Offener Brief von Marko Ferst

1.-15.11.2005
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Lieber Lothar Bisky,

man weiß nicht so richtig, ob man den Parlamentariern dankbar oder gram sein soll, daß Sie Dich viermal durchfallen lassen haben. Ich bin mir nicht sicher. Immerhin hat das ARD-Magazin „Panorama“ gemeint, daß sei ein respektabler Kandidat, mit dem dürfe man nicht so umgehen. Ganz meine Meinung. Irgendwie geht das aber für die „Sozialistengegner“ nach hinten los – oder irre ich? Allerdings verlockend ist es natürlich auch: Bisky noch 10 Jahre Parteichef. Hast Du doch gesagt! Okay, 5 Jahre würden es auch tun. Wer weiß was danach kommt? Bei Bisky weiß man, was man hat, was machbar ist und was nicht. Welche Marotten haben die Nachfolger? Sicher ist die schnelle „Vorvereinigung“ zur Bundestagswahl und die Tonlage dabei auch nicht unerheblich ein Verdienst des Parteivorsitzenden. Aber das nicht der Eindruck aufkommt, wir würden uns für Bisky nicht ins Zeug legen: CDU-Generalssekretär Kauder hat doch eine komische Erklärung zur Nichtwahl geben. Ich konnte es mir nicht verkneifen ihm spontan meine Meinung schön, scharf und schnittig mitzuteilen. (liegt anbei)

Ich bin selbst überrascht gewesen, was so ein bißchen Ökokapitel im Wahlprogramm alles anrichtet. Mir schien, drei Wochen Gültigkeit, daß lohnt sich kaum noch. Plötzlich findet man es in Tageszeitungen in Ausschnitten. In den Zeitungen und Infoblättern der Anti-Atom-Bewegung wurde gleich der Entwurf der Ökologischen Plattform zitiert zum Atomthema. Und vieles mehr. Gewiß wir können auch nicht hexen. Über zehn Seiten explizit ökologische Fragestellungen im grünen Wahlprogramm auf zunächst einer halben Seite PDS-Programm zu toppen ist schlechterdings etwas schwierig. Immerhin ist das Endprodukt erheblich besser geraten und kann etwas mehr Auftrieb für grüne Perspektiven in der neuen Linksparteifraktion befördern.

Gewiß im grünen Bereich der Partei beginnt sich etwas zu ändern, noch zögerlich, nicht geschützt vor Rückschlägen. Ich denke, es wird für eine Vereinigung mit der WASG nicht der schlechteste Start sein, wenn Thies Gleiss vom WASG-Bundesvorstand auf unserer Novemberkonferenz über linke und ökologische Gesellschaftsstrategien im 21. Jahrhundert spricht und WASG-Mitglieder in der Ökozeitschrift der Linkspartei publizieren. Weitere Verbesserungsvorschläge werden gerne zur Kenntnis gekommen. Über das Ende des Erdölzeitalters im Kontext plutokratischer Entwicklungen wird Winfried Wolf sprechen. Ich denke, es ist nicht verkehrt zu kommunizieren statt Grabenkämpfe auszufechten.

Überdies würde ich mir wünschen, daß „Disput“ irgendwann mal dazu übergeht, uns nicht hinterher zu berichten, welche Linkspartei-Termine wir alle im Vormonat verpaßt haben, sondern im Monat vorher bekannt gibt, welche Veranstaltungen man besuchen kann. Warum soll unmöglich sein, was im Linkspartei-Internet ganz gut klappt? Überdies ist zu begrüßen, daß die Darstellungsmöglichkeiten der AGs und Plattformen verbessert wurden dort. Was meinst Du, wie oft muß ich das mit den Terminen und Disput noch schreiben und erwähnen, bis diese kommunikative Panne behoben wird? Aber vermutlich sind unsere Linkspartei-Veranstaltungen so gut besucht, daß man Angst hat die Termine in Disput zu erwähnen...

