Alternative Umweltpassage für neues PDS-Programm

(Kurzfassung 2003)

 

Marko Ferst


3. Ökologische Reformära einleiten (Programm, Abschnitt III., 3. Umwelt)

Die ökologische Krise spitzt sich in raschem Tempo zur weltweiten Überlebensfrage zu. Sie entspringt der immer expansiveren Nutzung der Natur durch den Menschen, dem ausbeuterischen Charakter des kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsmodells und der Zerstörung traditioneller Lebensformen in den armen Ländern der Welt. Die sozial-ökonomischen Ursachenan-teile sind eng verflochten mit den kulturellen und sozial­psychologischen Fundamenten der Gesellschaft. Jeder einzelne kann ein neuer Mosaikstein des ökologischen Wandels sein. Es kommt auf jeden einzelnen an.
Täglich werden weltweit zusätzliche 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen, die etwa 100 Jahre aktiv bleiben und eine globale Klimakatastrophe immer wahrschein-licher werden lassen. Alle 24 Stunden werden 55.000 Hektar Tropenwald abgeholzt, sterben rund 300 bis 400 Tier- und Pflanzenarten aus. 86 Millionen Tonnen fruchtbarer Boden gehen durch Erosion verloren. Die Wüsten dehnen sich um mehr als 30.000 Hektar aus. Innerhalb weniger Generationen werden die nicht erneuerbaren Rohstoffe aufgebraucht, die in Jahrmillionen ent-standen. Die schützende Ozonschicht der Erde ist dünner geworden, und weit über die Antarktis hinaus reisst sie regelmäßig gänzlich auf. In immer kürzeren Abständen verdoppelt sich die Bevölkerungszahl auf der Erde. Dies sind nur die dramatischsten Warnzeichen, wie wir die irdischen Belastungsgrenzen verletzen.
Zwischen Ursache und Wirkung sozialökologischer Destabilisierung liegen häufig lange Zeiträume. Haben sich die verschiedenen Konfliktpotentiale jedoch zu einem unlösbaren Knoten verschlungen, lässt sich das zerstörerische Potential nicht mehr abwenden, auch wenn die auslösen-den Faktoren längst beseitigt sind. In den nächsten Jahrzehnten drohen regionale und globale Zusammenbrüche der Ökosysteme. Deshalb muß zügig gehandelt werden, damit der Spielraum für eine ökologische Zeitenwende nicht unwiederbringlich verloren geht.
Nur wenn wir die Produktions- und Lebensweise grundlegend umgestalten, kann es noch gelin-gen, eine ökologische Weltkrise abzuwenden. Deutschland, ebenso wie die anderen Industriestaa-ten, müssen beispielgebend voranschreiten, weil sie die Hauptverantwortung für die heutige Umweltzerstörung tragen. Jedoch kann beim jetzigen umweltpolitischen Reformtempo als sicher gelten, daß wir in totalitäre Entwicklungen mit schweren Konflikten um Verteilungsgerechtigkeit und erdumspannende Bürgerkriege abrutschen.
Ökologische Politik darf nicht primär von den Interessen her definiert werden, die aus den Er-rungenschaften unserer heutigen Überflussgesellschaften resultieren. Wir müssen der Natur ihren Eigenwert zuerkennen und sie auch um ihrer selbst willen bewahren. Sie darf nicht in erster Linie das Ausbeutungsobjekt des Menschen sein.
Wettbewerbsökonomien, die auf ein ständiges Wachstum von Profiten und Wirtschaftsvolumen orientieren, sind langfristig nicht in der Lage, die Grundlagenkrise der Zivilisation abzuwenden. Naturgesetze besitzen Vorrang vor Marktgesetzen, und der Erhalt ökologischer Stabilität be-grenzt die sozialen und wirtschaftlichen Freiheiten. Wir wollen jene Eigentums- und Machtstruk-turen, die einem sozial-ökologischen Wandel entgegenstehen, schrittweise verändern und schliesslich überwinden. Es sind vor allem die Träger der fossilen Energiewirtschaft, die Atom- und Rüstungslobby, die Konzerne der Automobilindustrie, der Gentechnik und Agrarindustrie, der Chemiebranche, die Profiteure des Nord-Süd-Gegensatzes und die Gewinner der internationalen Börsen- und Devisen-Spekulationen, die den Übergang zu ökologischer Nachhaltigkeit blockieren.
Der erforderliche ökologisch-soziale Strukturwandel wird umfassender und schwieriger sein als alle vorhergehenden Umwälzungen und Reformen in der Menschheitsgeschichte. Würden wir sämtliche Energie, die wir nicht einsparen können, aus Sonnenstrahlen, Wasserkraft, Windkraft und aus Biomasse gewinnen, hätten wir schon ein gutes Stück Zukunft gesichert. Auf einen sinn-vollen Mix und dezentrale Strukturen bei den erneuerbaren Energien kommt es an. Wir müssen aber auch die Materialströme, die wir in und durch unsere Industriegesellschaft leiten, auf einen Bruchteil reduzieren. Die Nutzung nicht erneuerbarer Rohstoffe muß gegenüber den vernachläs-sigten solaren bzw. pflanzlichen Alternativen zurückgedrängt werden. Wir setzen uns für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie ein.
Bis Mitte des 21. Jahrhundertsist es erforderlich in Deutschland den Ausstoss von Treibhausgasen um mindestens 90 Prozent zu reduzieren und die Vernutzung von nicht erneuerbaren Roh-stoffen um ebenfalls 90 Prozent einzuschränken. Dies erfordert eine ökologisch-technische Effizienzrevolution bei Produktion und Verbrauch, aber auch eine Emanzipation der Gesellschaft und des einzelnen Menschen vom Habenmüssen.
