DIE UMWELT HABEN ODER IM OIKOS SEIN?

 

 

 

Reimar Gilsenbach

 

 

 

Wer marktschreierisch für Umwelt und Ökologie wirbt, muß längst nicht wissen oder zugeben, wovon er redet.  Beide Begriffe sind zu Worthülsen verkommen, die uns des Denkens entheben.  Hinterfragt und auf den Sinn gebracht, gehört Umwelt zur Ideologie des Habens, der Oikos (Haushalt) dagegen zur Daseinsform des Seins.

Meine eigene Umwelt kann ich nicht sein.  Sie ist etwas um mich herum, etwas außer mir, kein Teil von mir.  Nur in dem Maße, wie ich mich von der Welt abgrenze, wird sie mir zur Um-Welt.  Verfüge ich über Kapital, dann kann ich Eigentum an der Umwelt erwerben: Äcker und Wälder, Wohngrundstücke, Bodenschätze.  Erst als Immobilie erhält die Umwelt also ihren Wert im sozialen System des Kapitalismus.  Eben weil die Umwelt als Boden, als Bau- und Nichtbauland, als „Fläche“ systemimmanent verfügbar und „privatisierbar“ zu sein hat, bedarf sie des Know Hows der Manager, des technischen Wissens, der kalkulierbaren Wachstumskonzepte, der ökonomischen Strategien.  In einem Oikos, einem Haushalt, lebe ich; mein ganzes Sein mit Haut und Herz und Hirn gehört diesem Haushalt an.  Ich existiere nicht von der Natur losgelöst, ich verstehe mich als einen Teil eben dieses Naturganzen. Oikos ist weder an Börsen zu handeln, noch in Dollarmilliarden transferierbar, noch kann er in Privateigentum verschachert werden.  Er entzieht sich den Begriffen der Technik, der Wirtschaft, er ist eher mit denen des Familienlebens faßbar: Vater und Mutter sind Glieder der Familie, nicht deren Eigentümer.  Unserem Sein im Oikos wären ethische Verhaltensmuster angemessen: Zuneigung, Liebe, Mütterlichkeit, Fürsorge, Güte, Weisheit - wir hätten sie denn!

Umwelt und Oikos verhalten sich, anders gesagt, zueinander wie Unternehmensstrategie und Parteipolitik zu Mutterliebe und Familiensinn.  In einem System, das Eigentum und Kapital in der Werteskala obenan setzt, in einem System, das von Profitstreben und Machtinteressen beherrscht wird, bleiben ökologisch und marktwirtschaftlich einander ebenso widerstreitende, ja ausschließende Begriffe wie Sein und Haben. Wer umweltgerecht denkt, versteht sich als Macher.  Für ihn sind Müll, Abwasser und Lärm technisch verursachte Umweltprobleme, die sich mit ebensolch technischen Mitteln sanieren lassen.  Dem Umweltsanierer schwand der Wortsinn von sanis (gesund) längst aus dem Hirn.  Er sieht die Umwelt nicht als heilbar, er sieht sie als manipulierbar an, Neuland für Investoren.  Erböte sich ein Arzt einen an Aids Erkrankten zu sanieren, der Patient, sich verspottet wissend, jagte ihn zum Teufel.  Umweltmanager dagegen gebrauchen eben dieses verderbte Zeit-Wort, um uns weiszumachen, jede kaputte Umwelt lasse sich heilen.  Sie selbst wissen nur zu genau: Ist ein Ökosystem erst einmal zerstört, sind Pflanzen- und Tiergesellschaften erst einmal ausgerottet, dann vermag die Technik sie ebensowenig wiederherzustellen wie einen hirnamputierten Patienten oder die ausradierte Kultur der Azteken.  Nicht einmal Gott hätte die Macht, tropischen Regenwald, sind seine letzten Reste gerodet, aus der Asche als Regenwald wiedererstehen zu lassen, es sein denn, wir gäben ihm Millionen Jahre Zeit.

Müll wird von Umweltsanierern in Müllverbrennungsanlagen „entsorgt“, Abwasser in Abwasserbehandlungsanlagen „aufbereitet“, strahlender Atomschrott in unterirdischen Hallen „endgelagert“ - die industrielle Produktion und die Vernichtung ihrer Exkremente verlaufen nach den gleichen Prinzipien, ihre Manager denken in demselben Jargon, schönfärbende Wörter kennzeichnen ihn, Tarnwörter.  Mir wird übel, denn ich habe immer noch Wörter wie Volksgemeinschaft, Endlösung und Sonderbehandlung im Ohr, gestrickt nach demselben Prinzip schönfärben, verharmlosen, das Böse, das Unheil nicht beim Namen nennen.

Erreichen Umweltprobleme das Ausmaß des Erdballs - Ozonloch, Treibhauseffekt, Bevölkerungsexplosion, Ökokollaps -, dann muß zu ihrer Sanierung global investiert werden - UN-Konferenzen, Weltbank, Gatt, Eingreiftruppen an den Golf, Blauhelme in Krisengebiete.  Ein Billiardengeschäft für die Industriestaaten, Kreditversklavung für all jene zurückgestoßenen Arme-Schlucker-Länder, die sich nie zu Nationen hinaufentwickeln werden, geschweige denn zu Industrienationen.  Das Aus für Regenwald und Korallenriff, die Ausrottung von vielen Tausend „Kulturflüchtern“ unter den Tierarten und einigen Dutzend bedrohten Naturvölkern - betrieben unter dem Tarnwort Sanierung!

Vision systemgerecht sanierter Zukunft: Umwelt, geschützt und gemanaged, hochtechnisiertes Megatopia, wo der Luxus für wenige ebenso garantiert zu sein hat, wie die bunte Ödnis der zufrieden lächelnden Mehrheit, Un-Welt, in der das Elend der Ausgeschlossenen um sich frißt.  Zerstörter Oikos, entgöttlichte Schöpfung, planetares

Disneyland - die von Menschen überquellende, entmenschlichte Erde.

 

 

Aus Reimar und Hannelore Gilsenbachs Vortrag „Natur - was ist das eigentlich? Zehn Versuche nebst vier Liedern über den Naturbegriff und sein sprachliches Umfeld.“ Unveröffentlichte Fassung 7.1.2000.

 

 

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