Offener Brief , 6.2.2006

 

Sehr geehrte Abgeordnete
der Landesparlamente
in Berlin und Brandenburg,


seit etlichen Jahren gibt es zwischen Ihnen und der Bevölkerung von Grünheide bis Genshagen sowie dem Berliner Stadtbezirk Berlin Treptow-Köpenick einen schweren politischen Konflikt um den Großflughafen Schönefeld. Mindestens 150.000 Anwohner würden unerträglich verlärmt werden und einem hohem Absturzrisiko beim Flugverkehr ausgesetzt. Nur einzelne Abgeordnete waren zum konstruktiven Dialog fähig und bereit. Sie erkannten die Widersinnigkeit zwischen zwei riesigen bevölkerungsreichen Siedlungsachsen und nach Norden hin begrenzt durch die Stadt Berlin einen Großflughafen zu quetschen. Nirgendwo in Europa kommen Politiker auf derartige Planungstollheiten. Alle Neubauprojekte werden weit außerhalb der Ballungsgebiete realisiert. Nur in Berlin-Brandenburg ist eine solche Scharlatanerie möglich.

Studien in den neunziger Jahren hatten ergeben, Schönefeld ist der denkbar schlechteste Standort, wenn man eine Vielzahl von Parametern berücksichtigt. Die drei vorhandenen interkontinentalen Start-und Landebahnen in Sperenberg wurden ebenso als Alternative verworfen wie andere Standortmöglichkeiten. Bisher setzten die Bürger aus privaten Geld-mitteln rund 3 Millionen Euro ein, um den Standort Schönefeld zu stoppen. Fünf der zentralen Gerichtsverfahren verloren Berlin, Brandenburg und der Bund gegen die Anwohner seit dem Jahr 2000. Vielleicht sollte man die mehrfachen Hinweise des Oberverwaltungsgerichts Frankfurt/Oder endlich ernst nehmen. Es forderte von der Politik, eine Abwägung der Standortkriterien überhaupt erst mal ins Auge zu fassen. Das dies nicht erfolgte, ist auch Ihr konkretes Politikversagen, das zu der heutigen bürgerfeindlichen Politik geführt hat.

Bei Erreichen der vollen Kapazität des Flughafens von bis zu 600.000 Flugbewegungen wird der Wertverlust der Grundstücke der Bürgerinnen und Bürger bis zu 3,2 Milliarden Euro betragen. Das ermittelte der Raum- und Umweltplaner Prof. Wilfried Kühling von der Martin-Luther-Universität in Halle. Viele weitere Belastungen müssen in der Rechnung auftauchen. 1,4 Mrd. € wurden bereits bei der Planung des VEB Großflughafens verschwendet, ein Ex-Planer rechnete zudem vor, Geländeumfang und Terminal sind für mehr als 56 Mill. Passagiere im Jahr ausgelegt, statt für die angegebenen 30 Mill. All diese fehlverwendeten Steuergelder führen in Berlin und Brandenburg dazu, daß zusätzlich soziale Ausgaben etc. weggespart werden müssen. Am Ende dürften Baukosten für den Flughafen von mindestens 5 - 6 Milliarden Euro durch die öffentliche Hand entstehen. Das bezahlen Sie locker aus Ihren hoch verschuldeten Haushalten?

Jetzt werden die weiteren Schritte durch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden. Selbst wenn die Bürger und Bürgerinnen unterliegen würden, stünde nach wie vor zur Debatte, wie der Flughafenbetrieb mit möglichst vielen Einschränkungen rechtlich sanktioniert werden kann. Auch ein solcher Sieg dürfte sehr teuer werden, weil der Konflikt auf diese Weise noch mal richtig zementiert wird. Und eine Bürgerinitiative mit 5000 Leuten sollte man besser nicht unterschätzen. Niemand kann vorhersagen, was Bürgern so alles einfallen kann, wenn sie sich absprechen und koordinieren. Eine übermütiger Staatsapparat auf Landesebene kann die Leute auch motivieren.

Möglich ist freilich auch, die Träume vom Großflughafen stürzen beim Bundesverwaltungs-gericht in Leipzig ab. Das wäre für die Politik in Berlin und Brandenburg eine herbe Niederlage. Aber man will nicht dazulernen. Es kommt dann der schleichende Ausbau von Schönefeld zum Großflughafen ins Spiel. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß alles daran gesetzt wird, eine Alternative dafür zu suchen, wie man auch trotz eines gescheiterten Planfeststellungsverfahrens einen Großflughafen in Schönefeld errichten kann. Die Errichtung des neuen Terminals, daß die bisher üblichen Passagierzahlen in der Abfertigung mehr als verdreifachen könnte, ist ein klarer Hinweis darauf. Auch der BVBB äußerte sich dazu. Danach soll die aus Lärmschutzgründen schon zu DDR-Zeiten geschlossene Nordbahn wieder geöffnet werden, so wird vermutet. Werden die Bürger erneut Klageverfahren anstreben müssen?

In den Antworten auf meine brieflichen Anfragen u.a. an Jörg Schönbohm, Matthias Platzeck, Klaus Wowereit u.a. ist klar erkennbar, daß man nicht bereit ist, sinnvolle Alternativen für eine moderne Flughafenlösung zu finden. Man will mit dem Kopf durch die Wand. Meine Herren, das gibt Beulen, glauben sie es mir. Senator Harald Wolf beantwortet erst gar keine Briefe. Wenn man sich die Verlautbarungen vor der Regierungszeit zum Flughafen ansieht, hat die Linkspartei.PDS an ihren obersten Spitzen in Berlin beträchtliche Anpassungsleistungen erzielt.

