Vordenken für eine ökologische Zeitenwende

Gespräch mit Marko Ferst, Umweltautor und Mitglied im Koordinierungsrat der Ökologischen Plattform bei der PDS


Aktuell hast du das Buch "Wege zur ökologischen Zeitenwende" herausgegeben. Enthalten sind Beiträge von Rudolf Bahro aus seinen letzten Lebensjahren und ein sehr umfangreiches Intensivinterview mit dem Fernsehmoderator Franz Alt. In deinen eigenen Ausführungen sprichst du davon, wir bräuchten große gesellschaftliche Umbrüche. Wie meinst du das?

Unsere reichen Industriegesellschaften wurden besonders in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr auf Kosten zukünftiger Lebenschancen mit mehr Wohlstand aufgerüstet. Wir müssen die Energie, die wir unbedingt noch brauchen, in wenigen Jahren vollständig aus erneuerbarer Energie gewinnen, aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse und dies in dezentralen Netzstrukturen mit einem kurzen Weg von der Produktion zum Einsatz. Wenn wir viel weniger verbrauchen, weil wir einen Großteil eingespart haben, die Energie überall deutlich effizienter nutzen, wird dies keine Unmöglichkeit mehr sein. Natürlich müssen die Energiekonzerne von der Gesellschaft in die Schranken gewiesen werden. Unter Rot-Rot in Mecklenburg Vorpommern wird bereits heute 32% der Stromproduktion im Land zum größten Teil mit Windkraft bestritten. 1998 waren es 5,9%.

Du willst auch die Stoffströme reduziert wissen und ein ökologischeres Steuersystem?

Wir brauchen eine intelligente Selbstbegrenzung und es wird keinen Sinn haben, weiter auf eine Ökonomie zu setzen, die ständige Wachstumsraten voraussetzt. Das ist der Versuch mit Marktgesetzen Naturgesetze auszuhebeln. Die meisten Produkte können jedoch deutlich umwelteffizienter mit einem viel kleineren ökologischen Fußabdruck hergestellt werden. Unser Steuersystem sollte schrittweise weitgehend auf ökologische Steuern umgestellt werden. Umweltgerechtes Verhalten würde sich finanziell lohnen. Dies bedeutet aber auch, die Bevölkerung muß an anderer Stelle das Geld zurückbekommen. Notwendig ist sozialer Ausgleich für diejenigen, die dann nicht durch wegfallende Lohnsteuern profitieren. Für hohe Einkommen sollten im Sinne sozialen Ausgleichs konventionelle Besteuerungen teilweise erhalten bleiben. Sinnvoll finde ich die u.a. von Christa Luft vorgeschlagene gestaffelte Mehrwertsteuer. Luxusprodukte und umweltschädigende Güter würden hoch besteuert, während die Grundbedürfnisse ohne Mehrwertsteuer blieben. Massiv abzubauen sind auch ökologisch kontraproduktive Subventionen in der Wirtschaft. Nicht vermittlungsfähig ist allerdings das jetzige Agieren von SPD und Grünen. Steigende Rentenbeiträge kann man schwer als finanziellen Ausgleich für steigende Ökosteuern vermarkten.

Gibt es denn Maße für ökologisches Wirtschaften? Wieviel Treibhausgase müßten wir denn einsparen?