Damit die Einsparung von Energie- und Ressourcenverbrauch greifen kann, wollen wir einen weitgehenden ökologischen Umbau des Steuersystems und staatliche Ordnungspolitik, um die spontane Marktregulierung einzugrenzen. Ökologisch verträgliches Handeln muss finanziell belohnt und unzuträgliches Verhalten belastet werden. Dabei ist ein sozial ausgewogenes Vorgehen unverzichtbar. Wirtschafts- und Forschungssubventionen sind für eine nachhaltige Produktions-weise umzuwidmen.
Die PDS setzt sich dafür ein, den individuellen Strassenverkehr und den Gütertransport auf der Strasse radikal zu vermindern und aus Innenstädten zu verbannen, den öffentlichen Personenverkehr zu fördern und so preiswert wie möglich zu gestalten. Mit Hilfe einer aktiven Verkehrs-, Struktur- und Regionalplanung ist eine Strategie der kurzen Wege zu etablieren. Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise sollte sich auf dezentralere Räume einstellen.
Die großen verbliebenen Naturräume des Planeten, wie z.B. die Antarktis, die Weltmeere und die Regenwälder müssen vor weiterer Ausplünderung völkerrechtlich bindend geschützt werden. Wir unterstützen die Forderung, Deutschland- und europaweit ein zusammenhängendes Schutzge-bietssystem zur Erhaltung des Artenreichtums zu entwickeln. Wir wollen so schnell wie möglich den zusätzlichen Flächenverbrauch für Infrastruktur pro Jahr auf null Ausweitung abbauen und die Böden entsiegeln, wo dies möglich ist. Aus naturnahen Flüssen Schiffsautobahnen zu schaf-fen, lehnen wir ab.
Gentechnisch manipulierte Nahrungsmittel können unkalkulierbare Folgen für die Biosphäre und die Gesundheit haben und bergen große Belastungen für die Bauernschaft, weil sie dann jährlich neues Saatgut kaufen müssen. Luft, Boden und Wasser sind vor schädlichen Einträgen zu bewah-ren. Es dürfen nicht täglich neue chemische Substanzen erfunden werden, deren Wirkungen auf die Umwelt unkalkulierbar sind. Der Vermeidung von Abfällen geben wir den Vorrang vor der Verwertung und Entsorgung. Wir treten für dezentrale und umweltverträgliche Abfallbehandlungsverfahren anstelle von Müllverbrennung ein.
Eine zukunftsfähige Landwirtschaft basiert auf regionalen Wirtschafts- und Stoffkreisläufen, stellt nachwachsende Rohstoffe bereit, besitzt Natur erhaltende Aufgaben und trägt Verantwortung für den Artenschutz. Ein umfassender und wirksamer Tierschutz, der Respekt vor dem Lebewesen gehört zu ihren ethischen Grundanforderungen. Der Übergang zu ökologischem Land- und Waldbau ist dringend geboten. EU-Landwirtschaftssubventionen für Flächenstillegungen, Le-bensmittelvernichtung sind künftig in gesunde Lebensmittel umzulenken, produziert mit ökologischen Anbaumethoden. Ökosteuern auf Pestizide und Kunstdünger können zur Verbesserung der Marktfähigkeit ökologisch angebauter gesunder Lebensmittel eingesetzt werden. Die Ver-marktung von Bioprodukten muss deutlich verbessert werden. Bis 2025 wollen wir mindestens 50 % Anteil an ökologischem Landbau erreichen. Ein naturnaherer Wald ohne Monokultur und strenge Teilung nach Altersklassen sollte künftig angepflanzt werden.
Für Umweltorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Kräfte streben wir mehr demokrati-sche Planungs-, Kontroll- und Einspruchsrechte an. Dem Ausbau der Umweltbildung messen wir große Bedeutung zu.
Nach der Jahrtausendwende verfügten 475 Milliardäre über soviel Geld wie die ärmsten 50 Prozent der Menschheit in einem Jahr verdienen. Weltweit gehören 75 Prozent des Landes, das unter Privatbesitz fällt, nur 2,5 Prozent der Landbesitzer. Versucht man nicht, dieses extreme soziale Gefälle abzubauen, bringt das jede ökologische Neugestaltung der Gesellschaft schnell zum Ab-sturz. Allen Erdenmenschen gebühren die gleichen Anrechte auf Umweltraum und Naturressourcen. 20 Prozent der Weltbevölkerung dürfen nicht 80 Prozent aller Ressourcen verbrauchen. Wir müssen durch eine gravierende Verminderung von Naturbelastung und Ressourcenver-brauch in den reichen Ländern die Entwicklung der ärmeren Länder ermöglichen. Zugleich sollten die armen Länder umfassend unterstützt werden, eigene Strategien sozialökologischer Ent-wicklung zu verwirklichen.
Kurzfristige wirtschaftliche und soziale Ansprüche dürfen nicht die generationsübergreifenden langfristigen sozialen Interessen gefährden. Wir müssen unsere sozialen Ausstattungen abkoppeln von dem Zwang zu permanentem Wirtschaftswachstum, denn die Grenzen des Wachstums sind längst überschritten. Ein Vorrang der Beschäftigungspolitik zu Lasten der Umwelt ist nicht akzeptabel, und ökologischer Wandel wird ohne eine Abkehr von der alten Arbeitsgesellschaft nicht stattfinden. Zugleich werden für viele der Reichtum zwischenmenschlicher Beziehungen, weite Bildungshorizonte, selbstbestimmte Lebensräume, Kultur und Sicherheiten des Lebens wichtiger als die immer weitere Ausdehnung von materiellem Konsum.
(Fassung vom 4.7.2003)

