Kommt statt dem Ausstieg der Zenit der Atomkraftnutzung in Deutschland?

(Unter Einbeziehung der GAU-Gefahr, der Rolle von Anti-Atom-Bewegung und der Endlagerproblematik)

zusammengestellt von MARKO FERST

 

Einstieg

So billig, daß man die Stromzähler abbauen kann, ist der Atomstrom nie geworden - im Gegenteil: keine bisherige Form der Energieerzeugung, wenn man alle Kosten einbezieht, ist so teuer wie die atomare. Alles mögliche wollte man in der Technikeuphorie der 50er und 60er Jahre mit der damals neuen Energie antreiben. Diese Traumtänzerei ist gründ-lich daneben gegangen, jedoch die Altlasten werden uns für unvorstellbar lange Zeiträume begleiten. Spätestens nach dem Atomunglück von Tschernobyl wurde weltweit klar, das kleingeredete Restrisiko ist sehr viel größer, als bis dahin offiziell eingeräumt wurde. Am 5. Mai 1986 reichten die Ausläufer der radioaktiven Wolke des Unglücksreaktors schon von Kanada bis Spanien, Iran und Workuta sowie bis hin zum Amur, wie ein unförmiges Kreuz mit einem Kopf über Sibirien.
In der vorliegenden Arbeit soll zur Debatte gestellt werden, inwiefern der Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland wirklich ein Ausstieg ist oder nur ein Manöver zur Siche-rung der Arbeit bestehender Kernkraftwerke und inwiefern eine solche Option sicher-heitstechnisch verantwortbar ist. Darüber hinaus ist zu fragen, ob es sich bei dem Ver-handlungsergebnis zum Atomausstieg wirklich um einen Konsens handelt bzw. ob man in diesem Fall überhaupt auf einen Konsens hätte setzen dürfen, also auf einen zwischen Energiekonzernen und Regierung. Weiter ist zu betrachten, warum es sinnvoll schien die Anti-Atom-Bewegung aus den Verhandlungen auszuschließen und damit eine Befriedung des politischen Konfliktstoffes der Atomtransporte und analoger Probleme unmöglich zu machen. Darüber hinaus soll einbezogen werden, inwiefern der Atomausstieg auch mit einer sicheren Endlagerung verknüpft ist oder ob er an diesem Verfahrensschritt ausge-setzt bleibt. Ist eine sichere Endlagerung überhaupt möglich?

Eckpunkte beim "Atomkonsens"

Den Atomkraftbetreibern, vier große Unternehmen sitzen am Tisch, wird zugestanden, noch einmal soviel Atomstrom in Deutschland produzieren zu können, wie von den deutschen AKW bisher in die Netze geschickt wurde. Dann erlischt die Betriebsgeneh-migung. Stichtag ist der 1. Januar 2000. Alle AKW dürfen zusammen noch 2623,3 Milli-arden Kilowattstunden einspeisen und werden dabei etwa 7000 Tonnen hochradioaktiven Müll produzieren. Laufzeiten von im Durchschnitt mindestens 32 Jahren ab Inbetrieb-nahme wurden den Betreibern der Atomkraftwerke zugesichert, Greenpeace schätzt, daß sie sogar bis zu 35 Jahre am Netz bleiben können. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die ausgehandelten Kontingente an Strom von älteren auf neuere Anlagen übertragen werden dürfen und so Reaktorlaufzeiten von bis zu 40 Jahren möglich werden. Ein Enddatum für den endgültigen Ausstieg wurde nicht festgelegt.
Es kann jährlich soviel Strom produziert werden in jedem AKW, wie im Durchschnitt der fünf höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 erzeugt wurde. Dazurechnen muß man noch mal einen Aufschlag von 5,5%, der mit Hinweis auf technische Innovati-onen, Kapazitätssteigerungen der Anlagen und Reservepflicht zur Netzstabilisierung be-gründet wird. Als zusätzliche Beigabe wurde festgelegt, daß 107 Milliarden Kilowattstun-den vom kaum in Betrieb gewesenen Kraftwerk Mühlheim-Kärlich auf andere AKWs übertragen werden können, im Gegenzug zieht der Stromerzeuger RWE den Genehmi-gungsantrag für das Kernkraftwerk zurück und stellt keine Schadensersatzansprüche. Al-lerdings ist fraglich, ob RWE mit solchen Ansprüchen durchgekommen wäre, so die grü-ne Fraktionschefin Ise Thomas im rheinland-pfälzischen Landtag. Das neue Gutachten zur Erdbebensicherheit, würde da für den Konzern kaum Spielraum mehr lassen.
Der Neubau von Atomkraftwerken ist mit der neuen Atom-Vereinbarung untersagt, al-lerdings kam es in den letzten 20 Jahren auch nicht mehr zu Neuaufträgen in Deutsch-land. Die Atomkraft soll nicht mehr als förderungswürdig anerkannt werden. Die Bundes-regierung verpflichtet sich allerdings auch, die Sicherheitsanforderungen an die Meiler nicht zu verschärfen. Prüfungen finden nur alle 10 Jahre statt, soweit die Anlage nicht innerhalb der nächsten 3 Jahre vom Netz geht. Pikant nur, im Koalitionsvertrag wird noch von einer jährlichen Sicherheitsprüfung ausgegangen. Zwar wird die Haftpflicht-Deckungsvorsorge für schwere Störfälle von 500 Millionen auf 5 Milliarden DM erhöht, allerdings können auch damit nur 0,1 % der zu erwartenden Schäden bei einem GAU abgedeckt werden.
Eine Diskriminierung der Kernkraft findet nicht statt, dazu verpflichtet sich die Bundes-regierung. Das gilt insbesondere auch für Steuerlasten im Zusammenhang mit der Kern-kraft. Hermann Scheer weist jedoch darauf hin, eine neue Steuer auf Kernbrennstoffe sei nach wie vor möglich, denn die Abschaffung der bisherigen Steuerfreiheit bedeute keine "Diskriminierung" sondern sei eine Abschaffung von "Privilegien".
Hatte sich Jürgen Trittin in den Anfangsmonaten der Koalition noch dafür stark gemacht, die Wiederaufarbeitung von abgebranntem Kernbrennstoff zu verbieten, so sieht dies in dem Konsenspapier gänzlich anders aus. Erst 2005 werden die Transporte beendet, wohl-gemerkt dürfen aber angelieferte Abfälle noch aufgearbeitet werden. Die Betreiber von La Hague schätzen daher ein, die Fabrik könne damit noch 15 Jahre deutsche Abfälle aufar-beiten.
Nicht Bestandteil des Atomkonsenses ist, aber dennoch ein sehr interessantes Faktum: 60 % aller Forschungsgelder im Energiebereich bei der Großforschung werden nach wie vor für die Kernenergie eingesetzt, nur 10 % für die erneuerbaren Energien. Insbesondere die Gelder für die Kernfusion zahlt man weiter, eine Technologie, die nicht minder gefähr-lich ist, aber frühestens 2050 praktisch einsetzbar, wenn überhaupt.

