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Plädoyer für ökologische Rettungspolitik
Die PDS muß die Weichen für das Jahrhundert der Ökologie
stellen
Elke Wolf (Grundsatzkommission), Anne-Kathrein Petereit, Marko Ferst,
Michael A. Holzmüller (Ökologische Plattform) Thomas Fabricius,
Martin F. (Erneuerungs-AG 5 vor 12)
Alles steht auf dem Spiel. Zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts befinden
wir uns inmitten einer vielschichtigen Zivilisationskrise, die einen
Anlauf von mehreren Geschichtsepochen hatte. Sie durchdringt alle Aspekte
unseres Lebens und doch schwelt sie in den reichen Industrieländern
weitgehend nur unter der Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung.
Der materielle Wohlstand von drei, vier Generationen wird immer wahrscheinlicher
mit Jahrhunderten Elend und Siechtum bezahlt werden müssen. Überspringen
der Treibhauseffekt und das Ozonloch ihre kritischen Größen,
wirken sie nicht nur in der nächsten Legislaturperiode. Sie lassen
sich nicht abwählen wie Politiker. Mit Recht würden nachfolgende
Generationen unser heutiges Tun mit Unverständnis, Verachtung und
Haß betrachten. Wir verhalten uns gegen sie als Verbrecher, in
dem wir ihnen die Mittel für ihr Leben entreißen.
Noch gibt es einige indigene Völker und soziale Gruppen auf der Erde,
die sich als Teil der Natur verstehen. Sie fühlen und leben Verantwortung
für ihre Kinder, für die Tiere und Pflanzen. Sie gehören
zu den Erdenbewohnern, die für sich in Anspruch nehmen können,
noch einen ökologischen Lebensstil zu führen. Auch in den deutschen
Regionen wurde einst die Natur als lebendiger, nährender Zusammenhang
verstanden, doch spätestens im 16. Jahrhundert funktionierte man
sie immer mehr in eine Reproduktionsmaschine um. Ein Weltbild, das den
Menschen uneingeschränkt in den Mittelpunkt allen Geschehens stellt,
kam zu materieller Gewalt. Dieses Weltbild wirkt in radikalisierter Weise
bis heute fort. Mit diesem Paradigma müssen wir brechen und lernen,
daß uns Bäume doch etwas lehren können, und zwar nicht
erst, wenn sie krank oder schon abgestorben sind.
Die Naturfrage ist gegenüber den innergesellschaftlichen Kämpfen
um Freiheiten und soziale Besitzstände die umfassendere Sicht des
Ganzen. Dies ist in der PDS zumeist ausgeblendet, andere Parteien, selbst
die Bündnisgrünen, sind in diesem Punkt jedoch nicht besser.
Es reicht schon lange nicht mehr hin, nur gegen die offensichtliche technische
Gigantomanie anzukämpfen oder gegen die verschiedenen Symptome industrieller
Zerstörung. Gewöhnlicher Umweltschutz gerät immer mehr
zum Teil des Problems, er muß, so weit es noch Sinn macht, von der
fundamentalen Ökologie integriert werden. Zweifellos ist es gut,
daß die PDS Aktionspostkarten gegen den Transrapid initiiert und
sich gegen den Havelausbau engagiert und die Berliner PDS eine Abgabe
zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs vorschlägt.
Noch besser wäre es, wenn sich einige hundert MitstreiterInnen aus
der PDS fänden, um in Lüchow-Dannenberg gegen Atompolitik der
Bundesregierung zu demonstrieren, so der nächste Castor-Transport
droht. Schafft frau und mann dies mediengerecht zu inszenieren, hätte
man vielleicht nebenbei die Tür in Richtung Westen ein Stück
weiter aufgestoßen und womöglich müßte die PDS 1998
dann nicht mehr um die 5 Prozent bangen.
Wer eine Fahrt nach Gorleben nicht auf sich nehmen will, kann immerhin
noch den SiemensBoykott unterstützen, um den Konzern dazu zu zwingen,
aus dem Atomgeschäft auszusteigen. Die Ökologische Plattform
stellt zu beiden Kampagnen Anträge an den Parteitag. Natürlich
sind dies nur erste praktische Schritte im Vorbereich ökologischer
Politik. Es wäre schön, könnte sich die PDS sich zu einem
unmißverständlichen Erhalt von Horno und Hoyersdorf durchringen.