Sich in zwei Jahren mit der WASG zu vereinigen wird sicher möglich und realistisch sein. Von Schnellschüssen halte ich nichts. Dazu wird man ein neues Parteiprogramm in diesem Kontext brauchen. Ich habe vor allem Einfluß von „grüner Seite“ die Fassung gesehen vom Bundeswahlprogramm 2005. Das blanke Grauen. Wäre es nicht doch überlegenswert für die Zukunft, daß solche Aufgaben nicht mehr von Leuten übernommen werden, die von Ökologie soviel Ahnung haben wie ich von Sportpolitik? Also, daß können wir einfach besser und professioneller! Bei den Europawahlprogrammen, da stand bei den letzten beiden Wahlen was vernünftiges drin, vielleicht ein bißchen technokratisch, aber bei Bundestagswahlen wurde doch nur noch Minderware geboten, dritte oder vierte Wahl. Ich denke, es ist angemessen, das neue Parteiprogramm wird durch die parlamentarische BAGU, die Ökologische Plattform und die WASG-Ökoleute konzipiert. Das muß doch machbar sein, daß so was durch die Kompetenzzentren der Partei und die fähigsten Leute jeweils passiert und nicht an Ihnen vorbei.

Parteivorstände und Antragskommission sollten sich nicht als Blockierer betätigen, wie eben gerade passiert beim Wahlprogramm. Das ist irrational. Wer weiß welche Feindbilder da wirken? Wer so mauert, muß sich nicht wundern, daß irgendwann Katz und Maus gespielt. Wenn man sich ansieht, wie erstklassig in den Inhalten das Grundsatzprogramm der Grünen ist in den Umweltpunkten, der wird sich ziemlich gut vorbereiten müssen, um auch nur in die Nähe dieser Qualität zu kommen, mit der eigenen programmatischen Arbeit. Mit - wünsch dir was - ist nichts gekonnt. Keine wohlfeilen Proklamationen. Es stellt sich eben nicht nur die Frage, wie sozialistisch die Grünen sind, Du schreibst sicher vieles Richtige in Deinem Beitrag, sondern auch wie grün die Sozialisten sind, worüber leider weniger zu lesen war, obwohl es sich angeboten hätte, dies mit zu erörtern.

Erlaube mir einen Absatz zum Großflughafen Schönefeld. Ausdrücklich loben will ich das Engagement örtlicher Genossen, die sich darum bemühen Bürgerinteressen in dieser Sache zu verteidigen. Auch vereinzelte Abgeordnete lassen wenigstens Bemühungen erkennen. Vermutlich, ich kann es aber rechtlich nicht wirklich einschätzen, wird das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zu Gunsten der betroffenen Bürger ausfallen. Aber es wird kein wirklicher Sieg sein, selbst wenn er sich einstellen sollte. Es gibt viele Anzeichen dafür, daß danach der schrittweise Ausbau von Schönefeld zum Großflughafen zur Debatte steht ohne Planfeststellungsbeschluß (aus Trotz vermutlich). Selbst an der Veränderung von Gesetzen wird laboriert extra dafür. Neue Gerichtskosten kommen auf die Bürger zu. Bis jetzt haben die Bürger drei Millionen Euro eingesetzt, um diese politische Korruptionitis auszubrennen. Das Problem wurde von mir in mehreren Artikeln ausführlich dargestellt und ist nachzulesen. Wegen dieser Situation werde ich zusammen mit anderen unkonventionelle Wege testen, wie man die CDU und SPD und andere Parteien an ihre politische Verantwortung erinnern kann. Ich schätze, sie werden nicht begeistert davon sein. Aber die Bürger können sich nicht alles gefallen lassen, was die politische Kaste hierzulande ausheckt.