In der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" empfiehlt man, die CO2 -Emissionen bis 2050 in den Industriestaaten um 90 Prozent zu senken, damit Entwicklungsmöglichkeiten für die armen Länder der Erde eingeräumt werden können und global der Ausstoß um 50 bis 60 % gesenkt werden kann. Damit blasen wir dann aber immer noch jeden Tag knapp 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, und was davon in der Stratosphäre ankommt, ist mehr als 100 Jahre klimaaktiv. Wir packen also nach wie vor jedes Jahr auf die schon vorhandenen Altlasten riesige CO2-Pakete zusätzlich oben auf. Das kann gar nicht gut gehen. Wir dürfen uns vor allen Dingen mit dem Abspecken nicht ein halbes Jahrhundert Zeit nehmen, und klar ist auch: 90% Reduktion an Klimagasen in den Industriestaaten wird nicht ausreichen. Damit steht unsere gesamte technische Infrastruktur, unser bisheriges Wirtschaftsvolumen zur Debatte. Es reicht nicht aus, in die bisherige unökologische Industriestruktur ein Stockwerk Umwelttechnologie hineinzumontieren. Man muß einfach sehen, jeder Einsatz von Beton, Glas, Gummi, Plaste, Stahl und anderen Produkten, letztlich unsere ganze Infrastruktur, ist beim Herstellungsprozeß an die Emission von Treibhausgasen gebunden und noch die Windmühle ist mit ihrem Stahl- und Betonverbrauch keineswegs CO2-neutral, wenn auch in der Bilanz einem Kohlekraftwerk völlig überlegen. Der Klimaforscher Mojib Latif vom Hamburger Max-Plank-Institut geht sogar davon aus, wir müßten in diesem Jahrhundert den CO2 -Ausstoß global auf Null bringen. In die Richtung müssen wir, aber ich sehe nicht wie wir dies erreichen können. Jedoch wenn es mit dem jetzigen Schneckentempo für ökologische Politik weitergeht, wird es einen Absturz in ein dunkles Jahrtausend geben. Wir werden uns diktatorische oder gar tyrannische gesellschaftliche Systeme einhandeln, mit dramatischen Verteilungskonflikten und vielerorts aufflammenden Bürgerkriegen. Dies wird weit mehr Menschenleben fordern als die Weltkriege des 20. Jahrhunderts. In unserem Buch sind die vielfältigen biosphärischen Zerstörungsprozesse sehr präzise beschrieben. Das ist letztlich das Grundlagenwissen, um ökologische Zukunftspolitik konzipieren zu können, die über tagespolitisches Kleingeld hinausreicht.

Du engagierst dich für einen sofortigen Atomausstieg. Rot-Grün scheint eine sehr lange Leitung zu haben?

Bei den Castorblockaden besetzte ich wie viele andere auch die Gleise. Ich sehe weiterhin friedlichen aber vehementen Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung für nötig an. Die starke Verzögerung der Stillegung des Atomkraftwerkes Obrigheim zeigt: Der Atomausstieg dauert möglicherweise um Jahre länger, als Rot-Grün in Aussicht gestellt hat. Kommt die CDU an die Macht, werden womöglich sogar neue Atomkraftwerke gebaut. Sinn der Transporte ist leider eben auch, in Gorleben Sachzwänge zu schaffen, damit dort die Endlagerung des Atommülls vorbereitet werden kann. Nur der erkundete Salzstock besitzt das Problem, salzhaltige Wasserläufe reichen bis nahe an die Oberfläche. Die Deckschicht aus Ton über dem Salz, die radioaktive Partikel über viele Zehntausende von Jahren abhalten soll, ist durch eine eiszeitliche Wasserführung stark durchbrochen.
Heute wissen wir, die Risikostudien können wir vergessen und die altersschwachen AKWs werden gewiß störanfälliger sein wie in den ersten Betriebsjahren. Auch in Deutschland wäre es 1987 im AKW Biblis beinahe zu einem schweren Unfall gekommen. Ein wichtiges Ventil schloß sich nicht mehr. Beim Atomkonsens ist auch vergessen worden, für eine deutlich strengere Kontrollpolitik beim Betrieb der Reaktoren zu sorgen. Für Terroristen könnten sie überdies zu Zielen von Anschlägen mit verheerender Wirkung werden.

Du betonst die Notwendigkeit ökologischer Zukunftsforschung. Brauchen wir neue Utopien oder richten wir damit nicht mehr Schaden als Nutzen an?