Wenn wir bis spätestens 2050 weltweit die solare Energiewende vollzogen
haben müssen, wie die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland"
meint, dann bedeutet das für die Bundesrepublik: Zwischen 2020 und
2030 muß das letzte fossil betriebene Kraftwerk vom Netz gehen.
Wir sollten Vorreiter sein, wenn wir wollen, daß z.B. China und
Indien etc. nachziehen. Die Energie, die wir einstweilen nicht einsparen
können, muß dann aus Solarstrom, dezentraler Wasserkraft,
Biogas und Windkraft gewonnen werden. Auch bei diesen Technologien ist
ökologische Innovation unverzichtbar.
Gerade von der PDS sollte man doch annehmen, daß sie den Filz zwischen
Banken, Politik und Stromkonzernen bloßstellt und diesem Kartell,
das die solare Energiewende verhindern will, Dampf macht und nicht für
Arbeitsplätze, die früher oder später ohnehin weg müssen,
mit in diese Kumpanei einsteigt. Würde sich die PDS mit Vehemenz
für die Energiewende einsetzen, könnte sich sehr schnell zeigen:
Viele neue Arbeitsplätze würden entstehen. Allerdings müßte
die Pathologie der Arbeitsgesellschaft insgesamt thematisiert werden.
Vier Millionen offizieller Arbeitslose, das ist keineswegs ein Naturgesetz,
wenn die vorhandene Arbeit gerechter verteilt würde. Die Vier-Tage-Woche
hätte längst generell eingeführt werden können.
Mit unserem Lebensstil und dem zugehörigen gesellschaftlichen Modell
liegen wir auf einem Irrweg menschlicher Entwicklung. Riskieren wir nicht
mit allen Konsequenzen die Selbstbefreiung aus dieser ererbten und fortgeführten
Unmündigkeit, enden wir wie Sodom und Gomorrha. Seit dem Beginn
der industriellen Revolution in Europa vervielfachten sich die Verbräuche
an Energie und Material in riesenhaftem Ausmaß. Die Studie "Zukunftsfähiges
Deutschland" zeigt auf, daß wir dieses Level in den reichen
Industriestaaten um den Faktor Zehn zurückschrauben müssen.
Mehr und mehr dürfte strittig werden, wieviel Zeit wir für
diese Umkehr noch zur Verfügung haben. Fakt ist, jeden Tag, an dem
unser selbstmörderisches System weiterläuft, stehen unterm Summenstrich
weitere 100 Mill. Tonnen Kohlendioxid, die unsere Atmosphäre aus
dem Gleichgewicht bringen. Und wären es nur 30 Mill. Tonnen, so bräuchten
wir für den selben Effekt nur etwas länger. Wir laden auf unser
Schiff immer mehr ökologische Schattenlasten, und selbst wenn die
Päckchen, die wir an Bord nehmen, winziger als winzig werden, es
kommt der Punkt, von dem aus es keine Rückkehr gibt und das Schiff
untergeht. Die Vielzahl der zerstörerischen Kräfte, die das
globale Industriesystem freisetzt, sind in ihrer gesamten Wirkung unberechenbar.
Aber vielleicht wird es auch auf der Welt irgendwo ein wissenschaftliches
Institut geben, wo ein wenig außer der "Norm" experimentiert
wird. Vielleicht sind es mutierte Krankheitserreger, die der Gattung Mensch
in Windeseile den Garaus machen, ein Versehen gewissermaßen? Oder
zieht ein Atomkrieg zwischen China und den USA den Schlußstrich,
weil sich der fernöstliche Part mit einem Fünftel der Weltbevölkerung
nicht an amerikanische "Umweltinteressen" hielt?
Bei der Zerstörung der Ökosphäre handelt es sich immer
um gekoppelte nichtlineare Prozesse. Sicher können wir vieles voraussagen,
aber im Ganzen sind sie in ihrer Komplexität unüberschaubar.