Der Brief ist ursprünglich wegen einer Personalfrage begonnen worden. Dietmar Bartsch soll Bundesgeschäftsführer werden, jedenfalls wieder. Dein Vorschlag ist, daß er kandidieren soll. Also mußte ich mich in der Sache an Deine Adresse wenden. Gleichwohl habe ich gehört, auch der Parteivorstand hat mehrheitlich grünes Licht dafür gegeben. Dabei dürfte es doch kein Geheimnis sein, daß Dietmar Bartsch als einer der umstrittensten PDS-Politiker gilt. Ich würde ihm nicht so sehr die verpaßte Wahl von 2002 zur Last legen (wie zu lesen war), obwohl man das sicher anführen muß. Da spielten auch Bonusmeilen eine Rolle und Gabi Zimmer und andere sind gewiß auch nicht völlig frei von Mitschuld. Sicher hat auch jemand Parteichef gespielt, obwohl er es noch gar nicht war. Nachdem sich jetzt die Männerbünde in der Linkspartei jeden denkbaren Spitzenposten unter sich aufgeteilt haben, sollte man zudem darüber nachdenken, ob dieser Posten nicht doch mal an eine Frau gehen sollte. Da wird es doch wohl geeignete Kandidatinnen geben? Ich will nicht sagen, daß dies nun für diesen Posten absolut gelten sollte, aber ich wünschte mir schon, in Zukunft wird darauf mehr geachtet, daß wir „Herrlichkeiten“ nicht alles dominieren.

Mag sein, daß Dietmar Bartsch exzellente Fähigkeiten hat, in Bereichen, die zu beurteilen mir nicht obliegen. Es muß ja Gründe haben, warum Du ihn vorschlägst. Ich bin nicht der Meinung, daß Dietmar Bartsch nicht wichtige Aufgaben in der Partei übernehmen kann. Als MdB hat er optimale Möglichkeiten dazu. Ich bin mir sicher, daß er an anderer Stelle der Partei mehr dienen könnte, auch sich selbst besser stellen würde und höheres Ansehen erlangen vermag.

Ich habe gerade ein Buch mit Texten von Mahatma Gandhi gelesen. Seine Ausführungen haben natürlich spezifische historische Umstände als Hintergrund, doch fand ich den Gedanken interessant, daß man den Gegenüber trennen muß in die private Person und die Person, die er im System spielt. Mir war der Gedanke so absolut nicht naheliegend und scheint mir auch nach wie vor etwas überspitzt. Wichtig ist vielleicht aber doch, mit der Person gegenüber in Würde und aufrichtig umzugehen. Das heißt Kritik offen und ehrlich zu artikulieren, klar und unmißverständlich. Dies ist sicher nicht immer möglich, weil Abhängigkeiten bestehen und andere hindernde Probleme.

Es gibt PDS-Politiker, die legen eine kooperative Arbeitsweise an den Tag, die hören zu, sind nicht mit allem einverstanden, aber damit läßt sich leben. Da tanzen nicht die „kleinen Teufelchen“ auf den Tischplatten. Da steht Sacharbeit im Vordergrund. Es steht das Dazulernen im Vordergrund und nicht „das Recht“ haben. Damit kann man auskommen. Wenn am Ende richtig was Produktives rauskommt, um so besser. So macht Politik zuweilen auch Spaß.

Ich billige jedem zu, daß er aus Fehlern lernt, wie man selbst versucht aus Fehlern zu lernen. Wenn man eine Problemzone kennt, muß man aber den Krisenherd nicht erneut entstehen lassen. Man muß nicht die Narben wieder aufreißen, die vielleicht noch nicht mal richtig verheilt sein dürften. Dietmar Bartsch ist in Gera nicht Parteichef geworden, weil er eine ganz bestimmte Politik und einen Politikstil nach Innen vertreten hat, der von großen Teilen der Partei nicht akzeptiert wurde. Wenn man jetzt an dieses Konfliktfeld wieder anknüpft, ist zumindest die Gefahr vorhanden, daß das „Syndrom Gera“ in neuen Optionen und Formen wieder aktiviert wird. Diese Personalentscheidung schwächt die Partei. Aber wer die Grabenkämpfe von Gera wieder aufflammen lassen will, könnte mit so einer Besetzung Erfolg erzielen. Ich will das nicht und ich bin mir sicher, viele andere auch nicht. Das sollte man vielleicht bedenken bei solchen Vorschlägen.

