Hoffähigkeit erlangt?


In einem Sammelband untersuchen 15 Autoren Entwicklung und Resultat der PDS-Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern

 

 

Gregor Putensen

 

 

Hier ist einer Leserschaft, der das Wohl und Wehe der sozialistischen Idee und einer auf ihr fußenden Politik nicht gleichgültig sein kann, unter dem Titel »Warum? Für Wen? Wohin? – Sieben Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung« ein Buch unterbreitet worden, das zu weiterer Denkarbeit und sicherlich zu unbequemen Schlußfolgerungen zwingt. Die Lektüre könnte Kopfschmerzen bereiten. Dies wäre jedoch kein Unglück für jene, die unter den Mitstreitern in der Linkspartei.PDS allzu eilfertig in Regierungen streben und vielleicht schon von baldiger bundespolitischer Hoffähigkeit träumen. Vielleicht aber auch für die »einfachen« Mitglieder und Sympathisanten, die sich gar zu blauäugig von einer Regierungsbeteiligung soziale Wunder versprochen haben.

Hoffnung und Skepsis

Derartige Ambitionen und Erwartungen werden in 15 Autorenbeiträgen und fünf Interviews mit »praktizierenden« Politikern des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern – allerdings keiner von ihnen im Ministerrang – in aller Nüchternheit mehr oder weniger in Frage gestellt. Mit der ersten Koalitionsregierung von SPD und PDS in einem ostdeutschen Bundesland waren 1998 unterschiedlichste Hoffnungen verknüpft, ebenso aber auch Befürchtungen auf seiten der Eliten der Bundesrepublik. An Warnungen und Skepsis fehlte es auch nicht innerhalb der PDS, allerdings von Minderheiten in der Mitgliedschaft. Mit diesem Buch liegt nunmehr eine imponierende, durch sorgfältige und z. T. höchst arbeitsaufwendige Recherchen gestützte Untersuchung praktischer PDS-Politik in dem Bundesland vor. Anhand einer theoretisch strikt marxistischen Kapitalismuskritik (mit erfreulicher Begriffsklarheit!) und der zur Zeit gültigen Parteiprogrammatik werden im ersten Teil der vier Hauptabschnitte der Publikation die Interessenlage der sozialen Akteure und die Bedingungen für die Regierungsbeteiligung der PDS in dem nördlichen Bundesland analysiert. Dieser stark theoretisch fundierte Abschnitt (Peter Kroh, Edeltraut Felfe, Gerd Friedrich) wird durch eine detailreiche Chronologie des Weges der PDS und des Zustandekommens der seinerzeit in der BRD neuartigen Koalition komplettiert (Birgit Schwebs). Mit gleicher Sachkunde bewerten die Autoren des zweiten Abschnitts (Fraktionssprecher bzw. wissenschaftliche Mitarbeiter in Landtag, Ministerium oder Gewerkschaft) die Kompromisse zwischen den Koalitionspartnern und die tatsächlich erreichten Zielsetzungen. Gerade in Hinblick auf Letzteres sind beachtliche Unterschiede in den Stellungnahmen auszumachen.

Etikettenschwindel

Besonders hervorzuheben ist, daß die Herausgeber eine auf Mecklenburg-Vorpommern verengte Froschteichperspektive vermieden haben. So kommen im Abschnitt IV die letztlich desillusionierenden Erfahrungen aus der Tolerierungspolitik der PDS in Sachsen-Anhalt gegenüber der SPD-Regierung unter Ministerpräsident Reinhard Höppner zur Sprache (Bernd Krause). Aufschlußreich für das Thema Regierungsbeteiligung von Sozialisten und Kommunisten ist der historische Beitrag von Heinz Niemann. Er macht die Fragwürdigkeit der Regierungsambitionen namhafter PDS-Politiker bewußt. Recht eindeutig fällt in dieser Hinsicht das Urteil über »Rot-Rot in Berlin« aus (Ellen Brombacher, Carsten Schulz). Selbst die Bezeichnung »Rosa-Rot« für die Senatskoalition müßte sich – gemessen an deren bisheriger sozialer und politischen Bilanz – den Vorwurf des Etikettenschwindels gefallen lassen.

Den vierten Abschnitt des Buches schließen die drei Herausgeber mit dem Versuch ab, das »Ob« und »Wie« von PDS-Regierungsbeteiligungen zu fixieren, ohne ein Fazit zu ziehen. Ohne sich gegen jegliche Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDSzu wenden, darf nach ihrer Ansicht das Grundverständnis aller bisher etablierten Parteien der Bundesrepublik als »Partei im Wartestand auf Regierungsbeteiligung« für die Linkspartei.PDS nicht zum Non-Plus-Ultra werden. Das politisch im jeweiligen Bundesland Machbare könne nur in Verknüpfung mit den politischen und sozialen Auseinandersetzungen jenseits der Landesgrenzen durchgesetzt werden. Also: aktiver Kampf »gegen die Militarisierung der deutschen Außenpolitik und für Abrüstung, gegen neoliberale, antidemokratische Tendenzen in der Entwicklung der BRD und EU«, die als »ureigenste linke Politik im Interesse von Mecklenburg-Vorpommern« einzubringen sei. Aussagekräftige statistische Angaben und Dokumente im Anhang des Buches unterstreichen die Feststellungen.

Nach der keineswegs einfachen Lektüre dieses Buches dürfte manchem begreiflicher geworden sein, daß eine sozialistische Politik, die zugleich dem Anspruch kapitalistischer Systemüberwindung gerecht werden will, sich nicht mit parlamentarischer Opposition und selektiver Quasiopposition in Regierungen begnügen kann. Unabdingbar ist der außerparlamentarische Rückhalt sozial Entrechteter und Bedrängter. Unter diesem Blickwinkel – einmal abgesehen von den bedauerlichen Fällen persönlichen Profilierungsdrangs – kann dem skeptischen Zögern der WASG in einigen Bundesländern hinsichtlich der gebotenen Fusion mit der PDS nicht mit Nonchalance begegnet werden. Nur ehrliche und verbindliche Selbstprüfung sowie verpflichtende Bereitschaft zu Selbständerung auf allen Seiten bringen uns den Zielsetzungen des demokratischen Sozialismus näher.

* Edeltraut Felfe, Erwin Kischel, Peter Kroh (Hg.): Warum? Für Wen? Wohin? – Sieben Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung. GNN-Verlag, Schkeuditz 2005, 350 Seiten, 15 Euro

junge Welt, 20.2.2006

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