Erst wenn die Sicherungen rausgeflogen sind, erst wenn wir mit dem Testen
zu weit gegangen sind, können wir genauer sagen, von wo aus das Verhängnis
seinen Lauf nahm, dann kommen wir auch mit der Rechnerei hinterher, nur
eben leider zu spät.
Der ökologische Umbau des Steuersystems ist das Herzstück für
eine sozial-technische Effizienzrevolution. Nach einer Übergangszeit
von ca. 10 Jahren müßten die Steuereinnahmen des Staates zu
etwa 80-90% aus Ökosteuern resultieren. Dies würde eine drastische
Reduktion der Material- und Energieaufwände nach sich ziehen. Der
Faktor Arbeit verbilligte sich rapide gegenüber dem Naturverbrauch.
Ein Ökobonus könnte als ausgleichende Zahlung für Rentner,
Studenten, Arbeitslose etc. gezahlt werden, dabei ihnen keine Einkommensverbesserungen
durch den Wegfall der bisherigen Lohnsteuern entstehen. Als soziales Regulativ
könnte eine beschränkte Lohnsteuer fungieren, die erst ab einem
Bruttoeinkommen von ca. 3500 DM einsetzt und dann exponentiell ansteigt.
Dies muß eine der Kernforderungen von PDS-Sozial-politik werden!
Das Konzept der PDS-Bundestagsgruppe zur Mengenregulierung ist nicht geeignet
das grundverkehrte Steuersystem in Deutschland neuzugestalten und zudem
inflationstreibend, da die Staatseinnahmen erhöht werden. Wollen
wir eine ökosoziale Begrenzungsordnung, muß der Staatshaushalt
mit immer weniger Finanzen auskommen.
Nimmt die ökologische Zeitenwende Kontur an, wird Mangel zum beständigen
Begleiter. Es hat den Anschein, daß Mangel in hierarchisch gestuften
Gesellschaften tendenziell zu Diktatur bzw. zuvor zur Zentralisierung
von Entscheidungen führt. Kriegsrecht, Katastrophenschutz sind Beispiele
dafür, ebenso wie die Verwaltung der "Mangelwirtschaft"
in der DDR, wie die schwere Geburt demokratischer Staaten in den ärmsten
Arealen dieser Welt. Verteilungswirtschaft führt auf der anderen
Seite Korruption und Schwarzmarkt im Gefolge.
Der Widerpart von Mangel ist Überfluß. Verschwendung, Maßlosigkeit
und Sorglosigkeit sind seine Initialien. In den reichen Industrieländern
kristallisiert Überfluß als organisierte Verantwortungslosigkeit.
Wird bei ökologischen Wendeszenarien der Zusammenhang zwischen Mangel
an materiellen Gütern und den bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsformen
nicht beachtet, kann aus der notwendigen Begrenzung sozialer Ansprüche,
aus "linken, guten" Ideen, konservativ-reaktionäre Praxis
werden.
Die Befriedigung von Bedürfnissen führt, wenn sie ein gewisses
Maß überschreitet, zu einem Ressourcen-Problem. Soll dies vermieden
werden, kann nicht der Ausgangspunkt sein, die menschlichen Bedürfnisse
zu ignorieren. Befriedigt man Bedürfnisse, wie sie heute in der Industriegesellschaft
typisch sind, über längere Zeit nicht, werden viele Menschen
unzufrieden, süchtig oder aggressiv. Zugleich muß man aber
zugeben, die menschliche Existenz ist vom Grunde her nicht an das Vorhandensein
von Autos, Kraftwerken und Computern gebunden. Dies alles sind sehr späte
Erfindungen in der menschlichen Geschichte. Indigene Völker, die
durch die kapitalistische Zivilisation noch nicht ihres ursprünglichen
Lebenszusammenhanges beraubt sind, würden die Notwendigkeit dieser
Dinge als geistige Verirrung auffassen.
