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Kann
die Klimabewegung stärker werden?
Marko Ferst meint, RWE und die Große Koalition müssen
in die Schranken gewiesen werden
Höchst dankbar muss die Zivilgesellschaft den vielen, oft jungen
Baumbesetzern sein, die mit Mut und erheblichem Durchhaltewillen im Hambacher
Wald denen die Stirn bieten, die gerade unsere planetare Zukunft verzocken.
Die Szenerie erinnert an den erfolgreichen Widerstand in Wackersdorf
oder Gorleben gegen die Atomkraft. Schon mehrere Jahre übt zudem „Ende
Gelände“, europäisch vernetzt, an den Tagebauen im Rheinland,
in Mitteldeutschland und der Lausitz zivilen Ungehorsam. In NRW stehen
sehr viele alte, ineffiziente Braunkohlekraftwerke und das Bundesland
muss als größter Emittent schneller abschalten als andere.
Dabei ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung noch am einfachsten zu
bewältigen, im Verkehr, bei Wärme und Industrieprozessen warten
viel schwierigere Herausforderungen.
Aktuell werden global rund 36 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr ausgestoßen,
Tendenz noch immer steigend. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf meint,
das Pariser Klimaabkommen sei 20 Jahre zu spät gekommen. CO2 bleibt
Jahrhunderte in der Atmosphäre erhalten. Will man die zwei Grad
globale Temperaturerhöhung nicht überrennen, hat man noch geschätzt
600 Milliarden Tonnen. Dieses Budget wäre bei jetzigem Emissionsstand
um 2035 aufgebraucht. Es sind also sofort erhebliche Reduzierungen von
Klimagasen nötig, um nicht unwiderruflich als Zivilisation in einer
Heißzeit unterzugehen. Frappierend ist, wir müssen weltweit
spätestens innerhalb von drei Jahrzehnten bei Null Emissionen ankommen,
eine kaum noch lösbare Aufgabe. Ob freilich das Klima bei zwei Grad „geparkt“ werden
kann, ist keineswegs sicher. Sobald wiederholt Dürren ganze Ernten
vernichten, wird schnell der existenzielle Ernst der Lage offenkundig.
Jahrelang verschleppten Union und SPD den Ausstieg aus der Kohle und
bremsten die erneuerbaren Energien aus. Der Abschaltplan des Umweltverbandes
BUND sieht vor, bis 2020 die Hälfte der Kohlekraftwerke vom Netz
zu nehmen, die ältesten zuerst. Mit diesem Einschnitt könnte
die Regierung ihr selbstgestecktes Klimaziel noch erreichen. Derzeit
wird bereits über neun Prozent des Stroms ins Ausland exportiert
aus Überangebot. Man wird Geld für die Beschäftigten und
betroffenen Regionen bereitstellen müssen, Anreize für Investitionen
in eine neue, flexiblere Infrastruktur sind erforderlich.
Bislang unterstützten 800.000 Menschen mit ihrer Stimme die Forderung
von Campact, BUND und Greenpeace für den Erhalt des Waldes an die
Politik. Die schiere Menge zeigt, es bewegt sich etwas. Am Samstag, den
6. Oktober, bietet sich für alle die Gelegenheit, ein unübersehbares
Stoppzeichen in Buir unweit von Köln zu setzen. Da sich großer
Zuspruch abzeichnet, wurde die zentrale Protestveranstaltung ab 12 Uhr
auf eine Fläche an der Waldkante verlegt. Zudem treten bekannte
Künstler auf. Schon Ende Oktober wird „Ende Gelände“ erneut
in Masse aktiv am Tagebau, ein Sonderzug ab Prag über Berlin nach
Köln kommt zum Einsatz.
Spannend ist, gelingt es der Bewegung, die Politik zu einem schnelleren
Kohleausstieg zu zwingen? Längst hätte man den Energieverbrauch
in den vergangenen Jahrzehnten halbieren können, wäre die schon
in den 90er Jahren diskutierte ökologische Steuerreform schrittweise
umgesetzt worden, sozial ausbalanciert. Bis jetzt brachte man nicht einmal
eine CO2-Steuer zuwege, nur Emissionshandel als Alibi. Statt 36 Prozent
erneuerbarem Strom aktuell, läge mit weit höherer Energieeffizienz
die vollständige solare Versorgung bereits in Reichweite.
Die echten Ökostromanbieter wie Naturstrom, Greenpeace Energy u.
a., oft preiswerter als der regionale Anbieter, verzeichnen aktuell einen
deutlichen Zulauf an Stromkunden zulasten von RWE-Gesellschaften und
E.ON. Wechseln zu 100 Prozent erneuerbarem Strom ist praktizierter Widerstand,
gezieltes Divestment von Kommunen u. a. gehört dazu, ebenso wie
neue Solaranlagen auf dem Dach.
Noch stößt RWE hierzulande 142 Millionen Tonnen CO2 aus und
pokert jetzt um möglichst hohe Entschädigungssummen auf Kosten
der Steuerzahler. Vermutlich nur eine Lektion wie beim Boykott des Multi
Shell, könnte die Arroganz in der RWE-Chefetage erschüttern.
Die Klimabewegung muss sich gut wappnen. Die Kohlelobbyisten in Union
und SPD werden mit allen Mitteln versuchen, den Kohleausstieg hinauszuzögern.
Die Kohlekommission mit sehr divergierender Besetzung kann das Interessenpatt
nicht auflösen. Sollte es der AfD mittelfristig gelingen, reale
Machtoptionen zu gewinnen, drohen von ihr harte antiökologische
Impulse.
Eine stärkere Klimabewegung entsteht auf Dauer nur, wenn es aktive
Resonanz und Unterstützung aus großen Bevölkerungsteilen
gibt. Absehbar wird die Planetenphysik die faulen Kompromisse in Politik
und Wirtschaft hinwegfegen. Aber auch jeder Einzelne muss sich fragen,
ob er zu spät für unsere Kinder und Enkel eingetreten ist.
mehr Informationen zur Demonstration: https://www.stop-kohle.de
neues deutschland, 5.10.2018 (leicht längere Version)
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