Eine Politik bei der wir zum „Bettvorleger“ der SPD werden, zum biegsamen Kooperateur, macht bei uns niemand mit. Jeder der dies bevorzugt, wird mit Widerständen rechnen müssen. Ulrich Maurer hat womöglich recht, wenn er vermutet, daß die SPD noch weitere Abbrüche erleben wird. Daran sollten wir ein bißchen mitwirken. Sie einladen zu uns zu kommen. Ohne solide Sacharbeit und politische Inhalte auf allen Gebieten würde Rot-Rot-Grün 2013 oder sonstwann schnell zum Fiasko für die Linkspartei. Meine Sehnsucht danach ist sehr gering. Echte Oppositionspolitik kann erheblich wirksamer sein. Nachhaltiger wirken. Man darf sich nur nicht zu unintelligent anstellen, zu subaltern staatstragend. Würde Rot-Rot-Grün perspektivisch in der jetzigen dominanten Matrix mit partiell sozialen Mosaiken bundespolitisch eingeführt, richtet das mehr Schaden als Nutzen an. Ich glaube, man muß noch mal grundsätzlich darüber nachdenken, wo man eigentlich hin will. Aktuell gibt die Studie zu Mecklenburg-Vorpommern, zahlreiche Autoren sind beteiligt, in diesem Bezug auch viele Denkanstöße zunächst. Es wäre schön, wenn man die Möglichkeiten nutzen könnte, die eine Partei auch bietet, das Buch noch bekannter zu machen.

Auf die alte und neue Art des Geschäftsführens sind viele schon sehr gespannt. Wie nennt man das am besten? Ich denke, gelenkte innerparteiliche Demokratie trifft es am genauesten, der Schwerpunkt liegt auf „gelenkt“. Man kann es auch als „demokratischen Zentralismus“ bezeichnen. Die Bundesschiedskommission hat Dokumente in Streitigkeiten in Schriftsätze gegossen, die diese Problematik eindeutig belegen an Einzelbeispielen, nicht im gesamten Ausmaß, das von den Einzelnen auch kaum zu überblicken ist. Wenn aber ein Bundesgeschäftsführer alles niedere Parteivolk als lästige Angelegenheit ansieht, mit reichlich Machtbewußtsein auch im Ton, könnte sein, daß sich Parteimitglieder ein zweites Mal dies nicht so lange gefallen lassen. Zudem: Dieser Seite gegenüber steht inhaltliche Blässe in Interviews und Texten.

Ich habe zunächst gedacht, da mag jemand die Grünlinge unter den Rotlingen nicht. Das kommt vor und darf man nicht weiter überbewerten. Nach und nach stellte sich aber heraus, daß auch in anderen Zusammenhängen der Partei ganz unabhängig von uns massive Probleme verschiedener Art gesehen wurden. Man unterhält sich und tauscht sich aus. Die WASG wird sich noch richtig freuen über ein solch kommunikatives und gewandtes politisches Talent. Das er unbequemen aufstrebenden Elementen in der WASG gekonnt das Handwerk legen wird, darf als sicher gelten. Gelernt ist Gelernt.

Legendär ist er unter den Umweltleuten für seine Aussagen zum chinesischen Dreischluchten-Staudammprojekt. Ökos sind zu blöd zu begreifen, wie sozial und ökologisch dieser 600 Kilometer Dammsee in seinen Auswirkungen ist. Weit über eine Million Menschen mußten umgesiedelt werden, fruchtbares Land versinkt und vieles andere. Etliche Arten verschwinden. Sind das zehn „Karat“ Antiökologie? Nur Ahnungslosigkeit ist es wohl nicht. Gut, er kann ja aus Fehlern gelernt haben. Dann kann er gerne vor dem Umweltflügel der Partei seine veränderte Position darlegen. Wir laden ihn herzlich dazu ein. Bis 1998 gab es einen umweltpolitischen Sprecher im Karl-Liebknecht-Haus. Wozu? Brauchen wir doch gar nicht, ist doch alles rausgeschmissenes Geld, ich war bei dem Gespräch dabei, wo uns erklärt wurde, daß das nicht mehr geht. Münster sollte eigentlich ein Parteitag werden, der sich in Gänze mit den Themen Ökologie, Nord-Süd und Feminismus auseinandersetzen sollte. In dem Antrag, den ein Parteitag beschlossen hatte, stand drin die entsprechenden AGs sollen an der Vorbereitung beteiligt werden. Aber so viel innerparteiliche Demokratie ist doch lästig. Vorschläge vom Tisch gewischt. Wir wissen wer großen Anteil daran hatte, daß der Ökologie-Feminismus und Nord-Süd-Parteitag weit unter den Möglichkeiten blieb. Und böses grünes Logo, was wir mal ver-wendet haben. Da dürfen wir uns bestimmt wieder auf einen Kritikbrief von Dietmar freuen, weil es sich auch unter Nichtplattformern gewisser Beliebtheit erfreut, wie ich feststellen durfte.

