Zettelkasten
Erich
Fromm
Sozialpsychologe,
Gesellschaftskritiker, am 23.3.2000 jährte sich sein Geburtstag zum 100.
mal, Zitate aus: „Haben oder Sein“ und Gesamtausgabe in zwölf Bänden
Das
sogenannte Pflichtgefühl jedoch, wie es von der Reformation bis heute
in seinen religiösen und weltlichen Rationalisierungen das gesamte Leben
der Menschen durchdringt , ist stark von Feindseeligkeit gegen die eigene
Person gefärbt. Das „Gewissen“ ist ein Sklaventreiber, den der Mensch
in sich selbst hineingenommen hat. Es stachelt ihn an zu Wünschen und
Zielen, von denen der Betreffende glaubt, es seien seine eigenen, während
es sich tatsächlich um die Internalisierung äußerer, gesellschaftlicher
Anforderungen handelt. Die Religion des Industriezeitalters stützt sich auf einen neuen Gesellschafts-Charakter, dessen Kern aus folgenden Elementen besteht: Angst vor mächtiger männlicher Autorität und Unterwerfung unter diese, Heranzüchtung von Schuldgefühlen bei Ungehorsam, Auflösung der Bande menschlicher Solidarität durch die Vorherrschaft des Eigennutzes und des gegenseitigen Antagonismus. „Heilig“ sind in der Religion des Industriezeitalters die Arbeit, das Eigentum, der Profit und die Macht, obwohl sie – in den Grenzen ihrer allgemeinen Prinzipien – auch den Individualismus und die persönliche Freiheit förderten. Das
oberste Ziel des Marketingcharakters ist die vollständige Anpassung, um
unter allen Bedingungen des Persönlichkeitsmarktes begehrenswert zu sein.
Der Mensch dieses Typus hat nicht einmal ein Ich, an dem er festhalten
könnte, das ihm gehört, das sich nicht wandelt. Denn er ändert sein Ich
ständig nach dem Prinzip: „Ich bin so, wie du mich haben möchtest.“ Menschen
mit einer Marketing-Charkterstruktur haben kein Ziel, außer ständig in
Bewegung zu sein und alles mit größtmöglicher Effizienz zu tun. Die
Voraussetzung für die Existenzweise des Seins sind Unabhängigkeit, Freiheit
und das Vorhandensein kritischer Vernunft. Ihr wesentlichstes Merkmal
ist die Aktivität, nicht im Sinne von Geschäftigkeit, sondern im Sinne
eines inneren Tätigseins, dem produktiven Gebrauch der menschlichen Kräfte.
Tätigsein heißt, seinen Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher
Gaben Ausdruck zu verleihen, mit denen jeder – wenn auch in verschiedenem
Maß – ausgestattet ist. Es bedeutet, sich selbst zu erneuern, zu wachsen,
sich zu verströmen, zu lieben, das Gefängnis des eigenen isolierten Ichs
zu tranzendieren, sich zu interessieren, zu lauschen, zu geben. Der
Weg der Liebe ist dem Weg der Gewaltausübung entgegengesetzt. Liebe versucht
zu verstehen, zu überzeugen, zu beleben. Aus diesem Grund verwandelt sich
der liebende ständig selbst. Er spürt mehr, beobachtet mehr, ist produktiver,
ist mehr er selbst. Liebe bedeutet weder Sentimentalität noch Schwäche.
Sie ist vielmehr eine Methode, etwas zu beeinflussen
und zu verändern, ohne daß es zu den gefährlichen Nebenwirkungen
wie bei der Gewaltanwendung kommt. Anders als bei der Gewalt, setzt Liebe
Geduld, innere Anstrengung und vor allem Mut voraus.
Die
frühen Sozialisten und Kommunisten von Marx bis Lenin hatten keine konkreten
Pläne für eine sozialistische
oder kommunistische Gesellschaft; das war die große Schwäche des Sozialismus.
Neue Gesellschaftsstrukturen, die die Grundlage des Seins bilden sollen,
bedürfen vieler Entwürfe, Modelle, Studien und Experimente, die geeignet
sind, die Kluft zwischen dem Möglichen und dem Notwendigen zu überbrücken.
Für
den Sozialismus ist nicht nur Armut, sondern auch der Reichtum ein Verhängnis.
Die materielle Armut beraubt den Menschen der Grundlage für ein menschlich
reiches Leben. Der materielle Reichtum korrumpiert den Menschen, ebenso
wie die Macht. ... Der Sozialismus möchte, daß der materielle Wohlstand
den echten Zielen des Lebens dient, er lehnt den individuellen Reichtum
als eine Gefahr für die Gesellschaft wie auch für den einzelnen ab. ...
Logischerweise zielt der Kapitalismus auf einen ständig wachsenden materiellen
Reichtum, während der Sozialismus eine ständig wachsende menschliche Produktivität,
Lebendigkeit und ein immer größeres menschliches Glück zum Ziel hat und
materiellen Komfort nur soweit anstrebt, wie dieser seinen humanen Zielen
förderlich ist.
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