Ulrich Kluge:
Ökowende. Agrarpolitik zwischen Reform und Rinderwahnsinn, Siedler Verlag Berlin, 2001, 187 S., 18  
Franz Alt:
Agrarwende jetzt. Gesunde Lebensmittel für alle, Goldmann Verlag München, 2001, 187 S., 8 

 

Marko Ferst

 

Landwirtschaftsministerin Renate Künast rechnete nach ihrem Amtsantritt damit, auch in den nächsten drei bis fünf Jahren werde es BSE-Fälle in Deutschland geben. Mitte September 2002 sind in Deutschland 210 bestätigte BSE-Fälle verzeichnet. Die Dunkelziffer wird höher liegen. Vor zwei Jahren hatte das Auftreten der Krankheit zu einem Zusammenbruch des Rindfleischmarktes geführt. Heute wird fast soviel Fleisch konsumiert wie vor der Krise. Also alles in Ordnung, nur noch ein paar Einzelfälle?
Der Verbraucher vergißt häufig viel zu schnell. Die Liste der Skandale in der Lebensmittelindustrie ist lang. Da findet man Glykol im Wein, Salmonellen im Ei, Dioxin-Hühner wurden geortet, Nematoden tauchen im Fisch auf oder Insektizide in der Kindernahrung. Ulrich Kluge weist darauf hin, obwohl diese und andere Af-fären das deutsche Lebensmittelrecht in kein gutes Licht stellen, läßt die Politik nicht davon ab, es als eines der schärfsten in der Welt zu loben. Doch die heutigen Strukturen in der Landwirtschaft und der Lebensmittel verarbeitenden Industrie scheinen geradezu ein Einfallstor für Verfehlungen zu bieten, wenn man nur an die aktuelleren Ereignisse um das Unkrautvernichtungsmittel Nitrophen im Ökoweizen zurückdenkt. Der nächste Skandal kommt bestimmt.
Im Nachgang zur BSE-Krise in Deutschland erschien u.a. das Buch "Ökowende", daß die mangelnde Reformfähigkeit in der deutschen Agrarpolitik beleuchtet und zu ergründen sucht, warum das so ist. Dazu wird die Entwicklung der Landwirtschaft sehr ausführlich betrachtet, wie sie sich seit dem Ende des 2. Weltkrieges vollzogen hat. Autor Ulrich Kluge ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Technischen Universität Dresden und sammelte auch Erfahrungen als Landwirt. Das zweite hier vorgestellte Buch schrieb Franz Alt, Moderator der 3sat-Sendung "grenzenlos" und erfolgreicher Umweltautor. In seinem Band "Agrarwende jetzt" stellt er die ganze konventionelle Landwirtschaft auf den Prüfstand. Das BSE-Desaster sei nur ein Fingerzeig, der darauf aufmerksam machen könnte: Eine fundamentale Reform der Landwirtschaft stünde an.
Beide hier besprochene Agrarbücher gehen ausführlich auf die BSE Krise ein. Die Rinderseuche kostete der Europäischen Union bereits bis zum Jahresende 2000 zwölf Milliarden Mark, weitere kommen inzwischen hinzu. Das Einkommen der englischen Bauern sank seit der Krise um 60%, viele verschuldeten sich massiv, 50.000 mußten aufgeben. In England starben schon über 100 Menschen an der Jakob-Kreutzfeld-Krankheit, die Universität Oxford schätzt in den nächsten 40 Jahren könnten es bis zu 136.000 sein. Der britische Biologe Steven Dealer hatte als erster Wissenschaftler vor der BSE-Katastrophe gewarnt. Er meint: "Es werden sehr wahrscheinlich mehr sein". Ulrich Kluge weist darauf hin, schon 1988 war durch eine Vielzahl von Experimenten nachgewiesen worden, BSE überspringt die Speziesbar-riere. Trotzdem gelangte nach wie vor ungetestetes Rindfleisch in die Fleischtheken der Geschäfte. Die britische Politik schien "blinde Kuh" zu spielen, ein Vorgang, der sich auch in anderen Ländern und auf EU-Ebene wiederholen würde.
