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Die
Fesseln loser Kopplung
oder warum Parteien in der Selbstblockade verharren
Elmar Wiesendahl
Die gegebenen Parteistrukturen und die damit verbundenen
Probleme führten
auch in der Ökologischen Plattform immer wieder zu Diskussionen
und Fragen. Der vorliegende Auszug reflektiert die Konfliktdimension
zwischen Berufspolitik und Parteibasis, fragt nach den Rollen von Machterhalt
und medialer Wirkung. Da dies auf die Parteien insgesamt bezogen ist,
läßt sich darüber auch leichter nachdenken, was für
die LINKE zutrifft und wo man andere Erklärungen heranziehen könnte.
M.F.
"Schenkt man den Diagnosen diverser Parteienforscher Glauben, dann befinden
sich die Parteien längst in einem fortgeschrittenen Transformationsprozess
hin zu einem neuen Typ, sei es nun in Gestalt der Kartellpartei, der
Profitpartei, der elektoral-professionellen Partei oder der Medienpartei.
Mit dem Strukturwandel der Parteien ist das aber so eine Sache, weil
sie eher zu den lernschwachen und wandlungsresistenten Gebilden gezählt
werden müssen. Und da sie ihre freiwilligen Mitglieder nicht austauschen
können, verändern sie sich nur unwillig und im Schneckentempo.
Fragwürdig ist deshalb, ob Parteien entwicklungsgeschichtlich wirklich
schon in eine vierte Epoche (nach der Phase der Eliten-, Massen- und
Volkspartei) hinübergeglitten sind oder sie sich ohne einen typologischen
Sprung nur um einig neue Elemente angereichert haben. Ein Hauptgrund
für die Zweifel ist, dass Parteien als Freiwilligenorganisationen
sich nicht einfach „top-down“nach einem Masterplan strategisch
umjustieren oder organisatorisch ummodeln lassen. Eher sind sie sperrige
und widerständige Objekte des sozialtechnischen „Reengineerings“.
Zudem muss zwischen Wandel in Parteien und Wandel von Parteien unterschieden
werden. Ersterer schlägt qualitativ erst dann zum Wandel von Parteien
als Ganzes um, wenn sie sich in ihrer umfassenden organisatorischen Verfasstheit
zu einem neuen Typ transformieren. Schließlich sind Parteien, nur
weil sie neue Medien nutzen, noch keine Medienparteien. Skepsis ist auch
aus einem weiteren Grund geboten: Parteien bilden organisatorisch ein „compositum
contradictorum“. Sie sind von ihrer lose verkoppelten Organisationsstruktur
so elastisch und gleichzeitig robust, dass sie unter einem gemeinsamen
Dach und Label ein Nebeneinander von so gegensätzlichen Organisationswelten
wie die der Milieupartei, der vereinsmeierlichen Mitgliederpartei bis
hin zur hypermodernen elektoral-professionellenm Hightechpartei vereinen.
Die große Transformation zu einem neuen Typ fand deshalb bislang auch
nicht statt, sondern nur partielle Strukturveränderungen, die allerdings
die innere Achsenlage der Parteien zu Gunsten der Berufspolitiker verschoben
hat. Halbwegs unbemerkt von den unteren Basiseinheiten der Mitgliederorganisation
hat sich nämlich an der Parteispitze ein verselbständigtes Organisations-element
herausgelöst, das weit überwiegend von staatlichen Finanzierungsressourcen
lebt und in seinen Kapazitäten auf die Beeinflussung der Öffentlichkeit
und des Wählermarktes spezialisiert ist. Die aus der Mitgliederpartei
hervorgehenden Spitzen- und Berufspolitiker schufen sich damit gewissermaßen
eine Partei in der Partei, die auf ihre ganz persönlichen Wahl- und Wiederwahl
zugeschnitten ist. Die Organisationslogik und Aktivitäten dieses von der
Parteiführung geleiteten und vom Parteiapparat unterhaltenen Servicebetriebs
gehorcht dem Vote-Getting-Prinzip und konvergiert dabei eng mit der politischen
Marketing- und Medienlogik. Nicht von ungefähr haben sich jüngst
erst die Parteizentralen in Berlin Paläste aus Glas und Sttahl hingestellt,
die den aufgetakelten Flagschiffen eines Großkonzerns in nichts nachstehen.
