Von
der Hybris kurzfristigen Denkens
Lesermeinung
Wie
intelligent die Strategie der Grünen Liga in Bezug auf
die neue Autofabrik in Grünheide war, wird sicher auch für
Debatten im Umweltverband sorgen. Nichts desto trotz vernutzen
wir in Deutschland täglich zusätzlich einen Quadratkilometer
Naturfläche für neue Infrastruktur. Die Bäume
kann man sicher durch höherwertigen Mischwald ersetzen,
nur die Fläche eben nicht. Für das naheliegende Naturschutzgebiet
an der Löcknitz und das Grünheider Waldgebiet insgesamt
wird der Kahlschlag sich nicht vorteilhaft auswirken. Mit Blick
auf den globalen Flächen- und Ressourcenverbrauch bei starkem
Bevölkerungszuwachs meint Prof. Matthias Glaubbrecht in „Das
Ende der Evolution“, dass diese antropozäne Selbstverständlichkeit,
mit der wir die Webnetze der Biosphäre zerstören, in
ein sechstes Massensterben führt, selbst wenn man die kommende
Klimakatastrophe als radikalen Beschleunigungsfaktor außen
vor lassen würde. Gerade der zweite Teil des Buches über
die Rasanz des Artenschwunds sollte Pflichtlektüre für ökologisch
orientierte Linke sein. Glaubrecht belegt an unzähligen
Fakten, wie stark die Ökosysteme schon unterminiert sind.
Wir werden unsere Verkehrs- und Klimaprobleme ganz sicher nicht
mit überdimensionerten Tesla-Elektroautos lösen können,
deren große ökologische Schadsäcke bleiben ausgeblendet.
Dazu sei von Winfried Wolf der Band „Mit dem Elektroauto
in die Sackgasse“ empfohlen. Schaut man aber nur fünf
Kilometer westlich von Grünheide, kann man die sehr stark
vom Aussterben bedrohte Trauseeschwalbe finden, ich habe sie
im Sommer erstmals selbst beobachtet. Dummerweise quartiert sie
direkt unter dem zukünftigen östlichen Landeanflug
für die südliche Schönefelder Landebahn, wo die
Flieger dann im Minutentakt mit 80dB ein Natur- und Vogelschutzgebiet
durchschneiden. Diese staatlich organisierte Umweltkriminalität
in Berlin gehörte in der Tat an den Pranger gestellt! Da
wünschte man sich aktivere Umweltverbände. Dabei auf
Parteien zu zählen, dürfte wohl eine vergebliche Hoffnung
sein. Jedenfalls kann man an dem Fakt sehr gut erkennen, welche
Stellenwert der Artenschutz in der Politik hat, nämlich überhaupt
keinen.
Marko Ferst
erschienen in der "jungen welt", "taz" und "Märkischer Oderzeitung"
in unterschiedlichen Varianten (Februar 2020)
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