Das bleibende Atom-Gefahrenpotential

Welche hochgradigen Gefahren bestehen beim Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Deutschland? Selbst in einem Werbeblatt der Bündnisgrünen wird davon ausgegangen, daß der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft 2021 noch nicht vollzogen sein wird. Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, hält die Nutzung der Atomkraft in Deutschland für die nächsten 25 Jahre für absehbar. Angela Merkel kündigte sogar an, bei einem Sieg ihrer Partei zu den Bundestagswahlen 2002, den Atomkonsens rück-gängig zu machen. So kann sich der Ausstieg je nach der regierungsverantwortlichen Partei noch um weitere Jahre hinauszögern, wenn den Betreibern dies ökonomisch sinn-voll erscheint. Klar feststellen muß man auch, die noch ausgehandelten Betriebsjahre für die AKW werden auf einem geringeren Sicherheitslevel ablaufen als der bisherige Betrieb. Die Anlagen werden älter, und in Folge dessen tauchen Verschleißerscheinungen in höhe-rem Maße unvermeidlich auf, die dann auch Auslöser für Störfälle werden können.
Die Folgen eines Reaktorunglücks würden in Deutschland mit denen vergleichbar sein, die in Tschernobyl zu Tage gekommen sind, die unterschiedliche Reaktorkonstruktion hat dabei keine maßgebliche Bedeutung. Jedoch wären mehr Menschen in Deutschland bei einer Kernschmelze betroffen, weil die Bevölkerungsdichte hierzulande höher ist als in der Ukraine und Weißrußland, in den am stärksten verstrahlten Gebieten. Ein GAU (größter anzunehmender Unfall) kostet nach Berechnungen des (nicht als atomfeindlich bekannten) Prognos-Instituts bis zu 10 Billionen DM, eine andere aktuelle Studie geht von 5 bis 12 Billionen aus. Das Prognos-Institut rechnet mit bis zu 15.000 Soforttoten und bis zu 4,8 Millionen Krebstoten.
Zwar ist ein Unfallablauf wie in Tschernobyl in deutschen AKW nicht möglich, weil die deutschen Atomreaktoren die konstruktiven Mängel der sowjetischen RMBK-Reaktoren nicht aufweisen. Doch gibt es auch für die deutschen Leichtwasserreaktoren zahlreiche Hinweise darauf, daß die Möglichkeit zu größten anzunehmenden Unfällen besteht. Ein solcher kann zum Beispiel hervorgerufen werden durch eine heftige Explosion von Was-serstoffgas, wie es frühzeitig im Verlauf einer Kernschmelze entsteht. Schlagartige Frei-setzungen sind möglich durch Dampfexplosionen oder das Durchschmelzen des Reak-torkessels bei hohem Innendruck. In diesen Fällen bietet auch der stählerne Sicherheits-behälter mit der umgebenden Stahlbetonhülle keinen Schutz.
Große radioaktive Freisetzungen sind auch möglich innerhalb weniger Stunden, wenn der Sicherheitsbehälter nicht dicht ist. Eine Schwachstelle sind die zahlreichen Rohrleitungen, die ihn durchdringen. Auch wenn der Sicherheitsbehälter zunächst standhält, kann der Innendruck nach einigen Tagen so hoch werden, daß er zerstört wird oder gezielt eine Freisetzung durchgeführt wird, um den Druck abzubauen.
Auch vor Tschernobyl hatte es schon Atomunfälle gegeben: In den fünfziger Jahren im englischen Sellafield, danach in Tscheljabinsk im Ural und Harrisburg in den USA. Franz Alt kommentiert, nicht alle 10000 Jahre hatte es einen Atomunfall gegeben, wie die Ex-perten meinten, sondern alle 10 Jahre hatte es einen gegeben. So stellte sich heraus, das "Restrisiko" ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann.
Auch in Deutschland wäre es 1987 beinahe zu einem schweren Unfall gekommen, bei dem der Sicherheitsbehälter wirkungslos geblieben wäre. Im AKW Biblis blieb ein wichti-ges Ventil beim Hochfahren des Reaktors versehentlich offen und ließ sich nicht schlie-ßen. Die Operateure spielten ein waghalsiges Spiel: Durch Öffnen eines zweiten Ventils sollte das Klemmen des anderen beseitigt werden. Damit war der Beginn eines "Super-GAU" eingeleitet, Kühlmittel strömte aus dem Reaktor heraus. Reines Glück war es, daß das klemmende Ventil sich sieben Sekunden nach diesem Schritt löste. Anderenfalls bräuchte man wahrscheinlich heute nicht mehr über die Auslaufzeit der Reaktoren in Deutschland verhandeln.
Selbst aus den Sachverhaltsdarstellungen des Bundesumweltministeriums für den Atom-Arbeitskreis der Ministerien vom 12.8.1999 geht hervor, daß man bei der Risikoabschät-zung nicht berücksichtigt hat, daß in 97% der Fälle mit einem frühen Containmentversa-gen (des Sicherheitsbehälters) zu rechnen ist. Dies hat man in der "Deutsche Risikostudie Phase B" von 1989 festgestellt. Daraus folgt, die Gefahrenpotentiale wurden um weit mehr als den Faktor 10 unterschätzt. Wenn in der Regel damit zu rechnen ist, daß bei einem Unfall innerhalb von wenigen Stunden massive radioaktive Freisetzungen sich voll-ziehen, so ist auch der Schutz durch Maßnahmen der Katastrophenabwehr massiv über-schätzt worden, wo davon ausgegangen wurde, man hätte bis zu vier Tage für eine Evakuierung Zeit. Beide Faktoren wirken multiplikativ, so die offizielle Einschätzung der Behörde, und hinzu kommt, daß Sicherheitssysteme, die einem größten anzunehmenden Unfall (GAU) entgegenwirken, vielfach sogenannte Handmaßnahmen, von der richtigen Situationseinschätzung des Personals abhängen.
Daraus zieht man in dem Papier des Bundesumweltministeriums den Schluß, alle laufen-den Atomkraftwerke wären nach diesem Maßstab heute nicht mehr genehmigungsfähig und entsprechen nicht mehr dem Sicherheitsstandard, der vom Atomgesetz nach dem neuen Stand von Wissenschaft und Technik gefordert ist.
Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Kann der Gesetzgeber wirklich frei auswählen, ob er weiterhin die alten Sicherheitsmaßgaben gelten läßt, wie dies jetzt auch Eingang ge-funden hat im Verhandlungspapier zum Atomkonsens, oder ist er verpflichtet, die erheb-lich größeren Gefahrenpotentiale, die festgestellt wurden, auch in eine völlig über-arbeitete Sicherheitsphilosophie beim AKW-Betrieb zu übersetzen. Faktisch könnte man aus diesen Zusammenhängen herleiten (wie belastbar das in der Rechtspraxis ist, wäre zu prüfen), daß die vom Bundesverfassungsgericht erteilte Anforderung, ein Atomkraft-werksunfall muß "praktisch ausgeschlossen" werden, nicht mehr als gegeben angesehen werden kann. Damit könnte man unter Umständen ein Urteil beim Bundesverfassungsge-richt herbeiführen, daß den AKW-Betrieb auf dem im Atomkonsens festgehaltenen Si-cherheitsstandard verbietet. Mit berücksichtigen sollte man, daß es seit 1994 im Grundge-setz den Artikel 20a gibt, der dem Staat auferlegt, für den Schutz der natürlichen Lebens-grundlagen zu sorgen in Verantwortung für die künftigen Generationen. Zudem wäre der Artikel zwei Absatz zwei im Auge zu behalten, der das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit beinhaltet. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, daß ein wesentlich schnellerer Ausstieg aus der Atomkrafterzeugung auf dem gerichtlichen Weg erstritten werden könnte. Die Erhöhung der Sicherheitsstandards in AKWs, soweit sie denn tech-nisch umsetzbar ist, würde zu erheblichen zusätzlichen Kosten für die Betreiber führen und damit zu einer unzureichenden ökonomischen Rentabilität führen. Genauer zu unter-suchen wäre, wie die Parameter dafür abzuschätzen sind. Um einen Stop der AKWs auf dem derzeitigen Sicherheitsniveau zu erreichen, wäre es in jedem Fall zweckmäßig, sich mit dem Stand der bisherigen Rechtssprechung bei der Erlaubnis von AKW-Betrieb aus-einanderzusetzen, inwieweit es weitere Anhaltspunkte gibt, die gerichtsverwertbar sein könnten.