Anmerkung:
Im PDS-Programmentwurf von 2003 ist die Umweltpassage um ganze Klassen schlechter als die Aussagen im Grundsatz-programm der Grünen von 2002. Auch die Aussagen der SPD im Umweltteil sind wesentlich besser, bis auf zwei Halbsätze. (Kohle ,Gentechnik) Siehe zu den Argumenten meinen Beitrag in "tarantel" Nr. 20, Seite 21. Ausdrücklich weise ich darauf hin, es ist nicht möglich mit dieser Kurzfassung 25 Seiten Umweltaussagen im Grünenprogramm zu überbieten. Um hier qualitativ besser zu sein, müßte man die Struktur des PDS-Entwurfes völlig neu setzen mit einem Schwerpunkt auf die ökologische Herausforderung. Versucht ist hier aber mit Hilfe der Konzentration von Kernaussagen dem Grünenprogramm, wenigstens partiell Paroli bieten zu können. Mehr gibt der Rahmen nicht her. Die hier vorliegende alternative Umweltpassage ist zusammengesetzt aus Segmenten der PDS-Entwurfsfassung des Programms von 2001, dem PDS-Programm von 1993, Aussagen im RLS-Band "Reformalternativen", Positionen der Ökologischen Plattform bei der PDS und Aussagen, die es ermöglichen zum Grünenprogramm aufzuschließen. Daß meine eigene Position deutlich kritischer ist, kann man in dem Band "Wege zur ökologischen Zeitenwende" nachlesen. Diese Passage wurde auf dem Bundestreffen der ÖPF in Hangels-berg mehrheitlich nicht befürwortet, findet jedoch Anhänger außerhalb der Ökologischen Plattform. Überdies kann sie zumindest Anregungen liefern für das separate Papier zu den Reformalternativen und den dortigen Umweltteil.


 

 

 

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