Offener Brief an den amerikanischen Botschafter Daniel R. Coats

 

Marko Ferst, 20.04.2003


Sehr geehrter
amerikanischer Botschafter
Daniel R. Coats,


festzustellen ist, Ihr Land, besser Ihre politische Administration, begann vor einigen Wochen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Damit gibt es in Deutschland gründliche Erfahrungen und mitunter sind die Spuren auch heute noch deutlich zu sehen. Die große Mehrheit der Menschen hierzulande lehnt dieses Staatsverbrechen ab, auch wenn unsere Führung hinter der Hand, die Aggressoren von Washington unterstützte, etwa durch Überflugsrechte von US-Militär oder den noch nicht verfügten Stopp von Lieferungen an militärischer Ausrüstung in die USA, wie dies die Schweiz schon praktiziert. Rüstungsexporte in Aggressionskriege führende Staaten sind in Deutschland eigentlich verfas-sungswidrig. Die amerikanische Führung entschied sich, sich nicht dafür zu interessieren, was Millionen Menschen rund um den Erdball auf unzähligen Demonstrationen und Veranstaltungen forderten: Eine friedliche Lösung des Konfliktes zwischen dem Irak und den USA.

Daß es im Irak aktuell nie um eine Vernichtung von Massenvernichtungsmitteln ging, zeigen sehr klar Aussagen verschiedener Waffeninspektoren, die bis 1998 tätig waren im Irak, darunter Scott Ritter. Es geht um die imperiale Sicherung von Ölvorräten für die koloniale Nutzung durch die USA. Da diese Ressource in 40 Jahren so oder so versiegt sein wird, empfehle ich, sich mal das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz anzuschauen. Vielleicht kann in diesem Punkt Amerika etwas lernen von Deutschland. Politisch setze ich mich dafür ein, eine vollständige solare Energiewende auf den Weg zu bringen. Das schützt das Klima und würde nebenbei weitere Ressourcenkriege überflüssig machen. Bezeichnend ist, daß die Washingtoner Führung zuließ, daß in Bagdad Museen mit wertvollsten Kulturgegenständen geplündert werden konnten, sämtliche Ministerien durften ausgeräumt werden, ach nein, für das Ölministerium fanden sich hinreichend viele Panzer, um es zu sichern. Das hat schon einen hohen Symbolwert und zeigt, es geht um Öl, nicht um Demokratie. Freilich geht es auch um neue amerikanische Machtstütz-punkte und israelische Interessenlagen.

Spannend wäre, in Erfahrung zu bringen, ob demnächst Syrien und der Iran, wie durch Drohgebärden angekündigt, von den USA überfallen werden. Oder ist zunächst Nordkorea dran und dann der selbstherrliche Diktator von Turkmenistan oder Usbekistan? Da gibt es auch noch Öl zu holen. Vor allen Dingen ist ja hoch interessant, von welchen Terrorregimen sich die USA bei ihrem Völkerrechtsbruch unterstützen lassen. Die sind offenbar nicht würdig, amerikanische Befreiungsschläge zu empfangen?

In einer Ansprache vor der Militärakademie West Point sagte G. W. Bush, er sähe 60 Länder, die mögliches Zielobjekt von amerikanischen Angriffsplänen werden könnten. (Quelle: Weltpolitik im Umbruch, Ernst-Otto Czempiel, S.176) Mir kommt dazu in Erinnerung, wie sich Hitlerdeutschland Österreich und Tschechien angeeignet hat, später dann Polen usw. Müssen wir eine solche Häppchenprozedur im Sinne eines vorbeugenden Terrorismusschutzes jetzt auch von der amerikanischen Administration erwarten? Daß es Amerika derzeit nicht um Demokratie geht, kann man zum Beispiel am vergangenen Golfkrieg ablesen, wo die Potentaten von Kuwait weiter regieren durften. Wohin führt also die von Bush proklamierte Achse des Bösen, die auch von US-Amerika ausgeht und immer neue Abzweige findet?

Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung nannte in einem Zeitungsinterview, das was US-Amerika jetzt treibt, ganz unverblümt Geofaschismus. Sieht man sich die Hochrüstungsspirale an, die in der amerikanischen Plutokratie jetzt möglich ist, dann sage ich Ihnen ganz deutlich, wir müssen die USA als Gefahr für Europa betrachten, vor der wir uns schützen müssen. In Ihrem Land weiß man ja nicht mal mehr, wo die Öl- und Energiekonzerne aufhören und wo die Regierung anfängt, möglicherweise ist die ganze Regierung von einschlägiger Vereinnahmung längst hindurchkorrumpiert. Bei Lage der Fakten kann man nur diesen Eindruck gewinnen.

