Berlin im Jahr 2074

Die Stadt im Würgegriff von Steppe und Wasserbaron

Von Marko Ferst


Die junge Theatergruppe Banda Agita am Gripstherater stellte ein Stück auf die Beine, das uns weit in die Zukunft blicken lässt: „Letzter Aufruf Paradise“. Gemeinsam entwickelten sie ein Szenario wie unsere Welt und die Hauptstadt in etlichen Jahrzehnten aussehen könnte, gewürzt mit einer kräftigen Prise Science Fiction. Aus dem Klimawandel pupte sich ein Klimadesaster heraus, das nun schon mehrere Jahrzehnte sein unerbittliches Regiment ausübt. Eine unbekannte Seuche rafft immer mehr der verbliebenen Dörfer auf dem Land hin. Im einstigen Bundestag und Stadtzentrum verschanzt sich ein Häuflein Privilegierter. Sie lassen sich schützen vor den „Müllmenschen“, die in den kühlen U-Bahnschächten Zuflucht suchen. Doch es gibt einen regen Tauschhandel. Technische Artefakte der untergegangenen Epoche gegen das hoch kostbare Was-ser. Es ist so wertvoll, dass es zum Zahlungsmittel im Tauschhandel für Nahrung, Rohstoffe und Energie wird. Die Stadt verfügt zwar über gentechnisch verschmutztes Saatgut, es lässt sich aber nicht reproduzieren und sie ist auf der Suche nach alten Beständen.
Der Senat von Berlin beschliesst eine Expedition auszusenden, um zu prüfen, ob sich irgendwo bessere Bedingungen finden, wo es genug Wasser gibt und sich mehr Nahrungsmittel anbauen lassen, um die Stadt, oder die kümmerlichen Reste, die von ihr übrig geblieben sind, umzusiedeln. So könnten sie sich auch dem erpresserischem Wasserbaron entziehen. Da er über das Monopol bei der Aufbereitung des Wassers verfügt, kann er jeden Preis diktieren, den er will. Ein Schelm, wem da das Volksbegehren für die Entprivatisierung der Wasserversorgung im aktuellen Berlin in den Sinn kommt. Vor dessen sinnvollen Konsequenzen drückt sich selbst Rot-Rot. 2074 ist Hy-drodiktis die rechte Hand des Wasserbarons. Doch wer ist dieser nirgends auffindbare Baron eigentlich? Eine Senatorin wird es erfahren. Am Ende darf sie sich in einer Badewanne voll kost-barem Wasser in der Luxusvilla des Barons verführen lassen.
Schnelle Szenenwechsel im Theaterstück halten den Zuschauer die ganze Zeit über in Atem. Große weiß-besche Tücher und wenige Kisten lassen ohne viel Aufwand immer neue Szenenbil-der entstehen und prägen das Stück ebenso wie die interessanten Kostüme, passend zu den Zu-ständen einer Entzeitzivilisation. Das Stück wurde von dem Theaterkollektiv selbst entworfen und von Susanne Lipp in Textform gegossen. Regie führt Philipp Harpain.
Doch wird die Expedition gelingen und jenen paradisischen Ort auffinden? Nein - man will nicht nach Schweden in die nördlichen Regionen auswandern. Ausgerechtet das Tropical Island, jede Luftschiffhalle, die einst zum Badevergnügen umgestaltet wurde, ist das Ziel ihrer Träume. Es soll schützen vor den gefürchteten Staubstürmen. Auch Hydrodiktis bekommt davon Wind und will seine Einnahmequelle nicht verlieren. Was wird er tun? Die Expedition muss aber das Gebiet des Raubclans der „Schönefelder“ durchqueren – ein gewagtes Manöver. Der Plan dafür kräftige Menschen, die man vor Jahrzehnten eingefroren hat, damit sie nach der Heisszeit eine neue Zivi-lisation aufbauen, scheitert. Doch die herrische Expeditionsleiterin will die Expedition ohne Rücksicht auf Verluste zum Erfolg führen, nichts kann sie aufhalten. Kalt lässt sie ihre Mitstreiter im Stich. Hyrdrodiktis geht nicht weniger skrupellos vor. Der Raubclan erfährt durch eine gefan-gengenommene Geisel, von dem Plan. Alle sind sie am Ende auf der Suche nach dem Paradies. Doch was werden sie finden? Kann sich der Wasserbaron an der Macht halten?
Insgesamt ein gelungenes Stück mit vielen Anstössen zum Nachdenken, über unsere Jetztzeit, in der die Politik und die Menschen alle Warnungen in den Wind schlagen und sich lieber an kurz-fristige wirtschaftliche und soziale Erfolge klammern, als die langfristigen Folgen ihres Tuns zu bedenken und von diesem zerstörerischen Wohlstandsmodell zu lassen. Wir kehren uns nicht von einer Gesellschaftsordnung sich ab, die auf Nimmersatt gepolt ist und Reich und Arm immer weiter auseinanderdriften lässt. Das Stück spielen in der Schiller-Theater-Werkstatt junge Thea-terbegeisterte aus vielen Bezirken Berlins zwischen 17 und 19 Jahren, mit frischem Geist und unkonventionellen Ideen. Sehen sie es sich an! Die nächsten Aufführungen finden am 11. und 12. April statt, weitere sind im Juni 2008 geplant.

Mehr Informationen: http://www.banda-agita.net, Vorbestellung: 030/39747477 (GRIPS-Kasse)




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