Ebenfalls in beiden Büchern wird der extreme soziale Aderlaß des Bauernstandes thematisiert. Heute geben jedes Jahr etwa 15.000 Landwirte in Deutschland ihre Höfe auf. Seit 1950 sind das 1,1 Millionen. Der bäuerliche Exodus betraf in einer Generation rund 4 Millionen Menschen. Viele wurden vom Haupterwerb Landwirtschaft in die nebenberufliche Existenz abgedrängt. Im Westteil Deutschlands arbeiteten 1950 noch fast 24 Prozent aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, bis heute sank dieser Anteil auf unter 3 Prozent. Franz Alt vermerkt, die Bauern verfü-gen über unterdurchschnittliche Einkommen, müssen dafür aber oft überdurch-schnittlich lange und unregelmäßig arbeiten. Aufgabe für eine zukunftsfähige Landwirtschaft wäre es, den Bauern wieder zum Kulturträger auf dem Lande zu machen.
Eine dritte Thematik, die beide Autoren behandeln, ist die hochproblematische Förderpraxis der Brüsseler Agrarbürokratie. Die Europäische Union hält die Hälfte ihres Haushalts, das sind derzeit jährlich 60 Milliarden Mark, für die Subventionen in der Landwirtschaft bereit. Franz Alt kritisiert, nur noch ein Drittel der Mittel kommt beim Bauern an. Das übrige seien Kosten, die durch eine verfehlte Landwirtschaftspolitik verursacht werden. Erst produziert man Überschüsse, hinterher müssen sie für viel Geld vernichtet werden.
Doch was empfehlen Ulrich Kluge und Franz Alt, wie kann die ökologische Agrarwende aussehen? Die Antworten fallen zum größten Teil unterschiedlich bis konträr aus. Kluge meint, die Artenvielfalt könne auch durch eine nachhaltige Landwirtschaft nicht umfassend geschützt werden. Ein Hindernis bei der Einführung von Biolebensmitteln sei, normale Möhren und Eier lassen sich von ihren Bio-Konkurrenten nicht unterscheiden. Das ganze Buch über wartet man darauf, wann Kluge endlich über solche Hinweise hinaus auf die landwirtschaftliche Ökowende zu sprechen kommt. Man wartet vergeblich. Auch auf den letzten 25 Seiten, die laut Kapitelüberschrift diesem Thema gewidmet sein sollen, ist die Ausbeute fatal dünn. Agrarhistorischer Sachverstand kann dem Buch ohne weiteres bescheinigt werden. Jedoch der Titel "Ökowende" ist in jedem Fall irreführend. Kluge führt aus, wenn der ökologische Landbau in Deutschland jetzt von der Politik aus seinem Nischendasein herausgeholt werden und mindestens 10% Anteil erreichen soll, dann sei noch nicht klar, ob dies ohne eine flächendeckende Umsteuerung des europäischen Binnenmarktes möglich sei. Nur muß man dann die simple Frage stellen, warum hat Österreich heute schon 15% Biobauern, die Schweiz 8%, Deutschland aber erst 2,5%? Man muß bei diesem Punkt nicht nur auf die EU-Bürokratie schauen, wenn-gleich dies selbstverständlich unstrittig auch notwendig ist. Aber man könnte sich zum Beispiel auch fragen, wie lange will sich der Bauernverband noch Funktionäre leisten wie Gerd Sonnleitner, der von den Umweltverbänden einen "Ökodinosaurier" bekam wegen besonders antiökologischer Verbandspolitik. Welche Rolle spielen die Landwirtschaftskammern, die Nahrungsmittel- und Chemieindustrie, der Landmaschinenbau bei der Blockierung der ökologischen Agrarwende? Unterhalten muß man sich, warum es zwischen dem Agrarministerium und der Agrarindustrie über Jahrzehnte eine Filzokratie gab, bei der eine Hand die andere wusch.
