Die Linkspartei.PDS sitzt seit Jahren in den

 

Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern

 

und von Berlin. Zwei Studien zogen unterschiedliche

 

Bilanzen.

 

 

Peter Kroh

 

* Der Artikel bezieht sich auf das Buch von Rolf Reißig: Mitregieren in Berlin. Die PDS in Berlin. Karl Dietz Verlag, Berlin 2005, 89 Seiten, 9,90 Euro (Text im Internet unter www.rosalux.de) sowie den Band von Edeltraut Felfe, Erwin Kischel, Peter Kroh (Hg.): Warum? Für wen? Wohin? Sieben Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung, GNN Verlag, Schkeuditz 2005, 352 Seiten, 15 Euro

Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen in beiden Studien sind offensichtlich und unüberlesbar. Unübersehbar sind aber auch grundsätzliche Unterschiede und Gegensätze.
Die Berlin-Studie erwähnt kaum gesamtgesellschaftliche Verhältnisse und Tendenzen (national, europäisch, global), allenfalls in unscharfen, verharmlosenden Formulierungen. In der Studie zu Mecklenburg-Vorpommern (MV) werden sie zum einen gesondert abgebildet und sind zudem konzeptionelle Linie der Analyse, weil sie objektive Bedingungen des Handelns der Akteure sind. Die Berlin-Studie erwähnt kaum reale dramatische Veränderungen in den Bedingungen und Möglichkeiten von Millionen Menschen, ihre existentiellen Lebensbedürfnisse angemessen zu befriedigen. In der MV-Studie wird generell versucht, diese Veränderungen in den Blick zu nehmen und zum Maßstab der Bewertung politischen Handelns zu machen.
Träger der Politik
Die Berlin-Studie betont ein Politikverständnis, in dem das Handeln der Akteure des Regie-rens dominiert. Dabei werden durchaus Widersprüche im Handeln (z. B. zwischen dem Agieren der PDS in der Koalition einerseits und programmatischen Zielen der PDS sowie Wählererwartungen andererseits), aber auch aus diesem Handeln folgende Widersprüche (z. B. stärker werdende Konflikte mit außerparlamentarischen sozialen Organisationen und deutliche Wählerverluste) erörtert. Die diesen Widersprüchen zugrunde liegenden Interessen sozialer Akteure aber werden fast durchgängig nicht beachtet.
Nicht offen benannt werden in der Berlin-Studie die Interessen derer, die das sogenannte »neoliberale Projekt« tragen und gegen alle Widerstände durchsetzen. Dennoch schimmern diese Interessen sowie ihre Realisierung durch den SPD-PDS-Senat durch, wenn z. B. konstatiert wird, daß »koalitionsferne Akteure wie die Träger von Wirtschaftsinteressen, Wirtschaftsverbänden, aber auch die vielfältigen Verbände im Gesundheitssektor ihre vorgefertigten Bilder, ihre Befürchtungen weniger bestätigt (sehen)«, weswegen sie »inzwischen zu einer sachlichen Zusammenarbeit mit dem rot-roten Senat übergegangen (sind)«. Folgerichtig wird in der Berlin-Studie mehrfach der Akzeptanzgewinn der PDS-Senatoren bei den Vertreten von Wirtschaftsinteressen gewürdigt, ohne die politische Brisanz und Zwiespältigkeit auch nur anzudeuten. Wenn zugleich betont wird, »koalitionsnahe Akteure wie Gewerkschaften, Sozialverbände, soziale Bewegungen sahen ihre Erwartungen in die Koalition bislang nicht oder nur in geringem Umfang erfüllt. Ernüchterung und Enttäuschung machen sich breit.«, dann werden nicht nur aktuelle Wählerverluste erklärbar. Vor allem wird so sichtbar, daß PDS-Mitregieren in der Gefahr steht, nicht konsequent die Interessen der sozialen Kräfte zu vertreten, die sie zu vertreten vorgibt. Vermutlich liegt hier eine Ursache dafür, daß die mitregierende PDS (sowohl in Berlin als auch in MV, wenngleich in Berlin stärker als dort) mitunter nicht mehr als Teil der an Veränderung dieser Gesellschaft interessierten sozialen Kräfte betrachtet wird.
Machtmechanismen
Ausgeblendet sind in der Berlin-Studie Facetten und Mechanismen der Macht, die es den Ak-teuren ermöglichen, ihr »neoliberales Projekt« gegen legitime, ja sogar gegen existentielle Interessen der »kleinen Leute« sowie gegen Widerstände verschiedenster Gruppen der Bevöl-kerung durchzusetzen. Behauptet wird, das Geflecht politischer Verhältnisse sei so kompli-ziert, daß die Frage nach der politischen Macht nicht mehr gestellt werden könne. Letztlich ergibt sich daraus, daß es keine »Schmerzgrenze« fürs Mitregieren gibt. Ohne neue Komple-xitäten zu ignorieren, wird hingegen in der MV-Studie gezeigt, daß der veränderte und tech-nologisch moderne Kapitalismus des 21.Jahrhunderts nach wie vor Kapitalismus ist. Deswe-gen sind Aussagen von Marx, z. B. zu Ausbeutung, Profit, Klassenkampf, Krisen, aber auch seine Kritik am Gothaer SPD-Programm hoch aktuell.

Verfassung und Realität

Die Berlin-Studie zeichnet eine Gesellschaft »westlichen Typs«, in der »Transformationspro-jekte« und »Entwicklungspfade« zu suchen seien und in der »bereits die Sicherung sozialer und kultureller Standards ein wesentlicher Bestandteil eines Kurs- und Politikwechsels« sein soll. Offenbar basiert das auf der Annahme, die Bundesrepublik sei ein »sozialer Bundes-staat«, in dem »alle staatliche Gewalt« verpflichtet ist, die im Grundgesetz genannten Grundrechte zu verwirklichen, also die Würde des Menschen »zu achten und zu schützen«, niemanden z. B. wegen seines Geschlechts zu benachteiligen, Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe zuzulassen, das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung zu respektieren und mit dem Gebrauch des Eigentums (z. B. an Produktionsmitteln) zugleich dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen.
Das Herangehen in der MV-Studie zeichnet dagegen das Bild von einer Gesellschaft, die durch »Kapitalmacht in neuen Dimensionen« und »marktgerechte Transformation des Staa-tes« gekennzeichnet ist, in der es »keine Macht-und Chancengleichheit zwischen Kapital und Arbeit (gibt)«. Neoliberale Politik verändert vielmehr die Gesellschaft Schritt für Schritt entgegen den Verfassungsgeboten.
Diese Unterschiede finden sich nicht nur in beiden Studien, sondern in der Linkspartei.PDS insgesamt. Da der jeweilige Standpunkt sowohl bei Malern wie bei Politikern die Perspektive bestimmt, gibt es innerhalb der Partei unterschiedliche Aufgaben, Ziele und Schwerpunkte. Das aber ist ein anderes Thema.

junge Welt, 4.2.2006

 

 

 

 

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