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Abschied von der Welt des Überflusses
Literarische Erkundungen über künftige Gesellschaften
im Fokus des Klimawandels
Von Marko Ferst
Angesiedelt im Jahr 2035, die kapitalistische Welt liegt in weitgehender
Agonie, könnte man von einem Buch der Ernüchterung sprechen.
Cording, als Journalist des politischen Magazins „Emergency“,
einen Titel, den man mit Notfall oder Ausnahmezustand übersetzen
kann, reist an zahlreiche Brennpunkte dieser geschundenen Welt für
seine Reportagen. Roman und politischer Reisebericht in einem, muß er
zu Beginn gerettet werden als er aus den indischen Slums kommend, im
Moskauer Metro-Untergrund festgenommen wird.
Er besucht unter anderem die USA oder besser, was von ihr übrig
blieb. An der Westküste etablierte sich eine rigide Ökodiktatur,
in der die Menschen als Arbeitssklaven ausgebeutet werden und freie Meinungsäußerung
unmöglich ist. Einige Gebiete dagegen sind Mitglied in der URP,
einem Bund ökologischer Regionen weltweit, dem bereits über
tausend Gebiete angehören. Eine solche Annahme kann man als optimistisch
werten. Der Rest der USA wird noch von Washington aus regiert, doch längst
ist die einstige Weltmacht in Auflösung begriffen. Jene, die sich
nicht regierungskonform verhalten, verschwinden auch hier in Internierungslagern,
ein ehemaliger Insasse berichtet ihm von den Zuständen. Liest man
sich die Illustrationen des kapitalistischen Zerfalls ein, die er beschreibt,
so wären sie womöglich plausibler, wenn man sich schwere Finanzmarktcrashs
vorstellt, die auch unzählige Betriebe durch ihren Absturz begraben.
Verschleppt von Söldnern der Ecoca-Diktatur, wird dem einstigen
Präsidenten Barack Obama ein Schauprozeß bereitet. Cording
genehmigt man die Einreise und wie sich später herausstellt - seine
Berichte, werden die einzigen authentischen sein, obwohl ein anderer
Kollege ebenfalls angereist war. Zum Verhängnis wird Obama nicht
die völlig unzureichende Klimapolitik der USA, sondern unter anderem
das Monsanto-Schutzgesetz, das er 2013 unterschrieben hatte. Gerichte
konnten daraufhin mit begründeten Zweifeln an der Umwelt- oder Gesundheitsverträglichkeit
die Aussaat und den Verkauf neuer genmanipulierter Produkte nicht mehr
unterbinden. Vom Ecoca-Ankläger wurde ihm vorgeworfen in diesem
Kontext mitverantwortlich zu sein für die mangelhafte Ernährungssicherheit
in vielen Ländern, erodierte Böden und nicht zuletzt Hungerrevolten,
die in späteren Jahren auftraten.
Eine Guerillagruppe mit dem Titel 43 a. C. und einer Idee, die aus römischer
Zeit stammte, gab eine Liste mit hundert Entscheidungsträgern in
Politik und Wirtschaft bekannt, die sich künftig ihres Lebens nicht
mehr sicher sein konnten. Gezielt wurden immer neue unvorhersehbare
Nadelstiche gegen die alten Regime gesetzt. Ein Ausfall des Flugsicherungssystems
am Kennedy-Airport in New York provozierte unzählige Flugzeugabstürze.
Andere trennen mit der Kettensäge an der Nordsee dicke Glasfaserkabel,
die für den Datenfluß zwischen den Kontinenten sorgten.
Doch Cording bereist auch ökologische Regionen im französischen
Elsass, die eine Ökonomie versuchen, wie man sie heute vielleicht
im Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt ansatzweise vorfinden
mag. Mangels Öl wurden Pferde für die Landwirtschaft unersetzlich.
Felder mischten sich mit Bäumen, um die Saaten besser vor Wetterunbilden
schützen zu können. Vegetarische Ernährung überwog.
Das Internet stand vielerorts nicht mehr zur Verfügung. Ob die indianische ökospirituelle
Versöhnung mit der Natur gelingt, scheint dem Autor selbst nicht
gewiß.
Für seine Recherchen besuchte der Journalist Walbach, eines von
drei Bücherdörfern im Elsass. Eine Jury entschied dort, welche
literarisch wertvollen Bücher auf äußerst haltbarem Hanfpapier
nachgedruckt werden, um der Nachwelt erhalten zu bleiben. Die übrigen
handelte man in Tauschbörsen. Druckmaschinen, über 70 Jahre
alt, funktionierten noch immer zuverlässig. Im Gespräch wird
er darauf aufmerksam gemacht, in China fand man Hanfpapiere, die noch
aus der Zeit von vor Christi Geburt stammen. Hier in Walbach wurden elektronische
Lesegeräte aus der ganzen Region ausgewertet mit Blick auf die Rettung
von Büchern. Immer mehr Druckwerke liefen Gefahr, für immer
verloren zu gehen.
Das Buch knüpft an Flecks frühere Romane „Das Tahiti-Projekt“ und „Maeva“ an,
setzt deren Lektüre zum Verständnis jedoch nicht zwingend voraus.
Die Passagen, die sich auf literarische Figuren aus dem ökologisch
gewandelten Südseeland beziehen, gewinnen jedoch an Reiz, wenn man
die Vorgeschichte kennt. Die einstige Präsidentin Ökologisch-Polynesiens
Maeva bekommt kurze Auftritte. Diskutiert wird, ob sogenannte Wolkenschiffe
helfen könnten, den globalen Temperaturanstieg durch die reflektierende
Wolkenbildung zu mindern. Sie wendet ein, das damit viel Konfliktpotential
zwischen den Ländern geschaffen würde. Freilich, sollte die
globale Verdunkelung durch Rußpartikel etc. wirklich einen erheblichen
Teil des Treibhauseffektes verbergen, wird das für die Zivilisation
zum Waterloo, wenn dies in Krisenzeiten nicht mehr geschieht. Falls die
Ressourcen reichen, könnten zu diesem Zeitpunkt den Treibhauseffekt
dämpfende Methoden der letzte Rettungsanker sein. Diese literarische
Reise in die Zukunft ist über weite Strecken spannend, verlangt
aber ein hohes Maß an Mitdenken, um dem subversiven Geist dieses
Romans folgen zu können.
Dirk C. Fleck: Feuer am Fuß, Roman, Verlag p. machinery, 353
Seiten, br., 14,90 €
erschienen: Neues Deutschland, 7.12.2016, Andromedanachrichten
Nr. 256, Rabe Ralf, Berliner Umweltzeitung 8,9 / 2017
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