Der Autor regt an, die mittelständische Landwirtschaft für die Hinwendung zu mehr Ökologie besonders zu fördern. Der mittelständische Familienbetrieb sei die beste Form für die künftige Landwirtschaft. Bei dieser Ausschließlichkeit würde Franz Alt energisch Einspruch erheben. Es spricht einiges dafür, daß er recht hat. So transformierte sich zum Beispiel die LPG "Wilhelm Pieck" zur GmbH "Ökozentrum Werratal" in Thüringen. Das Ackerland von drei Dörfern wird von diesem Betrieb ökologisch bewirtschaftet. Um auch im Ökosektor nicht davon abhängig zu sein, so viel wie möglich Fördergelder abzuschöpfen und danach die Produktionsstruktur auf ungesunde Weise auszurichten, setzt man in der "Öko-LPG" auf Direktverarbeitung und Direktvermarktung der landwirtschaftlich erzeugten Produkte. Die Lebensmittel werden u.a. vor Ort in einer eigenen Markthalle angeboten.(1)
Kluge meint, der mittelständische Familienbetrieb baue wegen seiner dezentralen Produktionsstrukturen keine seuchengefährdeten Massenbestände in den Ställen auf und führe nicht zur Überproduktion. Besonders das erste Argument ist sicher kri-tisch abzuwägen, könnte aber durch dezentralere Viehhaltung auch im größeren Ag-rarbetrieb entschärft werden. Als Vorteil hinzufügen ließe sich, im Familienbetrieb sind die Arbeitenden zu hohem Anteil reelle Eigentümer. Freilich könnte es auch in einem größeren landwirtschaftlichen Ökobetrieb Miteigentümerschaft der Arbeitnehmer geben.
Franz Alt will sich nicht mit wenigen Prozenten an ökologischem Landbau zufrieden geben. Bis 2030 sollte die gesamte Landwirtschaft in zügigen Schritten auf biologischen Landbau umgestellt werden. Wir sahen schon, unser Nachbar Österreich verfügt auf diesem Weg bereits über einen großen Vorsprung. Würde man in den nächsten Jahrzehnten die Landwirtschaftssubventionen nicht mehr für Flächenstillegungen, Lebensmittelvernichtung, Schlachtorgien zur Preisstützung und auch manch andere unsinnige Aktionen verwenden, sondern dafür investieren, daß gesunde Nahrung mit ökologischen Anbaumethoden produziert wird, dann könnte die Landbauwende recht schnell in Gang kommen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man hier die Subventionen nicht umlenken können sollte, wohl aber Interessenvertreter, die um ihre Pfründe bangen. Zwar lägen die Erträge beim ökologischen Landbau im Schnitt um ein Drittel tiefer, aber dies sei genau die Menge, die beim konventionellen Anbau in der EU wieder vernichtet werden müsse. Günstige Darlehen für die Bauern beim Umstieg auf die ökologische Landwirtschaft sind erforderlich. Zwiebeln sollten nicht aus Neuseeland oder Fleisch aus Argenti-nien eingeführt werden, ebensowenig wie Futtermittel aus "Drittwelt"staaten. Ganz zu recht prangert der Autor die globalisierten Agrarmärkte an. Dabei schädigen hoch subventionierte Agrarexporte in arme Länder oft deren Landwirtschaft, treiben die dortige Bauernschaft in den Ruin.
Hinzu kommen muß nach Alt: In Deutschland gibt es heute ungefähr 500 Professoren für Land- und Forstwirtschaft, und nur etwa 1% davon sind ökologisch orien-tiert. Wir bräuchten ein Max-Planck-Institut für ökologischen Landbau. Lehrstühle und Studienfächer müssen auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft zugeschnitten werden. Verbesserungsfähig ist die Vermarktung von Bioprodukten. Nicht nur auf dem Bauernhof, sondern auch in der Kaufhalle um die Ecke sollten sie erhältlich sein. Sechs Monate nach der ersten BSE-Kuh konnten in Deutschland Ökoläden ih-ren Umsatz um 80 Prozent steigern. Ein Blick in die manchmal schon vorhandenen Ökoregale der Lebensmittelketten verrät: Die reale Preisdifferenz zwischen dem Ökoangebot und herkömmlichen Lebensmitteln muß kleiner werden. Allein mit Alts Hinweis auf die hohen Gesundheitskosten falscher Ernährung werden sie noch nicht zum Verkaufsrenner. Würden jedoch die Schattenlasten der bisherigen Le-bensmittelproduktion sich auch im Preis wiederspiegeln, wäre die Gleiche längst erreicht. Die heutige Landwirtschaft produziert jährlich mindestens 50 Milliarden Mark volkswirtschaftliche Schäden, wie die Verseuchung der Böden und des Grundwassers mit Pestiziden u.a. Stoffen, Schäden durch Überdüngung, die Erosion auf Ackerflächen und weiteres.