Bevölkerung und Atomkonsens

Es darf vermutet werden, daß großen Teilen der Bevölkerung durchaus bewußt ist, daß sich die Regierung von den Atomkonzernen hat über den Tisch ziehen lassen, wenngleich eine gesicherte Einschätzung nur durch eine sorgfältige Demoskopie zu erlangen sein wird. Im Jahr 2000 ergab sich folgende Risikowahrnehmung der Bevölkerung in Deutsch-land laut einer Studie des Bundesumweltamtes: Eine große Mehrheit der repräsentativ Befragten von 85% hält die Atomtechnologie für eine gefährliche Technik, nur 2,4% hal-ten sie für überhaupt nicht gefährlich und 12,6% für kaum gefährlich. 75% sprachen sich dafür aus, die Bundesregierung möge doch eher so schnell wie möglich aus der Atomkraft aussteigen, nur 7% sind gegen den schnellen Ausstieg. Überdies gingen 67% der Befrag-ten davon aus, daß es in den nächsten Jahren auch dazu kommen wird. Diese Daten weisen allerdings darauf hin, daß die Bundesregierung erhebliches Vermittlungsgeschick aufwenden muß, um das jahrzehntelange, revidierungsfähige Auslaufen der Atomkraft als Ausstieg verkaufen zu können. Bei den Bündnisgrünen besteht die Gefahr, daß sie bei der nächsten Bundestagswahl, insbesondere durch ihr Versagen beim Atomausstieg und ihrer Rolle beim Krieg gegen Jugoslawien, herbe Wählerverluste hinnehmen werden müssen, die die Fortsetzung der Koalition gefährden könnten, sofern es nicht genügend Leih-stimmen von der SPD gibt.