Die Verapperaterung hat zweifelsohne die Gruppe der Amtsinhaber und Mandatsträger
gestärkt, weil sie sich im Dreieck von Parteiapparat, Fraktionsapparat
und Mitarbeiterstab ein Terräin geschaffen hat, das ihnen als Berufspolitiker
ein komfortables Arbeiten ermöglicht und hohe Chancen auf die Dauerhaftigkeit
ihrer politischen Karriere einräumt.
Dieser Strukturwandel wäre in der Tat die Geburtsstunde der elektoral-professionellen
Berufspolitikerpartei, wenn da nicht noch die tausenden von Basiseinheiten
aus Freiwilligen, Aktiven und Ehrenamtlichen wären, an denen die Frontleute
nicht vorbeikommen. Parteien tragen strukturell weiterhin ein Doppelgesicht,
insoweit unter einem gemeinsamen Dach die elektoral- professionelle Profipartei
und die Mitgliederpartei lose verkoppelt nebeneinander herleben. Dieses ist
den Wortführern des Politmarketing-Modells durchaus bewußt, weshalb
Radunski richtig bemerkt, dass die Organisationsstrukturen der Parteinen noch
nicht den Gesetzen einer effizienten „Wahlkampforganisation, die das
Politikerimage, das Progamm und die Werbebotschaften der Partei kompetent kommuniziert
und ganz auf die Wahlkamptnotwendigkeiten ausgerichtet“ sind, entsprechen
würden. Genau hier liegt aber die Crux, weil die elektoral-professionell
und die traditionelle Mitgliederpartei Welten trennen und beide nicht an einem
Strang ziehen. Die Mitgliederpartei verfügt nämlich über störrischen
Eigensinn und sperrt sich gegen eine Instrumentalisierung für reine Kampagnenzwecke.
Für die Aktiven und Ehrenamtlichen ist die Partei immer noch Gesinnungs-,
Prinzipien- und Programmpartei, die Gemeinschaftlichkeit mit einer Prise Heimatbündelei
verkörpert. Auch die „Versammlungsdemokratie“ wird weiter
hochgehalten. Hierhinter verbirgt sich eine Partizipationskultur, bei der sich über
die Mitwirkung der Aktiven in Versammlungen, Gremien, Arbeitsgemeinschaften,
Fachausschüssen und auch auf Parteitagen der Mitgliederwille artikuliert
und in der Programmidentität der Partei aufgeht. Dann versteht sich die
Parteibasis auch noch als verlängerter Arm und Sprachrohr artverwandter
gesellschaftlicher Gruppen. Als leibhaftiges schlechtes Gewissen erinnert sie
damit, als Parteien ihrem Selbstverständnis nach noch eine Schicksalsgemeinschaft
zwischen externen Anhängern, internen Mitgliedern und Eliten bildeten.
Nun wird jedoch an der Basis Subkultur und und Milieu tradiert, was draußen
nur noch in Restbeständen fortlebt. Zum Schutz ihrer Wahrheiten und Prinzipien
sind Aktive und Ehrenamtliche nicht bereit, auf dem Altar wendiger Karriereristen
und opportunistischer Wähleransprache zu opfern.
Dagegen verkürzt sich das Parteiverständnis der Träger der berufspolitiker-
und elektoral-professionellen Partei auf das eines Dienstleistungsbetriebs,
der darauf spezialisiert ist, Öffentlichkeitsarbeit und Wahlkampagnen
effizient für Stimmenmaximierungs-Zwecke zu betreiben. Der SPD-Bundesgeschäftsführer
Machnig bringt dies vorsichtig so auf den Punkt, dass die „Arbeit an
medialen Präsentationsformen... künftig das gleiche Gewicht bekommen
(muss), wie die Arbeit an inhaltlichen Schwerpunkten“.