Auf welche neuen Einschnitte und Narreteien dürfen sich die BAGs und Plattformen als nächstes freuen? Zudem haben wir jetzt wieder eine große Fraktion, da können wir die BAGs, „Bahnsteige“ usw. wieder schön in die Mottenkiste legen. Auch dafür dürfte Dietmar Bartsch ein Garant sein. Um was wollen wir wetten, daß es so kommen wird? Eigentlich wäre ja angesagt, nach regelmäßigen Kürzungen in den letzten Jahren, die Finanzen mal ordentlich aufzustocken in den AGs und Plattformen. Bei 8,7% Wahlergebnis, verdoppelt, wäre das doch mal angezeigt. Ich denke, es dürften doch einzelne konstruktive Vorschläge vorliegen, wie man damit umgehen kann. Und ich sage auch was ich nicht mehr erleben möchte: Wenn ich noch mal sehe, daß die demokratischen Rechte der Arbeitsgemeinschaften und Plattformen beschnitten werden sollen, darum ging es in der Statutendebatte maßgeblich, schreibe ich keine Briefe mehr, sondern hand-feste Artikel in der Presse. Das bei soviel SED-Rückfall die AGs und Plattformen eng zusammenarbeiten, versteht sich. Dabei ginge es darum zu prüfen, welche Verbesserungen in der Arbeitsweise und im organisatorischen Zusammenspiel möglich sind. Ich glaube, da gibt es viele Reserven, die man nutzen könnte. Etwa bei uns war zu beobachten, wie optimal sich unsere Webseite im Wahlkampf bezahlt gemacht hat. Hätte ich selbst nicht für möglich gehalten. Und so gibt es sicher viele andere Dinge, die man gemeinsam viel besser herausfinden könnte, wenn mehr auf Kooperation und Dialog gesetzt würde. Selbstverständlich findet das in einigen Bereichen schon statt. Mein Plädoyer ist, das auszubauen.

Ich glaube, ich brauche nicht weiter auszuführen warum es völlig sinnlos wäre, wenn ich bei uns für Dietmar Bartsch als Bundesgeschäftsführer werben würde. Vertrauen ist nicht vorhanden. Gäbe es eine Gegenkandidatin oder einen Gegenkandidaten würde dieser auf jeden Fall gewählt. Aus anderen Bereichen der Partei erhielt ich Schreiben, wo gefragt wird, ob Lothar Bisky bei dieser Personalenscheidung vom Teufel geritten wird. Nun ist der Hades nicht mein Spezialgebiet, kenne mich nicht so aus damit. Ich hoffe, ich konnte ausreichend überzeugend darlegen, warum wir diese Entscheidung als kontraproduktiv ansehen.

Natürlich weiß ich, daß man mit solchen Fragen, wie hier aufgeworfen, die „kommunikative Eiszeit“ verstärken wird, wenn Dein Wunschkandidat sein Amt bekommt. Besser wäre vielleicht, schön still zu schweigen und die Arbeit geschickt am ungeliebten Kandidaten vorbei zu organisieren. Aber der Schaden für die Partei dürfte zu groß werden, wenn man alle Aspekte zusammennimmt. In dem Moment jedoch wo man das öffentlich macht und dieser Brief ist öffentlich und offen, kann man auch mit anderen Teilen der Partei ins Gespräch kommen. Wie sieht Bundesgeschäftsführung aus und wie sollte sie nicht aussehen? Es regt an, sich offen darüber auszutauschen, zu diskutieren und wer sich all zu selbstherrlich verhält bei der Ausübung von Parteiämtern, muß damit rechnen, daß er plötzlich von vielen Seiten auf Mißstände angesprochen wird. Dominoeffekt. Das muß nicht passieren, aber es kann.