Will die Gesellschaft aus der Misere heraus, müssen die Bedürfnisfelder
radikal umverlegt werden. Der Umbau des Steuersystems, die ökologische
Umlenkung staatlicher Subventionen und andere ordnungspolitische Instrumentarien
können dafür den Grundstein legen. Statt viel haben, muß
bescheiden leben gewichtig werden. Zu fragen ist: Was sind Luxusbedürfnisse,
und was sind fundamentale menschliche Bedürfnisse? Die Werte des
Seins sollten über denen des Habens stehen. Wir brauchen den Übergang
vom Wohlstandsstaat zur Wohl-Seins-Gesellschaft.
Bedürfnisse können in unterschiedlichster Form befriedigt werden.
Marx bemerkte dazu, die Produktion gibt der Konsumtion die Bestimmtheit,
ihren Charakter, ihr finish. "Hunger ist Hunger, aber ein Hunger,
der sich durch gekochtes, mit Gabel und Messer gegeßnes Fleisch
befriedigt, ist ein anderer Hunger als der rohes Fleisch mit Hilfe von
Hand, Nagel und Zahn verschlingt. Nicht nur der Gegenstand der Konsumtion,
sondern auch die Weise der Konsumtion wird daher durch die Produktion
produziert, nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv." (MEW,Bd.42,S.27f.)
Es muß zu einer Besinnung auf die menschlichen Bedürfnisse
selbst überhaupt erst wieder kommen. Und zwar auf jene, die durch
unser faustisches Projekt vom Höher-Weiter-Größer verschüttet
worden sind, die aber jedem Menschen innewohnen. Gibt es in unserer Gesellschaft
nicht massenhafte Defizite bei der Erfüllung von Grundbedürfnissen
wie Geborgenheit, Zuwendung, Liebe, Sexualität, Spiritualität
und offenem, vertrauensvollen Miteinander? Resultieren daraus nicht Ersatzbefriedigungen
wie übersteigerter Konsum, Karrierestreben, Machtgier, Süchte
aller Art, die die Leere nur betäuben, aber nicht ausfüllen
können?
In einer kommerzialisierten Welt scheint es für elementare menschliche
Bedürfnisse wenig Platz zu geben. Zugleich ist das auch eine Anfrage
an uns selbst, welche psychische Energie wir in unserem eigenen Umkreis
ausstrahlen. Eine lebensfrohe Gesellschaft beginnt in uns selbst und
eine Gemeinschaft mit diesem Wollen kann solches Ansinnen zum Wachsen
bringen. Wir leben in der Halbzeit der seelisch-geistigen Evolution des
Menschen. Der Aufstieg des Homo sapiens vom mentalen zum integralen Bewußtsein
steht an. (J.Gebser) Die eigentliche Chance für eine Rettung vor
der selbstverschuldeten Epoche des Untergangs erwächst aus dem geistigen
Lebensniveau der Gesellschaft. Materieller Reichtum und Wohlstandssucht
können nicht den Gipfel menschlichen Daseins begründen. Die
Aufrichtigkeit sozialer Beziehungen, der Weg des Herzens ist die unmittelbarste
Quelle für eine Heilung unserer kranken Gesellschaft.
Nur einer Minderheit ist es auf unserem Planeten vergönnt, sich dem
euroamerikanischen Überfluß hinzugeben. Ungefähr 100.000
Menschen sterben täglich an den Folgen von Unterernährung. Jedes
Schicksal zählt einzeln. Jetzt und jetzt und jetzt ... Das ist der
Takt unserer mangelnden Solidarität und der ausbeuterischen Weltwirtschaftordnung.
Das größte Bauernsterben in der Weltgeschichte, das auf uns
zukommen dürfte, die reichen Länder zettelten es an, wird diese
Situation auf das unerträglichste verschärfen.
Großgrundbesitzer rafften in Mittelamerika z.B. die Hälfte
der Ländereien unter ihre Fittiche und dort wird gewinnbringend
für den Export produziert, während die eigene Bevölkerung
hungert. Ca.70 Prozent der Kinder sind unterernähert, z.B. für
Spargel, der nach Europa exportiert wird und Nelken für Amerika etc.
Man denke auch an Kaffee, Kakao, Erdnüsse, Orangen, Bananen, die
aus allen Weltteilen zusammengekarrt werden. Die Schuld steht auf unseren
Eßtischen, sicher geschützt von den Armeen des Nordatlantikpaktes.
