nicht genügend differenzierbar.
Es käme darauf an, die verschiedenen Gedankenebenen zu hinterfragen
und von unterschiedlichen Ausgangskonstellationen die Vision einer neuen
Ordnung weiter zu entwickeln.
Auf jeden Fall liegt hier ein Werk vor, in dem Fragen unserer Zukunft
behandelt werden. Es könnte den Anstoß für eine Rettungsbewegung
geben, die sich in verschiedenen Formen manifestiert, jedoch ein gemeinsames
Ziel verfolgt.
Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über
die Grundlagen ökologischer Politik, 525 Seiten
26.7.1991, ND (Originalfassung existiert nicht mehr)
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