Der Faktor Atom-Widerstand

Die Front der Ablehnung des ausgehandelten "Atomkonsenses" zieht sich durch die ge-samte Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung. Eingeschätzt wird zum Beispiel, das Atom-zeitalter sei in der Bundesrepublik auf dem Zenit angekommen und die AKWs könnten bis an das Ende ihrer technischen Lebensdauer betrieben werden.
Ein schnellerer Ausstieg aus der atomaren Energieerzeugung wird auch von der PDS ge-fordert. Dies wird im Parteitagsbeschluß vom 9.4.2000 "Statt Konsens mit den Energie-konzernen - Atomausstieg jetzt!" deutlich festgehalten, ebenso in nachfolgenden Erklä-rungen des Parteivorstandes in 2001.
Wirtschaftsminister Werner Müller hofft, durch den Atomkonsens könnte der Boden für die Anti-Atom-Bewegung ausgetrocknet werden, wenn die ernsthaften Kritiker der Kern-energie die Regierung dabei unterstützen würden. Daß dies eine Illusion sein dürfte, zeigte sich spätestens bei der Wiederaufnahme der Castortransporte nach dem Transport-verbot durch die ehemalige Umweltministerin Angela Merkel wegen der häufigen Konta-minationen am Castorenmantel. Ende März 2001 fanden sich bei dem Atomtransport 16000 Menschen bei der Auftaktdemonstration in Lüneburg ein, rund 15000 beteiligten sich in den Tagen danach bei Aktionen an und auf der Transportstrecke in Richtung Dannenberg. Beachtenswert ist, daß auch die nachfolgenden Transporte in Richtung La Hague und Sellafield massiv behindert wurden, konnten sie doch in den 90er Jahren fast unbehelligt ihr Ziel erreichen. Jährlich waren dies zwischen 80 und 100 Castor-Behälter.
Beim Transport am 10. April mußten 6800 Beamte zur Sicherung eingesetzt werden, beim Sellafield-Transport zwei Wochen später am ersten Tag 2500, am zweiten Tag 6000. Den Transport nach Lubmin sicherten 12000 Beamte. Es fällt auf, seit dem ersten Transport 2001 ins Wendland gibt es eine recht gute Kooperation zwischen verschiedenen Aktions-formen. Umweltverbände wie Greenpeace und Robin Wood, örtliche Verbände und die Kampagne X-tausendmal-quer ergänzen einander. Zu beobachten ist auch, die deutsche Blockadefreudigkeit wird von französischen Anti-Atom-Gruppen kopiert, so gab es beim Transport von abgebrannten Brennelementen am 1. und 2. August aus fünf deutschen AKWs nach La Hague Sitzblockaden und Festkettungen in Frankreich bei Strasbourg.
Daß also der Widerstand in Deutschland gegen die Castortransporte, die als ein Mittel verstanden werden, um auf die Stillegung der Atomkraft hinzuwirken, befriedet werden kann, ist vorläufig kaum zu erwarten, eher im Gegenteil, neue Rekorde könnten früher oder später bei den Aktivitäten aufgestellt werden, denn die Anti-Atom-Bewegung ist sehr gut vernetzt und erhält durch die interessanten Formen ihres Engagements sehr viel mehr Zulauf, als dies mit anderen Umweltaktivitäten unmittelbar möglich ist. Die Öffentlich-keitswirksamkeit und Vitalität der Methoden spielt dabei ein große Rolle.
Der ausgehandelte Konsens zwischen Industrie und Regierung bedeutet jedoch für die Anti-Atom-Bewegung in den kommenden Jahren auch einen Verlust an Eingriffsmög-lichkeiten. Die Blockierungen hatten nämlich auch das Ziel, die Lagerkapazitäten der Kernkraftwerke für abgebrannte Brennstäbe zu erschöpfen und über diesen Weg vorläu-fige Abschaltungen von Anlagen zu erzwingen. Solange wie jedoch keine Zwischenlager-kapazitäten zur Verfügung stehen, kann diese Option noch immer eintreten, da die La-germöglichkeiten für die verbrauchten Brennelemente im Kraftwerk selbst begrenzt sind. Durch den vorgesehenen Bau von Zwischenlagern und zuvor von Interimslagern für den hoch radioaktiven Müll an allen Standorten von Atomkraftwerken entfallen zunächst Transporte, Gefährdungen an den Transportstrecken fallen weg. Allerdings könnte die Lagerung des Mülls in Reaktornähe bei einem GAU ein erhebliches zusätzliches Verstrah-lungspotential darstellen, wenn sie dabei beschädigt würden.
Inwieweit die Zwischenlager als neue atomtechnische Anlagen planungsoptimal durchge-hen und gebaut werden können, wird abzuwarten sein, einige Landesregierungen haben dafür keine Sympathie, und die CDU-Chefin Merkel erklärte, daß ihre Partei dieses Vor-gehen nicht akzeptieren will. Einstweilen darf man vermuten, daß dies nichts weiter ist als eine rhetorische Übung, auch in den Planfeststellungsverfahren werden wohl keine wirkli-chen Hindernisse aufkommen, wenngleich intelligent-kreative Einwendungen schon an-dere Atom-Projekte zu Fall gebracht haben.
Der Anti-Atom-Bewegung gehen durch dieses Vorgehen selbstverständlich nicht die Blo-ckierobjekte aus, eher ist es so, man kann sich besser auf die dennoch laufenden Trans-porte konzentrieren, aber die unmittelbare Erfolgsmöglichkeit auf eine "Verstopfung" mit Atommüll bei den Kraftwerken wird wohl genommen. Die andere Seite ist natürlich, es geht auch darum, die Transporte so teuer wie möglich zu machen. Schon bis 1999 waren 5 Milliarden Mark für die Sicherung von Castor-Transporten vom Staat ausgegeben wor-den. Allein der Transport im März 2001 nach Gorleben kostete insgesamt über 120 Mil-lionen Mark, so der niedersächsische Innenminister Rainer Barling. Durchaus nicht un-möglich wäre ein Szenario, wo über Tage die Castoren gestoppt würden, weil die Strecke selbst unpassierbar gemacht worden ist und nicht unmittelbar instand gesetzt werden kann. Die Treckerblockade von 1997, wo eine der Straßen nach Gorleben komplett un-passierbar war, dazu die 10-stündige X-tausendmalquer-Blockade und 2001 die Ankettak-tion von Robin Wood verweisen darauf, es könnte durch eine intelligente Abstimmung von solchen und anderen Aktionen unter Umständen möglich sein, trotz eines riesigen Polizeiaufgebots, eine Situation herbeizuführen, die dazu zwingt, einen Konsens nicht nur mit der Industrie zu suchen, sondern auch mit der Bevölkerung, insbesondere im Wend-land und der Anti-Atom-Bewegung. Der Einsatzleiter der Polizei beim letzten Transport Hans Reime kommentierte den Sachverhalt in die Fernsehkameras des NDR so: "Diese 50 Kilometer Schiene, die packen wir auf diesen Gleisen nicht noch mal. Die sprengen uns weg, nächstes Mal."
Zweifelsohne der enorme Verschleiß an menschlichen Ressourcen in diesen Kraftakten, die Potenzen, die hier verausgabt werden, könnten anderswo enorme Möglichkeiten für umweltpolitisches Handel freisetzen, daß sich eben nicht nur über die großen "Neins" definiert. So wäre es zum Beispiel sinnvoll das Engagement für die solare Energiewende mit dem Atomausstiegsziel stärker zu verknüpfen. In Ansätzen geschieht dies schon, das könnte aber ausbaufähig sein und den Grad an Glaubwürdigkeit der Aktivitäten in der Öffentlichkeit enorm stärken.