Pikant ist auch die Presse. Besonders die „Märkische Oderzeitung“ läßt sich immer wieder zu Spitzenleistungen entlang der Parteilinien hinreißen, jenseits journalistischer Sorgfaltspflicht. Gewiß es gibt auch bei anderen Zeitungen Fehlgriffe. Da wird in der MOZ zum Beispiel auf der Seite Eins mehrfach offeriert der Großflughafen schaffe 40.000 Arbeitsplätze. Wer jedoch drei Flughäfen an einem Standort zusammenlegt, läuft Gefahr, daß er Arbeitsplätze einspart. Zudem hilft ein Blick auf die Statistiken und die zeigen, der Rationalisierungsdruck ist erheblich auf Flughäfen. Unter dem Strich werden in der Summe kaum mehr Arbeitsplätze entstehen. Herr Schönbohm ein Jobwunder wegen Schönefeld wird es nicht geben. Dafür fehlen die Voraussetzungen. Das sind Wunschträume. Insgesamt könnte man sich wünschen, daß die Reflektion des Konfliktes um den Großflughafen Schönefeld in der Presse angemessener stattfindet und man nicht immer wieder den Eindruck erhält bei zahlreichen Artikeln, die Journalisten sind nicht informiert bzw. nur von einer Seite. Dies sage ich in Richtung der mitlesenden Medienvertreter.

Nach meiner Einschätzung müßte die Politik zunächst die versäumte Abwägung von Stand-ortalternativen vornehmen, wie sie das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder mehrfach der Politik als Notwendigkeit ins Stammbuch geschrieben hat. Darüber hinaus wäre eine solide Abwägung der künftigen Kapazitäten notwendig, denn überdimensionierte Anlagen sind die Investruinen von morgen. Wenn Finanzexperten deutlich machen, daß sich der Ölpreis in den nächsten zehn Jahren verdreifachen oder vervierfachen wird, dann sollte man auch diesen Aspekt berücksichtigen. Einzubeziehen ist, daß der Klimawandel in vollen Gang kommt in den nächsten Jahrzehnten und die Konsequenzen allen deutlich erkennbar werden, somit auch wirksame Gegenmaßnahmen unausweichlich bleiben. Diese Faktoren werden dafür sorgen, daß der Flugverkehr irgendwann anfängt zu stagnieren und dann immer mehr zurückgeht. Würden sämtliche Passagiere im innerdeutschen Verkehr deutlich preiswerter mit der Bahn fahren können, ließen sich in Berlin die Flugpassagiere halbieren und auf Tegel und Schönefeld gerecht verteilen. Da eine solche Lösung nicht in greifbarer Nähe liegt, wird man um einen neuen Flughafenstandort nicht herumkommen. Zudem bleibt bei der oben erwähnten Variante das Absturzrisiko über dichtbesiedelten Wohngebieten. Vorstellbar ist sicherlich auch ein Zwei-Flughafen-System, daß das heutige Level in Schönefeld mit einem zweiten Standort in Sperenberg oder anderswo ergänzt. Die Vorstellungen der brandenburger Linkspartei sind unrealistisch, weil sie praktisch eine Verzehnfachung des Flugverkehrs in Schönefeld bedeuten. Einen Spargroßflughafen wird es nicht geben. 17-20 Millionen Passagiere sind auf jeden Fall zu erwarten.

Natürlich gibt es zahlreiche Stimmen, die sich gegen einen Großflughafen aussprechen. Bei den brandenburger Grünen konnte man einzelne Aktivisten vernehmen. SPD und CDU haben deshalb Mitglieder vor Ort verloren. Der SPD-Verkehrsexperte Peter Dankert erläuterte, warum er meint, daß der Planfeststellungsbeschluß vor Gericht möglicherweise keinen Bestand haben wird. Auch befürwortet er einen alternativen Standort. Sowohl die Linkspartei Treptow-Köpenick und ebenso in der brandenburger Region teilt die Auffassungen ihrer Landespolitiker nicht und stellt sich dagegen. Natürlich ist mir auch nicht verborgen geblieben, daß es einzelne Abgeordnete gibt, die sich gegen diese Chaosflughafenpolitik aussprechen. Ich kann Sie nur dazu ermuntern dies zukünftig noch deutlicher zu artikulieren und auch mit denen zusammenzuarbeiten, die analog aktiv sind und vor allen Dingen die jeweiligen Parteiführungen unter Druck zu setzen. Überdies wünschte man sich schon, der ein oder andere Abgeordnete täte ein wenig genauer hinschauen, was so alles beschlossen wird im Parlament zum Thema Schönefeld.

Sehr geehrte Abgeordnete, ich kann ihnen hier nur den Anstoß zum Umdenken geben. Die Bevölkerung vor Ort ist richtig sauer auf Politiker, die ihnen vor die Haustür einen Großflughafen plazieren wollen, wo dann alle drei Minuten ein Flieger vorbeidonnert. Wollen Sie den Protest mal hören? Ich kann Ihnen dieses Vergnügen gerne verschaffen. Wäre doch spannend, so richtig in Dialog zu kommen zwischen Bürger und Abgeordneten?


Mit besten Wünschen


Marko Ferst

 

zur Hauptseite www.umweltdebatte.de