Leseprobe:

Jahre im September

 

 

Marko Ferst

Kirschen


Hoch oben hängen sie
man rechnet in Prozenten
nicht in Sicht ist die Ernte

Saftige Kirschenkost
und Steine spucken
Revolutionen sind unkalkulierbar

Manche Preise lassen
sich nie bezahlen
die Stare schnappen zu

Im Winter blühen
weiß nur die Träume


Herbstbögen


In unzähligen Keilen
stürmen sie zum Ziel
ein riesiger Wirbel
ü ber dem weiten Schilfsee
für ein paar Tage
herbstliches Quartier
der Blessgänse

Gespannt
schwarze, federleichte Netze
in den Fadenbeuteln
verfangen sich Bartmeisen
andere kleine Flieger
gesammelt in weißen Säckchen
gelistet wird ihr Zustand
ein winziger Ring verknüpft
in die kleine Tütenwaage kopfüber
und ab geht es
auf eigenen Flügeln

Beringte Funde
bei verschiedenen Vögeln
weisen auf
weit entfernte Landschaften
Züge über viele Grenzen hinweg
und wo Bestände wachsen
oder den roten Listen
letzte Flugkünste folgen
Farben und Gesänge
hinter den Horizonten
verlöschen


Beute


Sie kannten die stille Botschaft
der Handel florierte blendend
was gab es schon groß auszurichten?
die Mammutherden sind Geschichte
auf den Marktplätzen wird Größenwahn
als Meterware verramscht
worauf kommt es nun noch an?
der nächste Reichskanzler
wird eine andere Uniform tragen
die Beute war vorher schon verteilt
der Sensenmann gelangt
zu neuen Konjunkturen
dagegen ist kein Glücksklee gewachsen
so blieb alles bei seinem Gang



Das Treibhaus öffnen


Sie zermalmen
ziehen ab die Erdhäute
Treibjagd auf Häuser
der Sand räumt
die Erinnerungen aus
die Bestände des Tertiär
landen auf Förderbändern
große Mäuler schlingen
feurig die Massen
und den Kühltürmen
entsteigen weiße Kolosse
versteckt die Fäden
der Herzinfarkte
die Zeichen der Lungen
und des Atems

Brücken
sind die Technologie
des Untergangs
sabotiert das Handwerk
der Lobbyisten!
es hilft nur
Sonnenlicht zu fangen
auf blauschwarzen Tafeln
sinkende Verbräuche
sich nicht zu verlassen auf jene Ströme
die immer neue Dörfer auslöschen
Wasser, Wind und Sonne
speisen ins eigene Haus
mit Ökoanbietern
die neue Anlagen richten
oder mit eigenem Engagement
immer mehr Pfade
in eine solare Republik



Atemlos


Rote Zeilen
ferne Briefe
Sommerstrahlen
ö ffnen aus
Vergangenem

Du bist mir
eingepflanzt
das Schicksal
trägt unsere Worte
zum Ausgang

Dein trauriges
Gesicht
blickt mir
noch immer nach
ewig brennt
so ein Abschied

Noch immer
zurückkehren wollen
doch die Füße
sind mir gebunden
etwas schleicht oft
zu dir zurück

Es erkennt die
Fakten nicht an
und beruft sich
auf die Liebe



Syrisches Totenfeld


I

Palmyras Kolonnaden
antikes Sandgelb
der Hadriansbogen gesprengt
wie all die Glieder
die Netze des syrischen Volkes
seinen toten Sohn
birgt der Vater
unter gestürztem Beton
und jene Flügellast
läßt hinter der Klage
verzweifelt befragen
wo lagen jene Weichen
Fenster in der Zeit
die ungenutzt verstrichen
bis die Boten begannen
zu züchten
die Kriegsgewächse

Die Zeltmeere
in benachbarten Ländern
die blutigen Winkelzüge
weit über die Viertelmillion hinaus
Gräberzeichen, Betonskelette
die Moniereisen der Städte
Aleppos Basar aus alter Zeit
nicht mehr gestützt
von der steingefaßten Dächerwelt
orientalischer Handelswege
wer füllte
die syrischen Dunkelstätten
mit freien Meinungen
die nicht zur Debatte
stehen durften?


II

Endloses Flüchten
verrauchte Trümmerhorizonte
zu wenige Hände boten Halt
für die Zukunft aus Stoffwänden
zuweilen gekürzte Geldflüsse
Geleit in die Ohnmacht
entkommen
den Faßbomben Assads
all den Schußlinien
vieler Herren Länder
so setzte er über
der Strom
in europäisches Grenzland
Skulpturen aus Schwimmwesten
an der ägäischen Küste
tote Kinder
sind zu bedecken

.....

(Auszug)