Viele unsinnige Tiertransporte über große Distanzen würden eingespart werden können, wenn sich das im Zuge einer neuen EU-Landwirtschaftspolitik nicht mehr rechnen würde. Noch immer werden z.B. "Belohnungen" gezahlt für den Export von Rindern. Aber auch der Verbraucher muß sich kritische Fragen stellen lassen, so Franz Alt. Zwar seien nach Umfragen etwa 80% der Deutschen gegen Käfighaltung von Hühnern, aber nur 10% kaufen wirklich Eier von freilaufenden Hühnern. Die große Mehrheit praktiziert Tierquälerei. Der Autor legt seinem Leser zwar keine vegetarische Ernährungsweise nahe, aber der Verzehr von durchschnittlich 90 Kilo-gramm Fleisch im Jahr pro Person in Deutschland hält er weder der Gesundheit dienlich noch ökologisch nachhaltig.
Immer muß auch die ökologische Gesamtbilanz in der heutigen Agrarwirtschaft betrachtet werden. Freilich ist ein weiterer Pluspunkt für das Buch "Agrarwende jetzt", es werden die Verkehrswende, eine vollständige solare Energiewende, die Hinwendung zu nachwachsenden Rohstoffen mit thematisiert, in die die Landbau-wende eingebettet werden muß. Doch wenn man für die Herstellung von einem Brot ungefähr einen halben Liter Erdöl verbraucht, in 30 bis 40 Jahren werden diese Rohstoffquellen erschöpft sein, dann wird es uns auch nicht mehr helfen, daß wir alle Produkte ökologisch kontrolliert angebaut haben. Die Landwirtschaft ist mit 10-15% am Treibhauseffekt beteiligt, so fallen bei der Tierzucht große Mengen an Methan an. Die Belastung unserer Biosphäre mit diesen enormen Risikoeffekten müssen wir versuchen drastisch abzubauen.
Die im Kyotoprotokoll vereinbarte Reduktion von Klimagasen weltweit wird die tägliche Treibhauslast von mehr als 100 Millionen Tonnen pro Tag nur unwesent-lich vermindern. Kohlendioxid als wichtigstes Gas bleibt mehr als 100 Jahre klima-aktiv. So wird die planetare Wärmefalle unvermeidlich zuschnappen. Wir werden nicht nur solare Energieerzeugung und mehr technologische Ökoeffizenz brauchen, sondern auch eine umfassende intelligente Selbstbegrenzung. Unser Material- und Energieverbrauch in den Industriestaaten liegt ungefähr um den Faktor 10 zu hoch.
Zwar sieht auch Alt die heutigen Ökonomien auf einem "krebsartigen" Wachstumskurs. Doch wir werden uns auch zu fragen haben, ob der Weg in die hochtech-nisierte, personalarme Subventionslandwirtschaft nicht zu erheblichen Anteilen ein Fehler war, der uns in diesem Jahrhundert teuer zu stehen kommen wird, spätestens wenn in der übrigen Welt ein bis zwei Milliarden Bauern von ihren Feldern durch die Agrarkonzerne und landwirtschaftliche Hochleistungstechnik vertrieben worden sind. Die damit verbundene Landflucht wird katastrophale soziale Verhältnisse nach sich ziehen.

(1) Eine ausführliche Vorstellung des "Ökozentrum Werratal" kann man nachlesen in: Ulrich Grober: Ausstieg in die Zukunft. Eine Reise zu den Ökosiedlungen, Energie-Werkstätten und Denkfabriken, Berlin 1998, S.112-131

Utopie Kreativ Nr.2/2003

 

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