1991 vergaben die Industrieländer 60 Mrd.Dollar an Krediten für
die Länder des Südens, an die reichen Nationen zahlten sie jedoch
1361 Mrd.Dollar zurück. Das zeigt Relationen. Entwicklungshilfe stützt
häufig die exportorientierte Wirtschaft. In dieser Form zementiert
sie den Neokolonialimus. Da kann die Forderung nach Mehr schnell das Gegenteil
von dem Gewünschten erreichen.
Wer ist Anwalt für die Entrechteten in den armen Regionen dieser
Welt, wer ist Anwalt für die absolute Mehrheit der Menschen, der
nachkommenden Generationen? Die PDS ist es bisher in keiner Weise. Noch
zählen Wahlprozente mehr als eine internationale Sozialpolitik,
die kurzfristigen Besitzstände bekommen Vorfahrt vor den langfristigen
Interessen. Es ist doch ganz klar: In wenigen Dekaden ist die 10 - Milliardenschranke
im Bevölkerungswachstum durchbrochen. Wollten wir allen Menschen
mittleres deutsches Lohnniveau innerhalb einer längeren Zeitspanne
vermitteln, der Ofen wäre binnen kürzester Zeit aus. Trotz radikaler
Umverteilung der Finanzströme von oben nach unten, ein deutlich
schrumpfendes Wirtschaftsvolumen bliebe in den Industrieländern unausweichlich
und dies bedingt auch geringere Profite, Löhne und Sozialetats. Wir
müssen uns konsequent auf einen nachhaltigen Lebensstil zu bewegen.
Wer sagt, dies könnte in den euroamerikanischen Überflußgesellschaften
ohne Verzichte abgehen, der lügt. Ob aber am Ende vielleicht eher
ein Gewinn an Lebensglück steht, hängt von unserer Kreativität
und Intelligenz ab und ob wir den Wettlauf mit der Zeit noch für
uns entscheiden können. Die ökologische Zeitenwende muß
mit dem Prinzip der Gleichheit verbunden sein und zwar im Sinne der Gleichartigkeit
der sozialen Ansprüche, Bedürfnisse und Lebenschancen aller
Menschen, ohne dabei sinnvolle kulturelle Identität zu zerstören.
Das Modell des Westens darf dabei nicht Pate stehen. Für die übergroße
Mehrheit der Erdbevölkerung würde diese Perspektive auch einen
höheren Lebensstandard bedeuten, im Gegenzug heißt das aber
auch: Wir müssen auf die Superreichen, auf diverse Finanzschiebereien
und auf das Zinssystem insgesamt verzichten.
Politik oder das, was sich dafür hält, degenerierte zur flankierenden
Maßnahme von Wirtschaftswachstum und Wohlstandssucht. Die eigentliche
Sphäre von Politik ist verschüttet durch die Flut von Sachzwängen
in der kapitalistischen Metropolis, wo nur noch kosmetische Operationen
an einer insgesamten Fehlentwicklung in den Blick kommen. PDS-Politik
schwimmt in diesem Strudel mit. Nach der Arroganz der Macht, die die SED
den Menschen der ehemaligen DDR zugemutet hat, kann es heilsam sein, sich
in Bürgernähe zu begeben. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß
über diese Ebene erneut Wahrheiten zu pachten seien.
Konnte man mit der Annahme des neuen Parteiprogramms hoffen, die tiefere
Analyse unserer zivilisatorischen Situation käme Schritt für
Schritt ins Blickfeld, so muß man heute diagnostizieren, in dieser
strategischen Dimension setzte in der PDS in den nachfolgenden Jahren
eine weitgehende Stagnation ein. Zum Teil, da ist Gregor Gysi zuzustimmen,
fanden auch stark restaurative Ansätze Eingang. Es ist zweckmäßig,
von Engels und Marx etliches gelesen zu haben, aber allein mit wissenschaftlichen
Ansätzen, die mehr als ein ganzes Jahrhundert alt sind, kann man
die gewaltigen Zukunftsprobleme nicht angehen. Zu sehr werden in der
PDS die alternativen Analysen und geistigen Ansätze ignoriert, die
in den letzten 50 Jahren in der westlichen Hemisphäre verfaßt
wurden bzw. in der Gegenwart vorgelegt werden, was nun keineswegs heißen
muß, diese seien im einzelnen hinreichend.
