von Erich Fried

 

Der Guacharo

 

Das Wort heißt "Er tauert und schreit"
Die Indios in Venezuela
hatten Angst vor dem Höhlenvogel:
"Darufen unsere Toten
Aus diesen Höhlen
kommen wir nie mehr heraus
Wenn wir den Rufen nachgehen
müssen wir sterben"

Die Missionare nannten die Schreie der Geister
heidnischen Aberglauben
und brachten Licht in die Höhlen
Da fanden sie den Guacharo
Er lebt im Dunkeln
und vermeidet die Höhlenwände
durch den Widerhall seines Schreis

Seine Jungen sind dick und rund
Die furchtlos gewordenen Indios
füllen Säcke mit ihnen
und sieden das Fett aus den Leibern
zum Kochen und
als Öl für Höhlenlampen
um mehr Guacharojunge
zum Kochen zu finden

Alexander von Humboldt
nannte den Höhlenbewohner
Ölvogel
weil seine Jungen Öllampen speisen
dank dem Lichte der Aufklärung
welches die Priester brachten
in die Finsternis des Guacharo
Er stirbt jetzt aus


aus: Erich Fried; Gesammelte Werke, Band 1, Seite 609 f.


 

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