Personalentscheidungen sind ein schwieriges Gelände, man sieht es gerade an der SPD. Bei der Linkspartei geht es hoffentlich rationaler zu. Mein Wunsch ist, daß es in Zukunft keine Anlässe gibt, wo wir für Personalien oder für strukturelle Abwehrmaßnahmen Zeit und Aufwände verschwenden müssen. Ziel ist bei uns, den ökologischen Flügel so aufzubauen, daß respektable politische Ergebnisse erzielt werden. Es müssen Antworten gegeben werden, was setzen wir der Atompolitik von Schwarz-Rot entgegen. Wie kann man ein Erneuerbares Wärmeenergiengesetz aus unserer Partei heraus formulieren. Unsere Vorstellungen von einer ökologischen Steuerreform sind qualitativ deutlich zu verbessern und würden dann in die bisherigen Steuerkonzepte der Partei eingreifen. Zahlreiche Aspekte müssen durch die Bundestagsabgeordneten und ihre Mitarbeiter abgedeckt werden.

Ich weiß aber, daß die personale Ressourcenlage bei den Grünen weitaus besser ist auf diesem Gebiet. Natürlich gibt es auch dort Schwachstellen: Ich denke an bombardierte Chemiewerke oder „Dehnstreck-Atomausstiege“. In vielen konzeptionellen Fragen haben sie jedoch die Nase vor. Das kann man nur schrittweise überwinden. Ohne eine effiziente Einbindung ehrenamtlicher Akteure und vieler neuer Schultern, gezielter Netzwerkarbeit ist dies unmöglich. Dafür brauchen wir Rückenwind und keine Steine im Weg. Jeder der uns dabei helfen will, ist gern gesehen. Eigenes kreatives Mitdenken ist gefragt. Wolfgang Methling hat völlig recht, wenn in den Linkspartei-Verlautbarungen vor der Presse zu selten Umweltpolitik vorkommt. Wie kann man das konkret verändern? Was ist dazu notwendig? Wie können wir helfen?

Es ist offensichtlich, an vielen Stellen der Partei, nistet noch Strukturkonservatismus, wenn es um Umweltvorsorge geht. Ich setze auf „grüne Perestoika“. Damit so etwas gelingen kann, muß das Gesamtauftreten der Partei verändert werden. Unreflektierte Wachstumsphantasien im Wirtschaftsvolumen, siehe Linkspartei-Wahlprogramm, müssen durch sozialökologischen Wandel ersetzt werden. Man könnte ja noch mal nachlesen, was Dieter Klein in der „Reformalternative“ dazu geschrieben hat. Das Rezept „Osterinsel“ wird jedenfalls nicht aufgehen. Die komplette Kultur ist dort auf Grund ökologischer Blindheit der Bewohner den Bach runter gegangen. Sicher: Es ist extrem wichtig, daß die Differenz zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinander schert. Bei Industriegesellschaften, die ihren Zenit überschritten haben, wird das zum Zündpulver für alles mögliche.

Es gibt deutlich Hinweise darauf, daß es einen beschleunigten Klimawandel geben wird. (siehe ND 21.10.2005) Man muß prüfen wie weit die Daten dazu belastbar sind, welche weiteren Beschleunigungseffekte sich daraus ergeben können. Ich sehe wie immer mehr Gebiete der Erde von ökologischer Degradation bedroht sind. Wir hier in den Gunstgebieten bekommen das nur nicht so richtig mit. Am Aralsee kann man schön studieren wie großregionale Gebiete völlig in die Knie gehen. Das Wasser ist fast verschwunden, die umgebenden Felder weitgehend versalzen. Dürre im Amazonas-Restwald aktuell. Regenwälder sind die Kinderstube der Evolution. Sie beherbergen 60% der Arten. 300-400 Pflanzen und Tierarten sterben täglich aus. Zweitartenreichstes Refugium sind die Korallenriffe. Das Meerwasser erwärmt sich, immer mehr Korallenstöcke bleichen aus. Weltweit verschwinden die Gletscher, Süßwasserreserven für Notzeiten. Extremes Bevölkerungswachstum. Afrikas Seen trocknen immer weiter aus. Täglich erobert sich die Wüste weltweit mindestens 20.000 Hektar. Sind wir als homo sapiens blind und blöd in Potenz?