Der Umgang der PDS mit ihrer SED-Vergangenheit muß so aussehen,
daß sich niemand mehr traut, der PDS nachzusagen, sie sei zu feige
die Geschichte aufzuarbeiten. Aber zunächst kommen bittere Fragen:
1953 stellte sich die SED gegen die Bevölkerung. Mit russischen Panzern
wurde der berechtigte Aufruhr niedergerungen. Ein "Berliner Frühling"
kam Ende der sechziger Jahre nicht im Ansatz zustande. Die kritische Intelligenz
wurde systematisch mundtot gemacht oder aus der DDR rausgedrückt.
Selbst als ab 1985 keine sowjetischen Panzer mehr zu befürchten waren,
hieß es nur: weiter wie bisher und ja keine Tapeten wechseln. Weitgehende
Reformen im Zeichen von Glasnost und Perestroika kamen nicht zustande.
Sicher mußte man über den Gorbatschowschen Ansatz hinausgehen
und selbst wenn die DDR nicht zu halten gewesen wäre, so hätte
man doch mit weit größerer Souveränität in den deutschen
Vereinigungsprozeß gehen können. Das gesamte Deutschland würde
auf diese Weise eine völlig andere Prägung erhalten haben.
Durch den sowjetischen Totalitarismus sind in der Stalinzeit mindestens
30 Millionen Menschen zu Tode gekommen. (vgl. A .Solschenizyn) Wenn die
PDS die Geschichte des Pseudosozialismus aufarbeiten will, dann muß
sie sich mit diesem Faktum auseinandersetzen.
Geschichtsklitterung und Verklärung der DDR-Vergangenheit ziehen
noch zu oft die glaubhafte Kritik an der Bundesrepublik in Mißkredit
und lähmen PDS-Politik. Gerade die deutsche Einheit forcierte, daß
die Kritik am westlichen System immer mehr verkümmert und grundsätzliche
Opposition wäre mehr wie je zuvor gefragt. Die PDS muß in der
Bundesrepublik ohne Opportunismus ankommen, um über sie hinausgehen
zu können. Es gibt eine Reihe von Leuten, die sich in der PDS verdient
gemacht haben um den konsequenten Bruch mit den geistigen Positionen des
Spätstalinismus. Diese Ansätze müssen wieder stärker
in den Vordergrund treten. Das Scheitern der SED, diese Fügung aus
Feigheit und Machtwahn, kann in seiner Endgültigkeit vielleicht am
ehesten begriffen werden, wenn man sich mit denen auseinandersetzt, die
frühzeitig in der DDR öffentlich nach Alternativen fragten.
Die beiden prominentesten Regimekritiker Robert Havemann und Rudolf Bahro
gehören insbesondere dazu. So manchen Hinweis könnten sie uns
auch zu den Zukunftsfragen geben.
Stück für Stück bricht der PDS die Mitgliederbasis weg.
Dies geschieht nicht aus einer geheimen Verabredung heraus, sondern durch
den ganz natürlichen Umstand, daß dem Leben der Tod folgt.
Nur 29% der Mitgliedschaft der PDS sind unter 55 alt. Dies würde
bedeuten, daß wir in den nächsten 10-20 Jahren weit über
die Hälfte der Mitgliedschaft verlieren. Die minimalen Zuwächse
an neuen Mitgliedern können diesen Absturz nicht verlangsamen.Wer
durch die mitunter jungendlichfrechen Wahlkampagnen oder Auftritte Gregor
Gysis zur PDS kommt, wird nicht selten beim ersten Treffen mit der Basisgruppe
eine herbe Enttäuschung erleben. Häufig haben gerade jüngere
Menschen, und das begrenzt sich keineswegs nur auf die Jugend, mit der
Atmosphäre in den Basisgruppen Schwierigkeiten. Es ist keine Frage:
In der PDS gibt es viele intelligente ältere Menschen, aber man wird
auch zugeben müssen, daß Rentnergruppen nicht unbedingt attraktiv
für politische Arbeit sind und mancher Gestus, manche Äußerung
von GenossInnen werfen auch zusätzliche Probleme auf. Für neue
Mitglieder baut sich das zu einer schwer überwindbaren Hürde
auf, gerade wenn sie nicht aus dem einstigen SED-Milieu kommen. Für
die Gesamtpartei wird diese Situation aber zum Handikap.