Der zufällig herbeigehandelte 3. Weltkrieg durch Herrn Bush ist keine ferne Möglichkeit mehr. Mir ist noch gut in Erinnerung, Sowjetchef Gorbatschow brachte einen Abrüstungsvorschlag nach dem anderen ein, aber Amerika versuchte zu blockieren, wo es nur ging. Seit ich dies gesehen habe, bin ich sehr skeptisch geworden gegenüber dem Friedenswillen der USA. Ihre Atomwaffen waren aber auf uns gerichtet. An diese Zeit kann ich mich sehr gut erinnern. Die USA geben aktuell 435 Milliarden Dollar bezogen aufs Jahr für ihre militärische Hochrüstung aus. Finden Sie nicht auch, daß dies etwas sehr üppig sein dürfte? Müssen da nicht selbst Freunde der amerikanischen Verhältnisse mißtrauisch werden?

Notwendig wäre mehr denn je, radikal abzurüsten, wie es Gorbatschow seinerzeit versuchte. So habe ich es auch dem deutschen Bundeskanzler in einer fiktiven zukünftigen Regierungserklärung in meinem Buch "Wege zur ökologischen Zeitenwende" sagen lassen. Aber eine Berliner Abrüstungskonferenz, wie ich sie dort anrege, in der es darum ginge, weltweite radikale Abrüstung Schritt für Schritt voranzutreiben, scheint für Ihr Land derzeit ein Alptraum zu sein? Ist es aber nicht an der Zeit, daß UNO-Inspektoren in Ihrem Land sämtliche Massenvernichtungswaffen vernichten? Besitzt nicht Ihr Land die meisten Massenvernichtungswaffen auf der Welt und geht davon nicht die größte Bedrohung aus auch für Europa?

Freilich hört man aus dem Bereich der Politikwissenschaft weitere bedenkliche Aspekte aus der amerikanischen Innenpolitik. In Nachfolge des 11.9.2001 kann abgehört werden ohne jegliche rechtsstaatliche Legitimation, auch irrtümlich verdächtigte Menschen kön-nen für Jahre verschwinden, ohne daß sie einem Richter zugeführt wurden. Sie wissen, wir reagieren hier in Deutschland, speziell im östlichen Teil, sehr empfindlich, wenn rechtsstaatliche Elemente beseitigt werden und Elemente von Willkürherrschaft hinzukommen. Wo man da hinkommt, kann man an der Anatomie des DDR-Staatssicherheitsdienstes gut studieren. Befindet sich die amerikanische Gesellschaft also in einem Übergangsstadium von einem demokratiehaften Modus zu einer Verfassung, die eher totalitären Regimen eigen ist, oder doch zumindest zu einem semidemokratischen Zustand führt?

Muß man sich fürchten, wenn man irgendwo mal was gegen den US-Krieg publiziert hat und der Meinung ist, daß Bush und Blair und ihre Handlanger nach Den Haag als Kriegsverbrecher auf die Anklagebank gehören und dann hinter Schloß und Riegel gleich neben die Zelle eines Herrn Milosevic, in den USA als Staatsfeind zu gelten, zur Achse des Bösen gewissermaßen? Sicher, Herrn Hussein dürfen Sie dorthin mitnehmen, der Mann hat genug Leute auf dem Gewissen.

Nun der Irak ist angeblich befreit. Die einstige mittlere Herrschaftsschicht wird es schon verstehen, sich den neuen Machthabern anzudienen. Da läuft das alte Regime im neuen Regime weiter. Tausende Tote und Verletzte sind halt der Blutzoll und zählen für die amerikanische Seite nicht. Menschenverachtend nenne ich dies! Ohnehin werden wir dort eine US-Marionettendiktatur bekommen, direkt oder indirekt. Freilich die amerikanische Besatzungsmacht ist ja noch nicht mal in der Lage, elementare medizinische Leistungen zu sichern und dringend benötigte Nahrungsmittel zu liefern. Da sollte Ihre Administration dringend Abhilfe schaffen! Nimmt man die antiamerikanischen Proteste gegen die US-Besatzungsmacht, so scheint Ihr Aufenthalt dort nicht besonders erwünscht zu sein.

Über eine Antwort würde ich mich freuen, auch wenn ich weiß, Sie sind in diesen Tagen sicher stark beschäftigt. Ich würde Ihre Meinung gerne berücksichtigen, bevor ich in dem ein oder anderen politischen Gedicht, meine Eindrücke über das "neue" Amerika komprimiere. Diese Art von Arroganz und Hochmut der amerikanischen Führungsriege muß man einfach als politischer Dichter nach Maß sezieren. Sicher, amerikanische Führungen kommen und gehen. Wollen wir hoffen, daß die nachfolgende amerikanische Führung die ungeheuren Fehler der jetzigen amerikanischen Potentaten weitgehend zu löschen vermag.

Mit besten Wünschen
und friedlichen Grüßen

Marko Ferst