So wie die elektorale und die Mitgliederpartei zueinander stehen, sind sie
sich nicht nur mental fremd, sondern driften in ihrem Parteiverständnis
weiter auseinander. Unter den Vorständlern und Hauptquartierlern herrscht
kommerzieller unternehmerischer Geist, während in den Hinterstuben der
Ortvereine noch Programme ernst genommen werden und solidar-gemeinschaftlicher
Patriotismus gepflegt wird. Diese organisationskulturelle Modernitätskluft
und Ungleichzeitigkeit lässt sich nicht überbrücken. Schlimmer
noch kommen die Frontleute und die Organisatoren an der Spitze der Partei an
die eigenen Parteimitglieder nicht heran, es sei denn, es gelänge ihnen,
zwischen den individuellen Mitarbeitsmotiven der Freiwilligen und den von den
Parteispitzen favorisierten Wahlkampf- und Politikzielen einen Einklang herzustellen.
Daran glauben sie selbst nicht. Sie horchen auch nicht mehr interessiert in
die Partei hinein, sondern schenken ihre Aufmerksamkeit den Politikberatern
und demoskopischen Einflüsterern.
Parteien bilden gegenwärtig mit so unverträglichen Organisationswelten
unter einem Dach eine Fehlkonstruktion mit dem Effekt der Blockade bzw. Verschleuderung
brachliegender organisatorischer Energien und Humanressourcen. Nirgendwo gibt
es einen synergetischen Effekt, wovon beide Teile gleichermaßen etwas
hätten. Vielmehr wächst der wechselseitige Leidensdruck, mit dem
sich die Berufspolitiker-Partei oben und die Freiwilligen-Partei unten konfrontiert
sehen. Die Unzufriedenheit sitzt auf beiden Seiten tief, weil keine das kriegt,
was sie sich wünscht, jedoch die andere Seit nicht zu gewähren bereit
ist. Weder gibt es die pflegeleichten Streetfighter und Campaign-Soldiers,
noch gibt es umgekehrt Wertschätzung für Programm- und Prinzipienfragen.
Die Parteioberen zahlen es den Vertretern der Gremien- und „Funktionärspartei“ oder
der „Papierpartei“ mit Herablassung heim, ohne den lästigen
Klotz an ihrem Bein abschütteln zu können. Dies ist für sie
schon Dilemma genug: Einerseits stehen sie unter der Rationalisierungs-peitsche
des Parteienwettbewerbs, andererseits hindert sie diese Art von Mitgliederpartei
als Rationalisierungsbremse daran, die Partei als Ganzes auf Vordermann zu
bringen. Was deshalb einfach nicht glückt, ist die zielgerichtete Koordination
und das Ineinandergreifen der oben und unten entfalteten Aktivitäten und
Energien, die aus einer lose verkoppelten Partei ein Kraftbündel machen
würde. Stattdessen knirscht Sand im Getriebe.
Den Mitgliedern unten sind die Kopfschmerzen der Strategen und Organisatoren
oben ziemlich egal, weil sie an der Parteiperipherie unbekümmert die selbstbezogenen
Rituale und Versammlungsroutinen weiterleben lassen, so wie sie es schon immer
getan haben. Dies ist auch der Grund, warum es nicht zum großen organisatorischen
Gau kommt, und sich relativ wenige Mitglieder durch bewussten Exit aus dem
Staub machen. Genausowenig üben sich die Aktiven und Ehrenamtlichen in „Voice“ oder
gar Widerstand, solange die Parteispitzen und ihre Handlanger davon absehen,
die Welt der Mitgliederpartei nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Revolten
sind, wie etwa in der SPD Nordrhein-Westfalens, ein sehr seltenes Phänomen,
weil die Basis gewöhnlich durch subversiven Eigensinn den Eingriff von
oben ins Leere laufen lässt. Die Anfang der 90er Jahre bei SPD und CDU
von oben ausgeheckten und „beschlossenen“ Organisationsreformen
müssen auch aus diesem Grund als gescheitert angesehen werden.
Elmar Wiesendahl ist Professor für Politikwissenschaft und veröffentlichte
2006 den Band „Parteien“.
Quelle: Oskar W. Gabriel u.a. (Hrsg.) Parteiendemokratie in Deutschland,
darin: E. Wiesendahl: Die Zukunft der Parteien S.614-617 (Bundeszentrale
für politische Bildung)
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