Wir schlagen deshalb einen schrittweisen und behutsamen Umbau der Parteistrukturen
vor. Allerdings können wir damit auch nicht warten, bis die halbe
Partei nicht mehr existiert. Es geht darum die Doppelstruktur, die einerseits
durch Basisgruppen und andererseits rudimentär durch die AG's und
Plattformen bereits vorhanden ist, auszubauen. Regional könnten
sogenannte Initiativgruppen eine neue Rolle spielen, wo sich dafür
die Menschen nicht finden, sind häufig aber vorhandene AG's zu speziellen
Themen als solche ausbaubar. Wichtig ist, daß neue Leute, die vielleicht
auch eine andere Kreativität mitbringen, wirklich angenommen werden.
Auch die zentralen AG's und Plattformen sollten aufgewertet werden, gegenteilige
Statutaussagen sollten nicht zum Tragen kommen. Die Plattformen und AG's
bieten auch große Reserven, neue Mitglieder oder auch erst mal nur
Sympathisanten zu integrieren. Zudem sollte diese Entwicklungsrichtung
auch personell besser untersetzt bzw. durch eine Aufgabenveränderung
von MitarbeiterInnen der PDS unterstützt werden, speziell für
die Themen Süd-Nord, Ökologie, sozialpsychologische Grundlagen
einer neuen Gesellschaft u.a.
Unterstützen wollen wir die doppelte Parteispitze, die von der Frauenkonferenz
und der AG Junge GenossInnen gefordert wird. Viel stärker müssen
wir uns darum bemühen, daß junge Leute in die Vorstände
hineingelangen oder Mandatsträger werden. Im Westen bekommt die
PDS nur schwer Boden unter den Füßen, altgediente Kader mit
meterlangen parteipolitischem Lebenslauf vergraulen nicht selten jüngere
Leute. Ein "Aufbruch West" muß sich auf eine attraktive
Ausstrahlung der Bundespartei stützen können, die den immer
noch zu stark ostdeutsch zentrierten Blickwinkel fallen lassen sollte.
Eine Ideenkonferenz zum verstärkten Aufbau der westlichen Landesverbände
der PDS könnte u.a. hilfreich sein.
Die Kommunikationsstrukturen in der PDS sind ein kleines Chaos für
sich. Dabei wäre es relativ einfach, dies zu ändern. Disput
als meistgelesenes internes Blatt bräuchte nur jeweils ein, zwei
Seiten zur Verfügung zu stellen, auf denen die aktuellen Broschüren
etc. der verschiedenen Bereiche in der PDS aufgeführt sind und die
Termine für Veranstaltungen des folgenden Monats. Wenn auf allen
Parteimaterialien dann noch Hinweise zu jeweils außerdem existierenden
Informationstexten aufgeführt sind, wäre schon ein großes
Stück gewonnen. Vielleicht kann man auch mal einen Katalog erarbeiten,
in dem alle wichtigen Materialien aufgeführt sind.
Nachdem die SED als ewigwährende Regierungspartei bis 1989 nicht
den Mut gefunden hatte, die Sklerose des eigenen politischen Systems zu
überwinden und erst der massive Bürgerwille zur Aufgabe der
polizeistaatlichen Regentschaft zwang, sollte man überprüfen,
in welche Rolle man gerät, wenn man erneut Regierungsämter in
Beschlag nimmt. Durch die Möglichkeit der PDS, an institutioneller
Macht teilzuhaben, scheint die nach der Wende formulierte Herrschafts-
und Machtkritik und die Frage nach der Balance zwischen Bewegung und Partei
immer mehr aus dem Blickfeld verdrängt zu werden, der parlamentarische
Arm erdrückt in seiner Eigendynamik alle übrige Initiative.
