Zum Tod von Carl Amery


Von Sabine Neubert

Sein Tod ist ein Verlust, nicht nur für Deutschland, sondern ein globaler. Denn solche Stimmen wie die Carl Amerys sind weltweit selten geworden. Bis zuletzt hat er mit deutlicher Rede Missstände angeprangert, an das Gewissen der Menschen appelliert. Erst vor kurzem noch hat der 83-Jährige ein Buch mit »Briefen an den Reichtum« herausgegeben, das, kaum auf dem Büchermarkt, zum Bestseller wurde. Nun wird seine Stimme fehlen, aber seine Bücher werden weiter gelesen – manchen unbequem, vielen eine Hoffnung.
Am besten hat ihn wohl sein »Kombattant aus Tagen der Gruppe 47« Walter Jens charakterisiert: »Ein Einzelkämpfer, der auf Solidarität vertraut, ein Rufer in belebter Gartenwelt (nicht in der zukünftigen Wüste, noch nicht), ein Bayer und Kosmopolit, ein Aufklärer, der auf Bewahren und Behüten ausgeht (sofern es sich lohnt), ein konservativer Rebell, der zugleich radikal und behutsam, zornig und sanft ist.« Das war 1991 im Vorwort zum Essayband »Bileams Esel«. Carl Amery hatte damals schon ein großes Lebenswerk geschaffen, hatte Romane geschrieben (»Die große Deutsche Tour«, »Die Wallfahrer«, »Das Königsprojekt«, »Das Geheimnis der Krypta«) und sich mit Essays in aktuelle öffentliche Diskussionen eingemischt. Davon zeugen die Titel: »Die ökologische Chance« und »Die Kapitulation oder der real existierende Katholizismus«.
Er attackierte blinden Fortschrittsglauben und – hellsichtig – die »Wiedervereinigungs«-Euphorie, sprach von »Anschluss«, als das kaum einer hören wollte. Und er mahnte immer wieder globale Probleme an: die Weltbevölkerungsexplosion, das Millionensterben in Kriegsgebieten, die Klimaveränderungen und das durch Profitgier verursachte Tiersterben. Für dies alles gibt es, so Amery, kein moralisches Alibi, für die Politiker nicht, für die Kirchen nicht und auch für jeden Einzelnen nicht. »Die ganze Gesellschaft hat sich angewöhnt, über die irdischen Verhältnisse zu leben.«
Christian Anton Mayer, der sich später Carl Amery nannte, wurde am 22. April 1922 in München geboren, er studierte Sprachen und Literaturwissenschaften und wurde, wie erwähnt, als freier Schriftsteller Mitglied der »Gruppe 47«. In den siebziger Jahren wandte er sich vor allem ökologischen Problemen zu (1979 Deutscher Preis für Denkmalschutz). In der Zeit entstand unter anderem das Buch »Natur als Politik«, 1985 »Die ökologische Chance«. Die Bewahrung der Schöpfung, die Rettung der Erde als einer von Menschen bewohnbaren Biosphäre blieb lebenslang das Thema des streitbaren Katholiken. Zunehmend erschien ihm dies allerdings als »ein fast unwahrscheinliches Unterfangen angesichts des kollektiven Selbstmordes der Menschheit«.
Auch im fortgeschrittenen Alter blieb Carl Amery aktiv. 1989 bis 1991 war er Präsident des bundesdeutschen P.E.N.-Clubs. Und er schrieb weiter. Noch deutlicher als zuvor appellierte er in seinem Aufsehen erregenden Buch »Global Exit« (2002 bei Luchterhand erschienen) an die Kirchen als letzte globale Institution, durch die vielleicht noch ein »Exodus«, ein »Auszug aus dem Sklavenhaus des globalen Kapitalismus«, möglich sein könnte. Er hat bis zuletzt die Hoffnung auf Veränderung, auf Rettung nicht aufgegeben. Nie war er bloß ein Schreibtischmensch, ein Theoretiker, immer war er ganz konkret. Auch in den letzten Jahren reiste er noch, hielt Vorträge, beteiligte sich an Diskussionen. Nach Erscheinen von »Global Exit« habe ich ihn bei einem Gespräch zu diesem Buch mit Bischof Wolfgang Huber in der Berliner LiteraturWERKstatt erlebt. Allgemeinen menschenfreundlichen Aussagen stellte er seine klaren Fragen gegenüber: Wie kann die Erde als bewohnbarer Planet erhalten bleiben? Wie stellt sich die Kirche zu dieser Hauptaufgabe, will sie nicht in Bedeutungslosigkeit absinken?
Carl Amery war kein bequemer, aber ein geduldiger Frager gewesen. Zuletzt versammelte er in den »Briefen an den Reichtum« die konkreten Vorschläge seiner Mitstreiter wie Rupert Neudeck, Oskar Negt oder Hermann Scheer für eine bessere und gerechtere Welt. Das Buch ist sein Testament für zukünftige Generationen. Wie der Luchterhand Verlag jetzt mitteilte, ist Carl Amery bereits in der vergangenen Woche in München gestorben.

Neues Deutschland, 1.6.2005

Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt

Luchterhand Literaturverlag. 239 Seiten, gebunden, 8,50 EUR.

Neues Deutschland 09.04.02
www.nd-online.de