Ist ein marktwirtschaftlich angelegter Ausstieg möglich?

Wenn es darum geht, den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschleunigen, dann lohnt es sich auch, die ökonomischen Rahmenbedingungen genauer anzuschauen. Jedes zweite Atomkraftwerk macht nämlich Verlust, so der Wirtschaftsexperte Wolfgang Irrek. Der Energieexperte Peter Hennicke spricht ganz analog davon, es seien 10 Atomkraftwerke nicht mehr profitabel. Daß sich ihr Betrieb dennoch lohne, liege daran, daß sie steuerfreie Rückstellungen haben bilden können für die späteren Entsorgungsmaßnahmen. Inzwi-schen haben sich mehr als 70 Milliarden Mark angesammelt. Würde man die Zinserträge und die Nebengeschäfte, die daraus finanziert wurden, den Betreibern entziehen, also hier Privilegien abschaffen, könnte die Hälfte der Atomkraftwerke schon in den nächsten Mo-naten stillgelegt werden.
Beschleunigend auf einen Atomausstieg hätte auch eine realistische Haftpflichtversiche-rung wirken können auf der Grundlage von Risikostudien und den Erfahrungen von Tschernobyl. Die Versicherungsprämien wären so hoch, daß sich kein Kernkraftwerk mehr rechnen würde. Alternativ hätte man auch die Kernbrennstäbe besteuern können.
Auch würden bei einem relativ schnellen Atomausstieg nicht die "Lichter" ausgehen. Der Höchstverbrauch an Stromleistung liegt in Deutschland bei 72,6 Gigawatt. Das ist eine Nachfrage, in deren Nähe man nur an besonders kalten Tagen kommt. Die 1998 in-stallierte Stromleistung betrug rund 108 Gigawatt. Wir kommen also auf eine Reserveleis-tung von mehr als 35 Gigawatt. Damit könnte man die atomaren Erzeuger vollständig ersetzen. Sie machen nur 20 % des deutschen Kraftwerksparks, aufgegliedert nach Ener-gieträgern, aus. Eine weitere drastische Reduzierung des Höchstverbrauchs an Strom wäre durch effektive Energiesparpolitik ohne Probleme umzusetzen. Allein bei Verzicht auf sogenannte Stand-by-Schaltungen könnten mehrere Atomkraftwerke an Stromleistung eingespart werden. Eine Reserveleistung von 35 Gigawatt ist in jedem Fall reine Ver-schwendung. Japan leistet sich z.B. 7% Reserveleistung in Bezug zur Gesamtstrommenge, so Franz Alt. Warum Deutschland dagegen mehr als 48% braucht, ist nicht einzusehen.
Wenn es also doch etliche Möglichkeiten gegeben hätte, den Ausstieg aus der Atomener-gie auf markwirtschaftlichem Wege einzuleiten und sehr viel schneller zu erreichen, so schätzt es jedenfalls auch Wolfgang Irrek ein, warum inszeniert man dann einen Atom-konsens, der sich gegen die bestehenden Möglichkeiten geradezu wie ein Rettungspro-gramm liest, mit dem man den Betreibern ihre atomare Stromproduktion bis zum zwangsläufigen Ende sichert? Otto Majewski, Chef des Deutschen Atomforums, kom-mentierte denn auch die Ansicht der bündnisgrünen Partei, das Verhandlungsergebnis bedeute den Atomausstieg, als "drolliges Mißverständnis". In Wirklichkeit werde der "rei-bungslose" Betrieb der Atomkraftwerke geregelt.
Ganz gewiß hätte sich ein markwirtschaftlich konformes steuerndes Instrumentarium schaffen lassen, mit dem man in den nächsten 5 bis 10 Jahren im Sinne einer Regierungs-option hätte den Ausstieg organisieren können, ohne gleich 3,60 DM für eine Kilowatt-stunde Atomstrom anzulegen, wenn man einen realistischen Versicherungsschutz in Ge-setze gegossen hätte. Diesen Preis jedenfalls hat eine Studie des Fraunhofer-Instituts im Auftrag des früheren Bundeswirtschaftsministeriums unter Jürgen Möllemann berech-net.
Sinnvoll für die Umweltverbände und anderen Atomkraftgegner wird sicherlich sein, diese ungenutzten Möglichkeiten marktwirtschaftlichen Handelns unter Abschaffung von Privi-legien öffentlich zu thematisieren und auf Änderung zu drängen.

