Erich Fromm heute


RAINER FUNK


Aus Anlaß des 100. Geburtstags Erich Fromms am 23. März 2000 stellen sich die dreizehn Autoren dieses Bandes die Frage, welche Aktualität die Erkenntnisse Erich Fromms an der Schwelle zum dritten Jahrtausend haben. Der Blick richtet sich deshalb nicht zurück auf Fromms Leben, vielmehr wollen sie verdeutlichen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse und humanistischen Überzeugungen Fromms für die Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaft von bleibender Bedeutung sind. Die Autoren kommen aus den verschiedensten Wissenschaftszweigen und sind seit Jahren mit dem Werk Fromms befaßt. Viele haben über das Denken Fromms promoviert und sich durch Veröffentlichungen als Kenner seines Werkes ausgewiesen. Sämtliche Beiträge wurden eigens für diesen Band verfaßt.
In einem ersten Teil zeichnet zunächst Rainer Funk den Weg nach, wie Fromm zu seinem Verständnis von Psychoanalyse der Gesellschaft kam und erhebt seine Bedeutung für die Gegenwart am Beispiel der heute allgegenwärtigen Marketing-Orientierung. Gerd Meyer zeigt am Beispiel einer an Fromm orientierten sozialpsychologischen Studie über Gesellschafts-Charakterorientierungen von LehrerInnen in Ost- und Westdeutschland nach der Wende ("Die Charaktermauer") Ertrag und Relevanz, aber auch offene Fragen des Frommschen Ansatzes auf. Helmut Johach befaßt sich, ausgehend von Fromms deutsch-jüdischer Biographie, vor allem mit den praktischen Konsequenzen seiner humanistischen Grundhaltung und zieht Verbindungslinien zur aktuellen politischen Situation.
In einem zweiten Teil wird Fromms Aktualität unter der Perspektive von Pädagogik und Sozialer Arbeit erhoben. Burkhard Bierhoff untersucht den Einfluß sich verändernder Sozialisationsbedingungen auf den Gesellschafts-Charakter der heutigen jungen Generation. Helmut Wehr stellt dar, wie sich die Rollen von Schülern und Lehrern verändern würden, wenn Fromms Biophilie-Konzept breiten Eingang in die Schule fände. Ludwig Pongratz analysiert die Einwirkungen der Marketing-Orientierung auf das Verständnis von Bildung und Weiterbildung, während Jürgen Kalcher mit Fromm die quantifizierende Sozialpsychologie und deren Wirkung auf die Soziale Arbeit kritisch hinterfragt.
Drei weitere Beiträge fragen nach der Aktualität des Frommschen Konzepts einer humanistischen Religion. Volker Frederking zeigt, in welch' radikaler Weise bereits Meister Eckhart die in Fromms Alternative von Haben oder Sein enthaltene Gesellschaftskritik vorweggenommen hat. Während Jürgen Hardeck die Unterscheidung von autoritärer und humanistischer Religion für ein undogmatisches, mehr auf "Seelsorge" zielendes Religionsverständnis fruchtbar zu machen versucht, fragt Jan Dietrich mit Fromm in sozialpsychologischer Perspektive nach der Religion und der Funktion, die der Gesellschafts-Charakter für die Religion in ihrer historischen Verfaßtheit hat.
Die drei abschließenden Beiträge zeigen beispielhaft die gesellschaftspolitische Relevanz und Aktualität des Frommschen Denkens auf. Carsten Schmidt untersucht am Beispiel von Martin Walsers Rede in der Paulskirche am 11. Oktober 1998 Elemente der Angst, des individuell wie kollektiv Verdrängten oder des "gesellschaftlichen Unbewußten" (Fromm) im Umgang mit der NS-Vergangenheit. K. Peter Fritzsche greift die in Fromms Buch Die Furcht vor der Freiheit entwickelten Grundgedanken der Flucht vor der Freiheit auf und illustriert, wie Modernisierung und der gegenwärtige Systemwechsel zwar neue Freiheiten ermöglichen, aber auch zu "sozialem Stress" führen. Rainer Otte schließlich reflektiert die Globalisierung im Lichte von Fromms Aussage, daß das physische Überleben der Menschheit von einer "radikalen seelischen Veränderung des Menschen" abhängt, und sucht Grundzüge einer Weltwirtschaftsethik zu entwickeln.

herausgegeben von Rainer Funk, Helmut Johach und Gerd Meyer, 256 Seiten

Erich Fromm heute. Zur Aktualität seines Denkens

 

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