Ein Ökodorf in Kolumbien

Von einem Projekt, das die Welt neu erfindet

Von Marko Ferst


Hierzulande findet sich z.B. das Ökodorf Siebenlinden auf der Suche nach einer enkeltauglichen Lebensweise oder das Bioenergiedorf Jühnde, das sich mit Wärme und Strom selbst versorgt. In Kolumbien gibt es Gaviotas. 1971 von Paolo Lunari ins Leben gerufen, besteht der Öko-Weiler mit rund 200 Menschen nach wie vor. Doch die Bedingungen in der Llanos, einer savannenartigen Landschaft, sind denkbar schwierig. Auf dem wenig fruchtbaren, sauren Boden wachsen weder Weizen noch Hülsenfrüchte. Die Fahrwege in die 200 Kilometer entfernte Hauptstadt Bogotá sind zeitweise unpassierbar.
Jene jahrzehntelangen Konflikte zwischen Militär und Guerilla in Kolumbien überstand der Ort als waffenfreie Zone. Die FARC plakatierte schon mal über Nacht das Dorf mit ihren Flugblättern. Von der Gegenseite wurden Siedlungen, die im Verdacht standen mit der Guerilla zu sympathisieren, dem Erdboden gleichgemacht. Von Anfang an hielt Gaviotas engste Verbindungen zu Universitäten. Das UN-Entwicklungsprogramm gab zeitweise Gelder für die Modellgemeinde. Die Akteure wollten keine Lösungen aus Europa oder den USA kopieren und damit deren Probleme, sondern eigene Lösungen finden. Langlebige, wartungsarme Technik, die sich mit geringem finanziellen Aufwand einsetzen ließ, waren gefragt.
So wurden z.B. leichte Windräder entwickelt, die sich auch in den windarmen Gebieten am Äquator noch drehen und zugleich die häufigen Buschfeuer überstehen konnten. Anlagen für Solarwärme aus Gaviotas verbaute man an zahlreichen Orten in Kolumbien. Ebenso kamen effiziente Wasserpumpen in zahlreichen Dörfern der Gegend zum Einsatz, manche davon sind noch heute in Betrieb. Diese funktionierten mit einer Wippe, brauchten keinen Strom oder Diesel und konnten dank spezieller Konstruktion besonders tiefe Grundwasserschichten anzapfen. So wurden die Menschen seltener krank und konnten ihre Kühe auch über die Trockenzeit hinwegbringen. Zahlreiche größere und kleinere technische Erfindungen gehen auf das Konto der Ingenieure in Gaviotas.
Es gab auch den ein oder anderen Mißerfolg zu verbuchen, die Krankenstation mußte wieder aufgegeben werden. Irgendwann flossen keine Fördergelder für Forschung und Entwicklung mehr. Die kleine Gemeinde mußte nach Lösungen suchen, wie das Auskommen aller Bewohner gesichert werden konnte. Geplante weitere Ableger der Siedlung kamen nicht zustande. Anfang der 1980er Jahre hatte Gaviotas begonnen karibische Kiefern zu pflanzen. Das Harz dieser Bäume, selbst verarbeitet, wurde zur neuen Einkommensquelle und rettete die Existenz des Dorfes. Inzwischen wurden viele hunderttausend Bäume gesetzt, in dessen Unterholz sich tropische Gewächse angesiedelt haben. Das lokale Klima veränderte sich dadurch. Afrikanische Palmölbäume liefern etwas Biodiesel. Mineralwasser wird abgefüllt und verkauft. Gaviotas, der spanische Ausdruck für Möven, jenes Dorf fand immer wieder Wege sich selbst zu erhalten. Alan Weisman zeichnete in seinem gleichnamigen Buch, die Geschichte dieses ungewöhnlichen Projekts von den Gründertagen bis heute nach. Dank seines überaus interessanten Bestsellers „Die Welt ohne uns“ wurde jetzt auch „Gaviotas“ ins Deutsche übertragen. Einen plastischen Eindruck kann man durch zahlreiche Fotos gewinnen, die auf der Webseite des sozial-ökologischen Projektes zu finden sind.

http://www.centrolasgaviotas.org/Galeria.html
Alan Weisman: Gaviotas. Ein Dorf erfindet die Welt neu, Piper Verlag, 2012, 384 Seiten, 19,99 €

6.11.2012, Neues Deutschland

www.umweltdebatte.de