Zuviel reden wir über Koalitionswünsche mit der SPD und den
Bündnisgrünen, zu wenig mit Organisationen, die keine Regierungswünsche
artikulieren: Umweltverbände, Eine-Welt-Gruppen, Feministinnen etc.
Wir sollten nicht vergessen, es gibt nicht nur Veränderungspotentiale
über Parteienkartelle.
Arbeiten wir kurz mit einer fiktiven Konstellation: Die PDS erringt in
einem Bundesland plötzlich biedenkopfsche Wahlergebnisse und kann
allein regieren. Wir würden womöglich sehen, es gäbe dann
genug Kindergartenplätze, keine Dörfer mehr mit über 50%
Arbeitslosigkeit, die Kultur würde nicht hinten runterfallen. Das
eigentliche Problem besteht aber darin, daß für diese Schritte
das Bruttosozialprodukt nicht sinken darf. Ökologische Zeitenwende
heißt aber: Bei aller ökologischen Effizienz, immer mehr Wirtschaftsstruktur
muß zurückgebaut werden. Dieser Anachronismus kann nur in einer
gleitenden Fügung zu einem nachhaltigen Lebensstil überwunden
werden. Auf diesen Quantensprung in der Politik ist die PDS aber in keiner
Weise vorbereitet. Wir wollen immer noch Ostdeutschland (und den Rest
der Welt?) an mittleres westliches Industrieniveau heranentwickeln und
die Massenkaufkraft stärken. Das Nachhaltigkeitspapier (Entwurf)
der Grundsatz-Kommission mogelt sich konsequent an diesem Anachronismus
vorbei. Mit so einem zentralen Mangel in der politischen Strategie werden
aber Regierungsambitionen zum ethischen Risiko. Man legitimiert den Zug
der Lemminge. Schlimmer noch: Man betrügt die Bevölkerung, indem
der Eindruck entsteht, die PDS-ler könnten bessere Zeiten bringen,
aber in Wirklichkeit bricht uns der Boden unter den Füßen weg.
Es ist verständlich, wenn man die CDU ausbooten will, kann eine vertraglich
nicht geregelte Tolerierung mitunter nötig sein.
Hat sich die PDS erstmal auf ein Abenteuer in Regierungssesseln eingelassen,
ohne die schwierige Vorarbeit zu leisten, ist der Weg zur Dissidenz unvergleichlich
schwerer als vorher. Nicht zuletzt durch die ständigen Anpassungen
in Koalitionen sind die Bündnis-grünen ans System verloren gegangen.
Zudem sollten wir die Fragen nach dem Bruch mit den patricharchalen Strukturen
im Blick behalten. Der innere Aufbau einer nichtkapitalistischen Gesellschaft
muß von Grund auf neu bedacht werden.
Es ist zweifellos so - wir brauchen in der PDS einen kulturellen Sprung,
wir brauchen kritische Solidarität, wir brauchen aber über unsere
historische Weltsituation auch maximale Klarheit. Diese darf nicht scheinbar
schnellen Erfolgen geopfert werden. Wir müssen die Grenzen der parlamentarischen
Arbeit unter den heutigen Bedingungen begreifen und eine Doppelstrategie
fahren, die die Chancen als Wählerpartei erhält, zugleich aber
die globalökologische Dimension nicht als fünftes Rad am Wagen
beläßt. Wir schlagen vor, auf der nächsten Parteitagstagung
den Themenkomplex Süd-Nord, Feminismus und Ökologie zu behandeln.
Unbedingt bedarf es mehr Menschen, die sich aktiv für einen starken
Reformflügel in der PDS engagieren, sonst verkommt die PDS zu einer
"normalen" Parlamentspartei, die ökologische Rettung blockiert.
Wir dürfen nicht schon wieder "zwanzig Jahre" zu spät
aufwachen, wir müssen den Königsweg riskieren mit Ausdauer,
Mut und Würde. Alles steht auf dem Spiel.
Weiterführende Materialien (zum Beispiel "tarantel, Zeitschrift
der Ökologischen Plattform") können angefragt werden unter:
Ökologische Plattform, Kleine Alexanderstr.28, 10178 Berlin, www.oekologische-plattform.de
(Januar 1997, erschienen in zwei Folgen in der "tarantel")
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