Zunächst müssen wir von der schlechten Utopie einer Religion des totalen Marktes weg. Wir sollten Abschied nehmen von globalisierten Wettrenngesellschaften, von materiellen Statussymbolen. Wir brauchen einen Umsturz der Prioritäten. Unsere Kultur und Politik darf nicht mehr länger eine Restgröße ökonomischer Rationalität sein. Mit unserem materiellen Lebensniveau unterdrücken wir unser geistiges Lebensniveau. Wenn künftig nur noch ein Bruchteil, der heutigen Stoff- und Energiemengen durch unsere industrielle Megamaschine gepumpt werden darf, dann müssen wir über kurz oder lang eine Kultur entwickeln mit einem völlig anderen Lebens- und Produktionsstil. Robert Havemann in Ostdeutschland und Ernest Callenbach in den USA hatten dazu sehr früh schon erste Entwürfe vorgelegt. An die Idee zu hinterfragen, was wäre wenn wir uns eine zukunftsfähige Ordnung leisten würden, knüpfe ich auch in dem neuen Buch "Wege zur ökologischen Zeitenwende" an. Die enthaltene Rede des fiktiven ökologischen Bundeskanzlers ist natürlich auch so ein Versuch eine Vision zu entwickeln: Es könnte auch anders gehen, es gibt Alternativen!

Was kann die PDS für ein ökologisches Umsteuern leisten?

Gerade in den ostdeutschen Ländern muß die PDS die grüne Ader in die Parteienlandschaft bringen. Daß es sich lohnt, ökologische Kompetenz aufzubauen, zeigen die Arbeitsergebnisse die Umweltminister Wolfgang Methling vorweisen kann. Die Mittel für den Klimaschutz wurden verdreifacht, ein umfassendes Moorschutzprogramm aufgelegt, statt 16 gibt es inzwischen 250 Kommunen, die sich an der Agenda 21 beteiligen. Darüber hinaus würde man sich wünschen, die Auffassung des Ministers könnte sich durchsetzen, die geplanten Autobahnen nur teilweise zweispurig zu bauen, besser überhaupt nicht. Solange noch vom Wirtschaftsministerium Flugstrecken nach München und Nürnberg mit 1,6 Millionen Euro im Jahr subventioniert werden, Kernfusionsforschung gefördert wird und Mecklenburg-Vorpommern die meisten gentechnischen Freisetzungen auf dem Acker vornimmt, bleibt noch viel zu tun im Rahmen des derzeit möglichen.
Notwendig wäre, daß die PDS 2006 zur Bundestagswahl mit einem öffentlich wahrnehmbaren ökologischen Profil antritt und mögliche zwei- oder dreihunderttausend Stimmen nicht erneut an die Grünen verschenkt, sondern als ernstzunehmender Konkurrent auftritt. Eine solche Strategie kann langfristig nur fruchten, wenn das als Aufgabe aller Mitglieder in der Partei verstanden wird. Besonders wichtig ist, daß die in der breiten Öffentlichkeit agierenden PDS-Politiker aus eigener ökologischer Kompetenz schöpfen können.

Was leistet die Ökologische Plattform?

Als Ökologische Plattform versuchen wir schon seit geraumer Zeit, die Ressourcen und Arbeitsmöglichkeiten effizienter für die Partei nutzbar zu machen. Dies war in der Vergangenheit nicht immer ohne Behinderungen möglich. Alles ehrenamtlich vorzunehmen, setzt freilich sehr enge Grenzen. Viermal im Jahr erscheint unsere Zeitschrift "tarantel" und wer sich mehr über ökologische Politik in der PDS informieren will, kann sie bestellen. Für das neue PDS-Programm gibt es zu den Umweltpassagen eine verbesserte Fassung aus meiner Feder, andere haben zusätzliche Hinweise aufgeschrieben. Im vergangenen Jahr gab es eine sehr gut besuchte Konferenz zu alternativökologischen Lebensweisen und einen gemeinsamen Workshop mit der AG Wirtschaftspolitik zum Thema Massenkaufkraft und Wirtschaftswachstum. Für dieses Jahr planen wir eine Konferenz zum Thema "Welternährung und Ökologie".

Das Interview führte Heike Koall

Franz Alt, Rudolf Bahro, Marko Ferst; Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem, Edition Zeitsprung, 340 Seiten; Leseproben, Inhaltsverzeichnis: www.umweltdebatte.de

Disput Nr.5/2003, Langfassung