Warum setzt Rot-Grün auf Nichtpolitik?

In einem Interview äußert der Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der erste Versuch, das Atomgesetz zu ändern, sei im Kern daran gescheitert, daß die Industrie damit gedroht habe, das Bündnis für Arbeit aufzukündigen und auf der anderen Seite die ÖTV mit Ar-beitskämpfen der Belegschaft drohte.
Darüber hinaus ist zu sehen, die Energiekonzerne spielen in der ersten Liga der deut-schen Wirtschaft und sind vielfältig mit Banken und Versicherungen verflochten. Die vier größten Energieunternehmen sind darüber hinaus nicht nur strukturprägend für die Stromversorgung, sie üben auch wachsenden Einfluß auf die gesamte Infrastruktur aus. Durch Aufkäufe, Beteiligungen oder Übernahmen bei Tankstellen, Raffinerien, Abfallbe-trieben, in der Telekommunikation sowie Baufirmen und Flughäfen bauen sie ihre Marktmacht immer mehr aus. Der "Spiegel" sah Deutschland Mitte der 90er Jahre im Griff der Energiekonzerne. Franz Alt schreibt, ein Sprecher der Bundesregierung sagte einmal, die Melodie der deutschen Politik werde von 10 deutschen Konzernen kompo-niert. Die Dirigenten in Bonn (nun in Berlin) können an diesen musikalischen Vorgaben nichts Wesentliches ändern. An anderer Stelle macht Alt am Beispiel des Landtages in Nordrhein-Westfalen kenntlich, wie verfilzt auch die Politik mit der Energiewirtschaft zum Teil ist. Er schätzt, dort stehen ungefähr 30% der Abgeordneten in Dienst und Sold der Energiewerke. Es ist zu vermuten, daß es so eine "Fraktion" auch im Bundestag gibt, vom Bundeswirtschaftsminister weiß man, daß er jahrzehntelang Atomenergiemana-ger war. Aus dem Pressebild heraus ist ersichtlich, er hat viel Einfluß auf die Gestaltung des Atomkonsens genommen, sicherlich nicht in einem Sinne, die seine früheren und viel-leicht auch künftigen Mitstreiter verärgert hätte. Natürlich können wir hier nur einzelne Indizien und Gesamthinweise sehr unvermittelt zusammentragen; welche Personennetz-werke und internen strukturellen Problemlagen im einzelnen am Atomkonsens Hand an-gelegt bzw. darauf gewirkt haben, müßte man genauer analysieren und führt über die Möglichkeiten dieser Arbeit hinaus. Sicher kann man nur sagen, daß der Atomkonsens so aussieht, wie er aussieht, hängt mit den eben angedeuteten plutokratischen "Errungen-schaften" zusammen. Eine zweite Vermutung, die man auch haben kann, ist, daß es keine funktionierende Gegenstruktur der parlamentarischen Anti-Atom-Kräfte im Parlament gibt, sie jedenfalls effektiv nicht zum Zuge kam.