Rückblende: Auf der Osterinsel reduziert sich, nach dem der Wald und die Nahrungsüberschüsse weg sind, die Bevölkerung drastisch. Es kommt zu Kannibalismus. Die Kultur bricht zusammen. Den Rest erledigen später dann die Europäer mit Pocken und Sklaverei. Klimawandel: Schon 2040 ist eine globale Temperaturerhöhung 4 Grad möglich, hier im Norden deutlich mehr. So neuere Daten. Was wenn sie stimmen? Brandenburg versteppt. Was machen hier die echten Heuschrecken? Und wir halten heute immer schön drauf auf den Eisberg. Umweltpolitik. Alles was Kosmetik ist, wird sich als schöner Selbstbetrug herausstellen. Wenn wir sehr, sehr gut wären, könnten wir vielleicht noch 2-3 Milliarden Menschen von den 10 Mrd., die wir noch werden retten. Illusion? Ich weiß es nicht. 40 Prozent der Nahrungsmittel werden global in ariden Gebieten angebaut. Schachmatt heißt das für viele.

Der kürzlich verstorbene Carl Amery hat sich was dabei gedacht, wenn er sein Buch von 1998 untertitelt: „Auschwitz – Der Beginn des 21. Jahrhunderts?“ Die ökonomische Globalisierung und der Spieltrieb an Finanzmärkten im Turbokapitalismus schaffen zusätzliche zivilisatorische Bruchlandungsstellen. Jared Diamond weißt darauf hin: Zerstörte Handelsstrukturen und kriegerische Auseinandersetzungen sind wichtige Aspekte beim Niedergang von Kulturen in der Vergangenheit gewesen, neben der zentralen Rolle ökologischer Komponenten.

Als ich in Buchenwald war oder die unübersehbaren Tafeln mit Namen der im Krieg Gebliebenen in russischen Städten gesehen habe, den entflammten Sowjetstern: An solchen Stätten scheint es mir so richtig auf, daß das was wir hier verbrechen schlimmer ist. Für die Toten kann man nichts mehr tun. Aber für die Lebenden. Vielleicht auch nicht mehr. Aber ein Versuch wäre immerhin sinnvoll. Wenn es nur reicht, die letzten Jahrzehnte etwas erträglicher zu gestalten, wäre immerhin schon etwas. Keine schlimmen neuartigen totalitären Systeme. Noch ein Stück Würde. An solchen Orten breche ich innerlich weg. Ich weiß um das eigene Versagen, das eigene Ungenügen. Ich weiß wie sehr unsere Verhältnisse Unrechtsregime sind. Massenmord an den zukünftigen Generationen. Politik von rechts bis links ist dabei eher Teil des Problems.

Manchmal holt einen auf der persönlichen Ebene etwas ein. Ich wurde mit dem Gedanken konfrontiert, plötzlich könnte ich eine Tochter haben. (Es wird wohl nicht möglich sein, wegen der Gefahr, daß sich meine Invalidität verstetigt, verschlimmert und anderer Aspekte, jedenfalls nicht sehr realistisch.) Eigene Kinder hatte ich schon seit langem ausgeschlossen, soweit man das beeinflussen kann. Aber ich habe den Gedanken mal ausführlich durchgespielt, was man so für Pflichten als Vater hätte, vom Tierparkbesuch bis zu Schularbeiten helfen usw. Aber wie erklärt man das einer Tochter, was wir hier gemacht haben? Du hast doch fast drei Jahrzehnte mehr Lebenserfahrung. Ich kann nicht mal damit kommen, ich habe nichts gewußt, daß wir hier ökonomisch, sozial und ökologisch Bankrott machen. Vielleicht nicht jedes Detail. „Warum haben die Väter und Vorväter meine Lebenswelt derart geplündert und zerstört?“ Was antwortet man seiner Tochter da, die Frage würde ich Dir gerne stellen. Was antwortet man darauf?

Es grüßt Dich solidarisch


Marko Ferst

 

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