Viele wünschen sich Stuttgart 21-Verhältnisse

BBI-Gegner trafen sich erstmals mit den neuen Initiativen gegen Flugrouten

Marko Ferst


Mit mehr als 400 Leuten füllte sich die große Markthalle beim Schloss Diedersdorf am ver-gangenen Freitag. Erstmals fanden die langjährigen BBI-Gegner und von den neuen Flug-routen potentiell Betroffene zusammen. Eingeladen hatten gemeinsam die Schutzgemein-schaft der Umlandgemeinden und der Bürgerverein Berlin-Brandenburg (BVBB). Viele neue Bürgerinitiativen kamen hinzu, rund 40 sollen sich inzwischen gebildet haben. Vorn neben dem Podium entrollte man ein Transparent mit der Aufschrift: „Flughäfen würden Platzeck und Wowereit wählen“, ein Flieger darunter, ausstaffiert mit SPD-Emblem.
Die BVBB-Vorsitzende Astrid Bothe erklärte, wir wollen einen fairen Diskussionsprozess mit allen BIs und wir sind damit ganz am Anfang. „Sie könne gut verstehen, wie den neuen Betroffenen zumute ist.“ Diese erfuhren erst kürzlich durch den Vorschlag der Deutschen Flugsicherung, die Routen sollen direkt über ihre Köpfe hinweggehen. Erhebliche Teile des südlichen Berlins, aber auch Rangsdorf, Zeuthen u.a. würde es betreffen. Wie ND berichte-te, wusste man offenbar schon ab 1998 davon. Seit 2004 gibt es überdies eine internationale Richtlinie, die vorschreibt, Flugzeuge müssen bei zwei parallelen Bahnen beim Start min-destens 15 Grad in die jeweils andere Richtung abknicken. Das ganze Planfeststellungsver-fahren jedoch und das Leipziger Urteil basierten auf geraden Abflugbahnen. Damit konnten viele jetzt Betroffene ihre Belange überhaupt nicht geltend machen, rechtsstaatliche Abwä-gung wurde geradezu auf den Kopf gestellt. Womöglich hätte der Flughafenbau beim Ver-waltungsgericht rotes Licht erhalten, wenn die Wahrheit ans Tageslicht gekommen wäre, wurde in der späteren Diskussion geäußert.
Carl Ahlgrimm, der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft erinnerte daran, dass Schönefeld laut Studien in den 90er Jahren unter sieben Standorten der eindeutig ungeeignetste war. Er warnte davor den Widerstand zu zersplittern und rief Gemeindevertreter noch unbeteiligter Orte auf in der Gemeinschaft mitzuarbeiten. „Unsere Türen stehen offen.“
Bereits Ende August stellten BVBB und Schutzgemeinschaft ein alternatives Flugrouten-konzept vor. In einer Studie zeigte der beauftragte Experte Dieter Faulenberg da Costa auf, wenn man in einem steileren Landewinkel anfliegt - 3,5 statt 3 Grad - und etwas weiter öst-lich beim Landen aufsetzt, könnte man erheblich den Lärm mindern. Auch bei den An- und Abfluglinien seinen alternative Strecken möglich, die fast 26.000 Menschen entlasten wür-den. Allerdings käme es zu einer Verschiebung der verlärmten Gebiete, wodurch weitere ca. 11000 Menschen ent- bzw. belastet würden.
Ferdi Breidbach, ehemaliger BVBB-Chef, forderte sich vom Sankt-Florian-Prinzip zu lö-sen. „Das schafft keine Einigkeit unter den Betroffenen!“ Dafür erhielt er starken Beifall. Auch rechnet er nicht damit, dass der Vorschlag für die Routen der Deutschen Flugsiche-rung grundsätzlich verworfen wird und nur partiell Verbesserungen möglich sind. Er bot den neuen BIs Fachwissen und Hilfe an, bloßer Aktionismus bringt nicht weiter. Er stimmte sie darauf ein: „Ihr braucht viel Geld.“ Auf Nachfrage erläuterte er, für Gutachten seien bereits weit über 100.000 Euro ausgegeben worden, insgesamt im Klageverfahren 2,3 Millionen.
Breidbach forderte einen Baustopp des BBI, die bereits vorhandenen Rohbauten ließen sich in ein internationales Berliner Messe- und Konferenzzentrum integrieren. Schon ganz ande-re Großprojekte seien fertiggestellt, aber nie in Betrieb gegangen. Er erinnerte an das AKW Kalkar oder die Cargo-Lifterhalle. Sperenberg mit seinen ehemaligen Landebahnen für mi-litärische Großflugzeuge hält er nach wie vor für die bessere Alternative. Das der Verein gleichzeitig juristisch um ein maximales Nachtflugverbot kämpft, tut dem offenbar keinen Abbruch.
Michael First von der neuen BI Zeuthen war sich sicher, er wird das Angebot annehmen. Zu einer Versammlung in Zeuthen fanden sich rund 1000 Leute ein. In Lichtenrade gab es Demonstrationszüge. Auch andere BIs wollen prüfen, ob eine Kooperation möglich ist. In wenigen Tagen sind weitere Gespräche mit den neuen Bürgerinitiativen geplant im kleine-ren Rahmen. Zuvor gab es bereits bilaterale Kontakte zu etlichen Initiativen.
In die Kritik kam durch Breidbach auch die „grüne“ Senatorin Lompscher der Linken in Berlin, die sich um weniger Feinstaub im Straßenverkehr kümmere. Aber dass eine Boing 737 beim Start soviel Schadstoff ausstoße wie 4000 angelassene PKWs und diesen über das südliche Berlin verteile, dazu sage sie kein Wort. Zur Sprache gelangte auch, ob es wie beim Wiener Flughafen, eine Abgabe im Centbereich pro Fluggast geben könne, damit mehr Lärmschutz und Ausgleichsmaßnahmen am Boden finanziert werden können. Freilich bis aus dem Protest gegen Schönefeld Verhältnisse wie bei Stuttgart 21 werden, wie von vielen aus dem Publikum gewünscht, wird noch viel Netzwerkarbeit investiert werden müssen.

Neues Deutschland, 18.10.2010

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