Die Endlagerung: Der Ausstieg nach dem Ausstieg

Selbst wenn alle atomaren Reaktoren abgeschaltet sind und kein Atomstrom von Frank-reich oder anderen Ländern mehr eingeführt wird, so ist dies wohl erst eine Zwischen-etappe beim Ausstieg aus der Atomenergie. Unmittelbar sind damit zweifelsohne eine Reihe Probleme in ihrer Fortsetzung gestoppt. So die vielfältigen Belastungen, die aus dem Uranabbau herrühren, der notwendig ist für Herstellung der Brennstäbe. Ebenso würden die Gefahren aus der Niedrigstrahlung beim Betrieb der Kraftwerke abgebaut. An vielen Standorten lassen sich inzwischen sogenannte Leukämiecluster aufzeigen, wo also verschiedene Krebserkrankungen besonders gehäuft im Umfeld feststellbar sind. Und eine Kernschmelze im Reaktor wäre nach der Stillegung auch nicht mehr möglich und somit das gefährlichste Potential gebannt.
Die Endlagerung des Atommülls allerdings gestaltet sich zu einem Flugunternehmen, für das es keinen Landeplatz gibt. Einige Bestandteile des radioaktiven Mülls erreichen bereits nach wenigen Jahrzehnten ihre Halbwertzeit. Das heißt, die Hälfte der ursprünglich vor-handenen Atome des Stoffs ist dann zerfallen. Andere dagegen wie zum Beispiel Plutoni-um erreichen diesen Zustand erst nach 24400 Jahren, Neptunium braucht sogar 2 Millio-nen Jahre und Jod 129 12 Millionen Jahre. Oft wird angenommen, mit dem Erreichen der Halbwertzeit wäre schon ein Stadium in Sicht, in dem der Müll ungefährlich würde. Herbert Gruhl macht darauf aufmerksam, erst wenn die Aktivität auf 1/1000 abgeklungen ist, kann die Strahlung vernachlässigt werden, liegt also nahe Null. Das bedeutet die radio-aktiven Stoffe müssen für 10 Halbwertszeiten unter sicheren Verschluß, man muß also die oben angegebenen Zeiten mit 10 multiplizieren. Eine Endlagerung muß also eine Sicherung über viele Millionen Jahre darstellen, praktisch also geologische Zeiträume um-fassen. Das dicke Ende des Ausstiegs kommt also erst noch.
Zunächst müssen die Castoren bis zu 50 Jahre zum Abklingen zwischengelagert werden. Bislang hatte man wohl den Plan, die Castoren dann in der Pilotkonditionierungsfabrik (PKA) in Gorleben in einer heißen Zelle zu öffnen, die Brennstäbe so zu zerschneiden und zu verpacken, daß sie endlagerfähig sind , wenngleich die Kriterien dafür durchaus noch offen sind, weil die davon abhängen, ob in Salz, Granit oder Ton etc. eingelagert wird. Ob an diesem Vorhaben festgehalten wird, muß sich noch zeigen, denn auch die PKA würde große Mengen Radioaktivität freisetzen, möglicherweise in Größenordnun-gen, wie das z.B. von La Hague bekannt ist.
Im Koalitionsvertrag hat Rot-Grün festgehalten, man wolle ein einziges Lager für alle Arten von Atommüll in tiefen geologischen Formationen schaffen. Es sollen mögliche Standorte mit unterschiedlichem Wirtsgestein geprüft werden und anschließend auf Grund eines Standortvergleichs eine Auswahl getroffen werden. Da Zweifel an der Taug-lichkeit als Endlager bestehen, sollen die Erkundungsarbeiten in Gorleben unterbrochen werden. In der Vereinbarung zwischen Atomindustrie und Regierung liest sich dies in der Anlage 4 doch etwas anders: Dort stellt man fest, daß man ein Moratorium für mindes-tens 3 und höchsten 10 Jahre bei der Erkundung des Salzstocks einlegen will, was aber nicht bedeutet, man gebe den Standort Gorleben für ein Endlager auf. Begründungsbe-dürftig ist dann aber, warum man im Koalitionsvertrag das bisherige Entsorgungskonzept für vollständig gescheitert hielt.
Zunächst soll hier noch mal auf die Problematik des Salzstocks Gorleben eingegangen werden. Wäre es nach geologischen Kriterien gegangen, so hätten sich eine ganze Reihe von Salzstöcken gefunden, deren Eignung eher in Frage gekommen wären. Die Entschei-dung war politisch motiviert, das Endlager direkt an der Grenze zur damaligen DDR zu plazieren, überdies ließ sich die Landspitze in den Osten hinein bei Notfällen sehr gut abriegeln, das Wendland ist zudem nur dünn besiedelt.
Einer Eignung steht entgegen, daß es im Gorlebener Salzstock eine sogenannte quartäre Tiefenrinne von 25 km Länge gibt. Bis auf über 400 Meter Tiefe trifft man Sande aus diesem Schmelzwasserstrom an, der in der Elstereiszeit entstanden ist, als 1000 bis 1500 Meter hohe Eisgletscher über dieses Gebiet hinwegfuhren und dann tauten. Damit ist davon auszugehen, daß die tonige Deckschicht, die als Sperre wichtig ist, in erheblichen Teilen zerstört ist. Die Folge ist, wasserführende Schichten können in Salzwasse-raufstromgebieten Radionuklide bis zur Biosphäre hinauf befördern. In einigen Gebieten um den Salzstock herum ist Salzwasser schon wenige Meter unter der Erdoberfläche an-zutreffen. Angesichts der Lagerzeiträume ist es nur ein Frage der Zeit, wann die Radioak-tivität die Biosphäre verseucht. Offenbar auch einbeziehen muß man, daß bei der Si-cherheit auch mitbedacht wird, ob so ein Endlager auch Eiszeiten übersteht, mit den viel-fältigen Einflüssen, die damit verbunden sind. Arktische Verhältnisse waren in der ver-gangenen Million Jahre in Mitteleuropa die Norm, dabei gab es 5 "Super-Kaltphasen" mit 2-3 Gletscherüberfahrungen, die jetzigen Temperaturverhältnisse zählen eher als Aus-nahme.
Als außerordentlich problematisch für die Lagerung von wärmeentwickelndem hochra-dioaktivem Müll in Salz hat sich herausgestellt, daß die Strahlung den Molekularaufbau des Salzes verändert, es entstehen Freiräume, sogenannte Voids, die ihrerseits bei Tempe-raturen schon ab unter 100 Grad zur explosiven Zersetzung des Salzes führen. Da überdies unklar ist, welche Zusammensetzung der radioaktive Müll im Endlager haben wird, die Mischungen verändern sich ständig durch den Zerfallsprozeß und chemische Reaktio-nen, die dabei herrschenden Temperaturen können nur bedingt abgeschätzt werden, ist es sehr riskant, Atommüll in Salz zu lagern. Die Explosionsgefahr, die auch im Versuch klar nachgewiesen wurde, verweist darauf, daß die Lagerung in Salz nicht zu verantworten ist. Überdies empfehlen die niederländischen Forscher vom Laboratorium für Feststoffphysik der Universität in Groningen, andere stabile Feststoffe, in denen endgelagert werden soll, daraufhin zu untersuchen, ob die Beobachtungen, die für Salz gemacht wurden, auch bei anderen Isolierstoffen Schäden hervorrufen, die bisher noch nicht bekannt sind.
Bei der Salzlagerung ist zu berücksichtigen, Salz ist nicht durchlässig für Gase, die im Endlager entstehen können, der Berstdruck könnte zu hoch werden. Wasser jedoch kann Salz sehr viel schneller durchdringen als das übrige Gestein, im Gegensatz zu bisherigen Annahmen. Es hat keine Barrierefunktion. Im Endlager eindringende wässrige Lösungen erfordern auf Grund der Korrosivität sehr hohe Anforderungen an die Behälter.
Auch die Endlagerung in Granit oder Tonen hat nicht nur Vorteile aufzuweisen. Tone wie Granit sind thermisch sensibel, die Castoren müssen in den Zwischenlagern länger abklingen, damit die Eigenwärmeentwicklung abnimmt. Tone können wasserführende Sandschichten enthalten, überdies ist bislang wenig bekannt über das Transportverhalten von Radionukliden in Tonschichten. In Granit können große Klüfte mit hoher Durchläs-sigkeit und sehr kurzen Laufzeiten bis zur Biosphäre vorhanden sein. Da die Hohlräume eine große Stabilität besitzen, wäre aber in diesem Fall prinzipiell die Rückholbarkeit des Atommülls gegeben.
Dieser kleine Ausflug in die Problematik der Endlagerbeschaffenheit war notwendig, denn daraus lassen sich für die Politik ein paar wichtige Schlüsse ziehen. Ungeachtet der Tatsache, daß weiter nach den optimalsten Bedingungen für die Endlagerung geforscht werden sollte, kann man festhalten, es ist vermutlich nicht zu verhindern, daß im Verlauf der mehrere Millionen Jahre dauernden Lagerperiode für den Müll, Radionuklide an die Oberfläche gelangen und dort die Lebenstätigkeit gefährden. Global gesehen wäre es davon ausgehend durchaus sinnvoll, den anfallenden hochradioaktiven Müll nicht an unzäh-ligen nationalen Standorten zu vergraben, sondern an ein bis zwei internationalen Stand-orten, wo bei der Ausstattung des Endlagers maximale Barrierefunktionen vorhanden sind und die finanziellen Ressourcen eines internationalen Projektes zum Zuge kommen. Sinnvoll wird sein, einen Ort zu finden, der im weiten Umkreis nicht bewohnt ist, viel-leicht im Umkreis von 100 Kilometern, also zum Beispiel Wüstengebiet. Bei den Zeit-räumen, mit denen wir es hier zu tun haben, besteht natürlich die Gefahr, daß die Wüste bei Verschiebungen von Klimazonen nicht Wüste bleibt, wohl aber in der Zeit, in der die Radionuklide am aktivsten strahlen.
Die Lagerstätte sollte in internationaler Verantwortung betrieben werden und nicht allein dem betreffendem Land, in dem der Standort sich befindet, obliegen. Die politische Ver-faßtheit des Staates wird man berücksichtigen müssen, dies kann aber nur ein sehr be-grenztes Kriterium für die Suche sein, weil sich schon innerhalb sehr kurzer Zeiträume diese Bedingungen völlig verändern können. Prinzipiell sollte der atomare Müll rückholbar sein, um bei unvorhergesehenen Problemen mit der Lagerung reagieren zu können. Das macht die vorhin erwähnte Option, die Einlagerung in Granit, besonders naheliegend. Als Argument für eine Nichtrückholbarkeit könnte man anführen, daß so in späteren Generation mit den Materialien kein Mißbrauch betrieben werden kann, dennoch scheint mir die Vorsorgefunktion im obigen Sinne die weitreichendere Sicherheitsphilosophie zu haben.
Unterbunden werden müssen Entwicklungen, die dazu führen, daß die reichen Industriestaaten für viel Geld ihre atomaren Altlasten einfach weniger bemittelten Ländern über-lassen, egal welche Sicherheitsstandards dort umgesetzt werden. So hat zum Bespiel Rußland entschieden, größere Mengen Atommüll aufzunehmen. Taiwan, Südkorea und die Schweiz bekundeten Interesse an einer Lieferung. Das dürfte ein Türöffnereffekt auch für andere Staaten sein. So könnten auch Tschechien, Bulgarien, Spanien und China dazustoßen.
Umweltgruppen aus der Ukraine berichteten kürzlich (August 2001) auf einer Veranstal-tung im Wendland während des Anti-Atom-Sommercamps, die BI Lüchow-Dannenberg hatte sie eingeladen, daß auch die Ukraine ebenfalls erwäge, das Importverbot für Atommüll aufzuheben. Als Endlager werden gehandelt ein Salzstock bei Artemowks, aber auch im Gebiet um Tschernobyl denkt man über Endlagerung nach. Mir geht es hier nur noch mal darum hervorzuheben, daß es absolut keine Lösung sein kann, den radioaktiven Müll zu exportieren, wenn die Lagerung in einem nationalen Endlager sicherer ist oder gleich sicher ist wie anderswo. Allerdings scheint es mir auf Grund der bereits erwähnten Um-stände die beste Lösung zu sein, in sehr weiträumig nicht bewohnten Gebieten eine Lage-rung in Erwägung zu ziehen. Klar ist: Eine absolute Sicherheit wird es bei der Endlage-rung nicht geben, eigentlich hätte der Atommüll nie produziert werden dürfen.

Kurzes Resümee

Mit dem Atomkonsens in Deutschland wurden lediglich die durchschnittlichen Betriebs-laufzeiten der Kernkraftwerke festgelegt und dies angesichts der politischen Gegenposi-tionen der CDU bei einem Regierungswechsel auch nur provisorisch, denn die CDU will die Atomkraftoption offen halten. Selbst die Signalwirkung für andere Staaten mit Atom-kraftwerken, aus dieser Energieerzeugungsart auszusteigen, ist eher marginal, da sich die Anlagen betriebswirtschaftlich ohne hohe Staatssubventionen (einschließlich der Stille-gung und der Endlagerung) marktwirtschaftlich nicht mehr rechnen. Das Ende der Atomkraft hätte mit einem Entzug staatlicher Privilegien (Steuerfreiheit der Rückstellungen, Bezahlung für die Sicherung der Atomtransporte, Besteuerung der Brennstäbe u.a.) sehr viel schneller herbeigeführt werden können, insofern ist die internationale Vorbildfunkti-on begrenzt. Der seit etwa 25 Jahren schwelende Konflikt zwischen Staat und Anti-Atom-Bewegung wird sich unvermindert fortsetzen, die Regierung hat die Interessen der Indust-rie höher bewertet als die starken Mehrheiten in der Bevölkerung, die sich für einen sofor-tigen Atomausstieg aussprechen. Der Atomkonsens ist faktisch Politikersatz und soll sug-gerieren, die Regierung habe den Atomausstieg eingeleitet, was aber gar nicht dem Stand der Dinge entspricht. Sie hat zwar den Bau von Atomkraftwerken verboten, Neubauten hatte aber die Industrie auch gar nicht mehr vor, da sich etwa mit hocheffizienten Gas-kraftwerken viel besser Geld verdienen läßt, ein Aspekt, der seit dem Fall der Gebietsmonopole von Stromproduzenten und der Liberalisierung des Strommarktes für Investoren unbedingt zu beachten ist.